Rechtsextremismus-Experte: „Frauen haben strategische Funktion in der Szene“

Die meisten Rechtsextremisten sind Männer. Trotzdem gibt es auch Frauen in Führungspositionen. Beim Ausstieg aus der Szene gibt es für sie oft besondere Probleme.
Kassel – Warum werden Frauen rechtsextrem? Und welche geschlechtsspezifischen Probleme gibt es beim Ausstieg aus der Szene? Darum geht es am Dienstag bei einer Diskussion mit dem Experten Fabian Wichmann im Evangelischen Forum. Wir haben mit dem Mitarbeiter des Aussteigerprogramms Exit gesprochen, das sich seit 23 Jahren darum kümmert, dass Rechtsextreme den Weg aus der Szene finden.
Laut dem Kriminalisten und Exit-Gründer Bernd Wagner herrscht in der Gesellschaft die Meinung vor, wer einmal Nazi war, sei immer Nazi. Wie kann man Extremisten mental und ideologisch ändern?
Ändern kann man sie nur, wenn die Personen das auch selbst wollen. Ohne eigene Motivation geht das nicht. Druck allein von außen hilft nicht, im Gegenteil. Dann orientieren sich die Personen nur noch mehr in die Szene, weil die ihnen Sicherheit verspricht. Man kann ihnen aber ein Angebot machen, denn oft haben Rechtsextremisten Zweifel an ihrer Situation und sind unzufrieden. Ein Ausstieg ist jedoch bis dahin noch kein Thema für sie.
Exit hat seit dem Jahr 2000 mehr als 920 Aussteiger begleitet. Wie lang und schwierig ist der Prozess?
Der kann durchaus lang sein. Manche Aussteiger begleiten wir seit 15 Jahren. Nicht weil sie sich in ihrem Entschluss unsicher sind, sondern weil es Probleme im Ausstieg gibt. Viele von ihnen haben ein erhebliches Sicherheitsproblem. Ihr Umfeld hat den Ausstieg mitbekommen. Es kommt immer wieder vor, dass ihnen Verrat vorgeworfen wird. Auch ideologisch und biografisch müssen die Aussteiger mit der Veränderung klarkommen. Sie müssen sich zum Beispiel klar werden, jahrzehntelang ein falsches Leben gelebt zu haben. Zum Teil müssen sich die Aussteiger auch beruflich neu orientieren, wenn sie etwa ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf rechtsextremer CDs bestritten haben. Manche haben auch Kinder, was ebenfalls eine Herausforderung ist. Die Rückfallquote ist bei Exit dennoch relativ gering. 18 Personen sind entweder in die Szene zurück oder nun in anderen Phänomenbereiche des Extremismus, zum Beispiel Islamismus.
Welche Rollen spielen Frauen im Rechtsextremismus?
In der Szene gibt es immer noch deutlich mehr Männer. Nur etwa 20 bis 30 Prozent sind Frauen. Ähnlich ist die Quote auch in unserem Aussteigerprogramm. Aber nicht erst seit dem rechtsterroristischen NSU wissen wir, dass Frauen oft eine relevante soziale und auch strategische Funktion haben. Sie können sich zum Beispiel leichter einbringen in die Elternvertretung von Schulen und Kitas. Man erwartet auch meist nicht, dass sie politisch radikal sind. Sie sind unauffälliger und finden auch deswegen leichter Zugänge, um ideologische Narrative zu vermitteln. Zugleich schaffen sie nach außen Normalität. Das Klischeebild vom Heimchen am Herd stimmt im Rechtsextremismus oft nicht. Es gibt auch Frauen, die Kameradschaften geführt und wichtige Aufgaben übernommen haben. Nur zeigen die sich nicht in der Öffentlichkeit.
Egal ob Mann oder Frau: Warum werden Menschen zu Rechtsextremisten?
Am Anfang muss nicht immer die große Lebenskrise stehen. Besonders bei jungen Menschen sind es eher Probleme im Zusammenhang mit der Adoleszenz. Oft spielen Partner und andere Bezugspersonen eine große Rolle. Es geht um persönliche Bedürfnisse wie Zugehörigkeit und Anerkennung, die über die Gruppe und das Versprechen einer Ideologie erfüllt werden. Dies wird Frauen und Männern gleichermaßen vermittelt.
Welche besonderen Probleme gibt es beim Ausstieg von Frauen?
Nicht selten bleibt der Partner in der Szene. Das ist erschwerend, weil es dann oft auch zur privaten Trennung kommt. Es geht dann etwa um Fragen wie das Sorgerecht für die Kinder oder auch um Rentenpunkte. Über die Jahre haben sich viele Abhängigkeiten gebildet, die auch viel später noch Probleme bereiten können.
Stephan Ernst, der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, nimmt am Aussteigerprogramm Ikarus teil. Ist seine Reue, die sein Anwalt immer wieder betont, Ihrer Ansicht nach glaubwürdig?
Das ist aus der Ferne schwer zu sagen. Grundsätzlich ist es aber so: Auch Menschen, die schwerste Straftaten begangen haben, sind in der Lage zu bereuen. Sie empfinden durchaus Reue, weil sie ihre Taten als falsch empfinden. Allerdings ist ihre Verantwortung deutlich größer im Hinblick auf die Opfer und die Signale, die durch die Tat vermittelt werden. Hinzu kommt, dass solche Täter oft zu Ikonen innerhalb der Szene werden. Sie werden besungen und verehrt. Insofern ist die Teilnahme von Stephan Ernst an einem Aussteigerprogramm ein erster Schritt. Ich hoffe, dass er den langen Weg konsequent weitergeht. Allein die Tatsache, dass er an einem Aussteigerprogramm teilnimmt, sagt aber noch nichts über seine Motive aus.
Spätestens seit dem Lübcke-Mord gilt Kassel, wo der rechtsterroristische NSU Halit Yozgat ermordete, als Hochburg der Rechtsextremisten. Was wissen Sie über die Szene hier?
Bei Exit hatten wir immer wieder auch mit Personen aus dem Raum Kassel zu tun. Ich kann jedoch nicht bestätigen, dass Kassel eine Hochburg der Rechtsextremisten ist. Dazu fehlen mir die Daten. Die Region Nordhessen hat aber aufgrund der Lage zwischen Nordrhein-Westfalen und Thüringen, wo es eine ausgeprägte rechtsextreme Szene gibt, eine besondere Bedeutung.
Innenministerin Nancy Faeser betont immer wieder, der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für die Innere Sicherheit. Auf der anderen Seite beklagen Kritiker ein Versagen der Behörden etwa im Fall Lübcke sowie rechte Vorfälle bei der Polizei. Tut der Staat genug?
Es gibt tatsächlich viele Programme und Diskussionen über das Problem. Trotzdem hat man zuweilen den Eindruck, dass nicht wirklich an den Ursachen gearbeitet wird. Man scheut sich, Konsequenzen zu ziehen, die nötig wären. Zum Beispiel das Image einer Region erscheint dann doch wichtiger.
Podiumsgespräch „Raus aus der rechten Szene – Wie kann das gelingen?“ mit Fabian Wichmann und Prof. Michaela Köttig (Frankfurt University of Applied Sciences): Dienstag, 18 Uhr, Evangelisches Forum am Lutherplatz. Mitveranstalter ist die Initiative Nachgefragt.
Auch interessant
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion