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Bürokratie sorgt für Probleme: Viele Berufstätige aus dem Kreis Kassel spüren hohe Belastung

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Von: Stefanie Lipfert, Gerd Henke, Natascha Terjung

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Ein Alltag ohne Anträge, Formulare und Dokumentationen ist in den meisten Berufsfeldern gar nicht mehr möglich. Das sorgt mancherorts für Unzufriedenheit.
Ein Alltag ohne Anträge, Formulare und Dokumentationen ist in den meisten Berufsfeldern gar nicht mehr möglich. Das sorgt mancherorts für Unzufriedenheit. © Marijan Murat/dpa

Die bürokratischen Anforderungen haben tendenziell in allen Berufen zugenommen – das bestätigen auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Kreis Kassel.

Kreis Kassel – Anträge, Dokumentationen und digitale Netzwerke sind fester Bestandteil der meisten Arbeitsalltage. Das sorgt mancherorts für Probleme, zum Beispiel für Landwirte, Pädagogen oder Gastronomen.

In der Landwirtschaft habe „die Bürokratie ein enormes Ausmaß angenommen“, sagt Jörg Kramm, Kreislandwirt im Landkreis Kassel. Früher habe sich der Bauer auf seine Arbeiten auf dem Feld und im Stall konzentrieren können, heute sei er fast schon ein Verwaltungsfachmann, der täglich Stunden im Büro verbringe. So muss beispielsweise jede Ackerdüngung und jede Futtercharge dokumentiert werden. Darüber wachen der Agrarausschuss und die Kommission in Brüssel, der Bund, das Land, die Kammern, Veterinärämter, Lebensmittelbehörden und Statistikämter. „Alles wird geregelt, alles wird dokumentiert“, sagt Kramm, „dabei wollen wir doch einfach nur Lebensmittel produzieren.“

Der Kreislandwirt Jörg Kramm zeigt die Auswirkungen der Dürre an seinem Weizen. In der Hand hält er ein paar Pflanzen, die aufgrund der Trockenheit zu früh reif geworden sind. Im Hintergrund ist ein grünes Feld zu sehen.
Der Kreislandwirt Jörg Kramm zeigt die Auswirkungen der Dürre an seinem Weizen. In der Hand hält er ein paar Pflanzen, die aufgrund der Trockenheit zu früh reif geworden sind. Im Hintergrund ist ein grünes Feld zu sehen. © Denise Dörries

Ausführliche Vor- und Nachbereitungen der Elterngespräche, Sprachüberprüfungen, Entwicklungsgespräche und Verbandsprotokolle – die Menge an bürokratischen Aufgaben in Kindergärten werden immer größer. „Ein großes Problem ist die fehlende Vorbereitungszeit“, erklärt Kira Seidel, stellvertretende Leitung der Kita „Kleine Immen“ in Immenhausen. „Nicht alle Kitas haben den Luxus, mit drei Personen eine Krippe leiten zu können. Auch fehlt es an Azubis.“ Mit der Zeit hat Seidel bemerkt, dass sich die Anforderungen und die Methoden im Bereich Pädagogik verändert haben. „Manchmal haben wir während des Arbeitsalltages keine Zeit für ausführliche Berichte, dann muss auch mal was zu Hause fertiggemacht werden“, sagt sie.

Behörden sind an Rechte gebunden

Ein Berufsalltag ohne bürokratische Abläufe ist für den Landkreis Kassel als Behörde selbstverständlich unvorstellbar. Pressesprecherin Fleur Chantal Tauber betont: „Wir sind an Rechte gebunden – daher ist Bürokratie für uns unerlässlich.“ Dennoch versuche man, es den Bürgern so einfach wie möglich zu machen. So bürokratisch wie notwendig, so unbürokratisch wie möglich – dies sei zeitweise ein herausfordernder Spagat, der zu bewältigen ist. (Daria Neu)

„Es ist mittlerweile ein Bürokratie-Wahnsinn“, findet auch Jörg Waßmuth, Inhaber des Hotels und Restaurants Zum Schiffchen in Wolfhagen. Das beträfe zum Beispiel die Dokumentationen: „Wir müssen Buch führen darüber, wer wann und wie sauber gemacht hat.“ Der bürokratische Aufwand werde von Jahr zu Jahr schlimmer. Waßmuth habe das Gefühl, dass einem nichts mehr zugetraut werde. Den bürokratischen Anforderungen nachzukommen, koste zudem viel Zeit, das wiederum bedeute auch mehr Kosten. „Man hat kaum mehr Zeit, für das, was man gerne macht – kochen“, sagt Waßmuth.

Bürokratie belastet Berufstätige im Kreis Kassel: „Kommen vor lauter Papierkram zu nichts“

Ohne Bürokratie funktioniert so gut wie kein Beruf mehr. Dass die Herausforderungen in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben, sorgt in bestimmten Arbeitsbereichen allerdings für eine hohe Belastung. Einige Berufstätige bedauern, dass für die eigentliche Arbeit manchmal nur noch wenig Zeit bleibt. Einige Beispiele im Überblick.

