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Verfolgt in der NS-Zeit: Heinrich Mühlhausen aus Benterode überlebte das KZ

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Von: Jens Döll

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Heinrich Mühlhausen aus Benterode als Kasseler Schutzpolizist vor seiner Entlassung.
Heinrich Mühlhausen aus Benterode als Kasseler Schutzpolizist vor seiner Entlassung. (Archiv) © Koch

Heinrich Mühlhausen aus Benterode überstand die Haft im KZ Buchenwald. Er war Schutzpolizist in Kassel und Zeuge Jehovas. Erst wurde er entlassen, dann gefangengenommen.

Benterode/Kassel – Wilfried Siegner forscht zum Thema Zeugen Jehovas aus der Region Kassel in der Zeit des Nationalsozialismus und deren Schicksal im NS-Staat. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der am Freitag, 27.01.2023, begangen wird, berichtet er über das Leben von Heinrich Mühlhausen aus Benterode. Er bekam aufgrund seines Glaubens die Härte des NS-Regimes zu spüren.

Benetrode: Heinrich Mühlhausen wurde 1905 geboren

Heinrich Mühlhausen wurde 1905 in Benterode (heute Gemeinde Staufenberg) geboren und wuchs dort auf. Von 1927 bis 1928 absolvierte er die Polizeischule in Hann. Münden und war anschließend als Hauptwachtmeister bei der Schutzpolizei in Kassel tätig. In dieser Zeit kam er durch die Tante seiner späteren Frau Minna Kraft mit den Lehren der „Bibelforscher“, wie die Jehovas Zeugen damals genannt wurden, in Kontakt und entschied sich, selbst auch ein Zeuge Jehovas zu werden. Im Mai 1933 heiratete Heinrich seine Minna und das Ehepaar bezog eine Wohnung in Kassel.

Ihre gemeinsame Tochter Christa, die drei Jahre später zur Welt kam, beschreibt ihren Vater wie folgt: „Er war immer bemüht, in seinem Leben biblische Grundsätze anzuwenden. Diese Werte prägten alle seine Entscheidungen.“ Eine dieser Entscheidungen war, in einer Zeit, in der der Nationalsozialismus schnell an Popularität gewann, politisch neutral zu bleiben. Er verweigerte aus Gewissensgründen den Hitlergruß, den Eid auf den Führer und den Dienst an der Waffe. Wegen seiner religiösen Einstellung als Zeuge Jehovas wurde er dann schließlich am 01.04.1934 aus dem Polizeidienst entlassen.

Entlassung wegen des Glaubens

Nach seiner Entlassung musste das Ehepaar seine Wohnung in Kassel aufgeben und zog zurück nach Benterode. Heinrich hielt sich mit Gelegenheitsarbeit über Wasser. Unter anderem war er beim Autobahnbau in der Nähe von Kassel beschäftigt. Trotz des Verbotes der Religionsgemeinschaft blieb Heinrich in seiner Glaubensausübung als Zeuge Jehovas aktiv. Am 15.05.1938 erfolgte dann eine Hausdurchsuchung und der Familienvater wurde festgenommen. Nach zwei Tagen Haft im Landgerichtsgefängnis in Göttingen übergab man ihn an die Gestapo Hildesheim.

Foto eine Postkarte, die ins KZ geschickt wurde, mit Bild von Tochter Christa. (Archiv)
Foto eine Postkarte, die ins KZ geschickt wurde, mit Bild von Tochter Christa. (Archiv) © Koch

Am 19.05.1938 wurde er schließlich mit der Häftlingsnummer 3360 ins KZ Buchenwald deportiert. Dort erhielt er den „Lila Winkel“, ein eigenes Kennzeichen, das die „Bibelforscher“, auf ihrer Häftlingskleidung tragen mussten. In Buchenwald war er zwei Monate in der Strafkompanie. Das bedeutete Zwangsarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Steinbrüchen – sieben Tage die Woche.

„Lila Winkel“ und Folter im KZ Buchenwald

Darüber hinaus musste er Folter, Misshandlungen und Schikanen ertragen, darunter auch Briefsperren. Über ein Jahr lang wusste seine Familie nichts über seinen Verbleib und ob er überhaupt noch lebte. Später berichtete er, dass er durch die schwere Arbeit und die mangelnde Ernährung völlig entkräftet zusammenbrach. Eine SS-Wache im Lager brachte ihn daraufhin als Lagerverwalter im Magazin unter. Auf diese Weise konnte er sich etwas erholen. Wie viele Zeugen Jehovas schmuggelte und vervielfältigte Heinrich im KZ biblische Aufsätze, die er an seine Mitgefangenen verteilte.

Seine Tochter Christa, die bei seiner Verhaftung eineinhalb Jahre alt war, sah ihren Vater erst sieben Jahre später wieder. Ein Bekannter der Familie entwickelte ein Foto von ihr als Postkarte. So konnte Heinrich ein Bild seiner Tochter erhalten. Das muss ihm viel bedeutet haben, denn diese Postkarte brachte er bei seiner Freilassung mit nach Hause.

Entlassung und Heimkehr nach Benterode im Mai 1945

Noch heute erinnert sich Christa an den Tag im Mai 1945, an dem ihr Vater Heinrich nach seiner Befreiung in Benterode ankam: „Die Amerikaner spendierten uns einen Eimer Pancake-Teig und Vanilleeis, damit wir mit der Familie und Freunden seine Heimkehr feiern konnten.“

Heinrich Mühlhausen war trotz der Last seiner traumatischen Erlebnisse als positiver Mensch bekannt, der keine Verbitterung verspürte. Er starb am 27.10.1974.

Zeugen Jehovas wurden im NS-Staat verfolgt

Laut Wilfried Siegner wurden im NS-Staat etwa 11 000 Zeugen Jehovas in Konzentrationslager interniert. Rund 1800 von ihnen kamen zu Tode. „Tatsächlich gehörten sie zu den ersten Häftlingen, die in die Konzentrationslager kamen“, so Siegner. (Jens Döll)

In Hann. Münden wurden in der NS-Zeit Juden entrechtet und verfolgt. Darunter die Familie Madelong. Sie war bis dahin voll ins Leben der Kleinstadt integriert. Das Frankfurter Insitut für Stadtgeschichte hat die Geschichte der Zeugen Jehovas und ihre Verfolgung in der NS-Zeit in der hessischen Metropole aufgearbeitet.

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