Die Landwirte

„Was wir draußen auf dem Feld machen, ist zweitrangig“, sagt Jörg Kramm, „relevant sind die Unterlagen, die wir im Büro bearbeiten müssen.“ Der Kreislandwirt im Landkreis Kassel sieht in seiner Branche die Bürokratie auf die Spitze getrieben. Kramm betreibt nicht nur Ackerbau, sondern mästet Schweine und hält Hühner. Bei seinen Hühnern hat er es gleich mit mehreren Behörden und Institutionen zu tun. Das Veterinäramt schaut nach den Tieren, das Lebensmittelüberwachungsamt prüft, dass die Eier in Ordnung sind und das Regierungspräsidium kontrolliert die Packstelle für die Eier. Weil die amtlichen Kontrolleure sich nicht anmelden und täglich auf dem Hof erscheinen können, „muss die notwendige Dokumentation immer auf tagesaktuellem Stand sein“, sagt Kramm. Und was Umsatz, Erlöse und Steuern angehe, „da schwebt selbstverständlich über allem das Finanzamt.“

Jörg Kramm kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als sein Vater den Hof führte. Der habe zehn Ordner geführt und sich abends zehn Minuten vor der Tagesschau an den Tisch gesetzt und seine Kladde ausgefüllt. „Wenn ich heute eine Stunde im Stall bin, dann sitze ich anschließend drei Stunden im Büro.“

Ähnlich hohen Verwaltungsaufwand müssen Landwirte bei der Feldarbeit leisten. „Bevor wir Dünger streuen können, müssen wir erstmal einen Plan machen.“ Für jeden einzelnen Acker ist eine Schlagkartei zu führen. Darin werden eingetragen, dass beim Düngerstreuen die Sperrfristen eingehalten wurden, dass der Abstand zu Gewässern eingehalten wurde und dass die Höchstmengen beachtet worden sind.

„Wir wollen als Landwirte doch nur produzieren“, sagt Kramm, „und nicht in der Bürokratie ersticken.“ Er habe zwar Bauer gelernt, doch heute sei er mehr Verwaltungsfachkraft als Landwirt. Der Kreislandwirt kann verstehen, dass es manchem in seiner Branche, aber auch in der Gastronomie oder im Handwerk „einfach zu viel wird und der Betrieb nicht weitergeführt wird.“

Steht in der Deutschen Eiche in Grebenstein nicht nur hinter der Theke: Inhaberin Kirsten Weiß kümmert sich auch um die Hotelzimmer.
Steht in der Deutschen Eiche in Grebenstein nicht nur hinter der Theke: Inhaberin Kirsten Weiß kümmert sich auch um die Hotelzimmer. © Natascha Terjung

Die Gastronomen

Auch die Gastronomie-Branche ist vor der Bürokratie nicht gefeit: „Es ist extrem geworden. Man kommt vor lauter Papierkram zu nichts“, beklagt Kirsten Weiß, Inhaberin der Deutschen Eiche in Grebenstein. Sie habe mittlerweile eine 520-Euro-Kraft eingestellt, die sie bei den Lohnabrechnungen unterstützt. Ein großes Problem sieht Weiß in der Kommunikation mit den Behörden, die nicht immer reibungslos ablaufe. Die Flut an Formularen raube zusätzlich Zeit, die Weiß lieber nutzen würde, um sich um ihre Gäste zu kümmern. Dazu kämen Verordnungen wie etwa die Kennzeichnung von Allergenen in Speisen.

Hilfreich dagegen sei, dass viele Abläufe im Betrieb digital sind, zum Beispiel Zimmerbuchungen und Reservierungen. Doch auch das sei ein Kostenfaktor. „Man muss ein Allround-Talent sein, sonst braucht man für alles Spezialisten. Aber wer kann sich das schon leisten?“

Digital gut aufgestellt zu sein, ist auch für Jörg Waßmuth vom Hotel und Restaurant Zum Schiffchen in Wolfhagen eine Hilfe. So seien Abläufe effizienter geworden. Doch Verordnungen und Dokumentationen hingegen rauben Zeit, sagt Waßmuth. Vor allem die Nachweise der Allergene in Speisen sei ein Problem, wenn man noch wie er mit frischen Zutaten kocht, anstatt Fertigprodukte zu verwenden. Er weiß, dass einige mittelständische Betriebe daher viele Speisen nicht mehr selbst herstellen.

Betreiben das Restaurant „Zum Schiffchen“ in Wolfhagen, Jörg und Angela Waßmuth.
Betreiben das Restaurant „Zum Schiffchen“ in Wolfhagen, Jörg und Angela Waßmuth. © Christina Zapf

Die Pädagogen

Dass die bürokratischen Anforderungen in Kindergärten mit den Jahren zugenommen haben, merkt auch Kristin Kubitzeck, Leiterin des Montessori-Kinderhauses „Kleine Wölfe“ in Wolfhagen. „In erster Linie wollen wir den Kindern hier gerecht werden.“ Für die Entwicklungsgespräche mit den Eltern seien Protokolle sehr wichtig, doch es solle nicht vergessen werden: „Die Kinder müssen im Vordergrund stehen.“

In Kindergärten sei es sehr hilfreich, viel zu dokumentieren, sagt auch Astrid Kneuer, Pressesprecherin der Stadt Vellmar. „Die Qualität der pädagogischen Arbeit steigt und es ermöglicht Transparenz für die Eltern, wenn beispielsweise die Einschulung des Kindes bevorsteht.“ Vor allem aber sei die Arbeit mit dem Kind wichtig. (Gerd Henke/Stefanie Lipfert/Natascha Terjung)

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