Die HNA in der Ukraine: Die Überlebenden der „Hölle von Bachmut“

Eine Woche lang reist HNA-Redakteur Gerd Henke in die Ukraine. Welche Menschen und Gedanken ihm begegnen, berichtet er in einer Mini-Serie. Diesmal traf er Überlebende aus Bachmut.
Kiew – Zweimal gab es in der Nacht zum Sonntag Alarm. Während wir draußen die Sirenen hören, werden wir im Hotel über die Zimmerlautsprecher aufgefordert, den Luftschutzraum im Keller aufzusuchen. Passiert ist glücklicherweise nichts. Am Morgen hören wir, dass im Osten die langerwartete Frühjahrsoffensive der Ukraine begonnen haben soll. Wenn das tatsächlich so ist, dann gab es am Donnerstagabend ein gutes Omen.
Denn da, so lässt die Regierung mitteilen, sei der ukrainischen Luftabwehr ein bedeutender Schlag gelungen. Im Luftraum über Kiew sei eine Kinschal abgeschossen worden. Die Hyperschallrakete ist die sogenannte Wunder-Waffe der Russen. Aber gegen das amerikanische Flugabwehrsystem Patriot hatte die Kinschal diesmal offenbar keine Chance.
Während wir uns nach einer Woche Aufenthalt in der Ukraine auf die Rückkehr nach Deutschland vorbereiten, zieht Dmytro an die Front. Der 39-Jährige ist Hauptmann der Armee und Vorgesetzter von knapp 40 Soldaten. Der Trupp wird in Richtung Mariupol verlegt. Die Hafenstadt am Asowschen Meer ist von Russen besetzt. Sie soll wie andere Gebiete in der Frühjahrsoffensive zurückerobert werden.
Die HNA in der Ukraine: Ausstattungsmaterial für die Soldaten ist knapp
Das Ausstattungsmaterial für die Soldaten ist jedoch knapp. Das Militär stellt Dmytros Einheit drei Lkws und zwei Pick-ups zur Verfügung. Aber der Trupp benötigt ein weiteres Allrad-Fahrzeug, erzählt uns der Hauptmann im Hotel. Genau an dieser Stelle haben Günter Rüddenklau und Ottmar Rudert wiederum die Möglichkeit zu helfen. Zwei Telefonate mit einem befreundeten Händler in der Heimat und ein gebrauchter Pick-up für Dmytro ist geordert. Am Sonntag hören wir, dass ein Verbindungsmann des Hauptmanns mit dem Fahrzeug bereits auf dem Weg zurück in die Ukraine ist. Hier wird es in den nächsten Tagen von Silbergrau in Olivgrün umlackiert.
Anna, Dmytros Ehefrau, sitzt mit am Tisch. Weil sie sehr bedrückt scheint, fragen wir sie: „Was sind deine Gefühle, wenn du deinen Mann an die Front ziehen lassen musst?“ Mit leiser, aber fester Stimme antwortet Anna: „Es ist furchtbar und ich bin sehr, sehr traurig. Aber unsere Männer müssen kämpfen. Wir müssen gewinnen.“

Als vor Monaten die Kämpfe um die Stadt Bachmut begannen, gingen Beobachter davon aus, die Stadt im Bezirk Donezk würde in wenigen Wochen fallen. Doch auch Monate nach dem erbitterten Stellungskampf hält die Ukraine die strategisch wichtige Stadt immer noch. Allerdings sind von den früher 70 000 Einwohnern heute nur noch ein paar Tausend in der „Hölle von Bachmut“.
Die Überlebenden der „Hölle von Bachmut“ haben Unmenschliches erlebt
In Stara Kotlnya, einer Kleinstadt zwischen Kiew und Zhytomyr, haben wir am Donnerstag zwölf Zivilisten aus Bachmut getroffen: Ein altes Ehepaar, ältere Frauen, Mütter, einen 21-Jährigen und ein Kleinkind. Die Gruppe war von einigen Soldaten evakuiert worden und ist nun in einem Hospital in Stara Kotlnya in Sicherheit. Ihre Häuser und Wohnungen in Bachmut sind alle zerstört. Eine Frau berichtet, sie habe ein Jahr lang im Keller verbringen müssen. Eine junge Mutter ist mit ihrem Vierjährigen hier, ein anderer Sohn sei bei den Großeltern.
Als wir fragen, wo ihr Mann ist, senkt sie den Kopf, bricht in Tränen aus und verlässt den Raum. „Er ist noch in Bachmut“, sagt eine andere Frau. Ihr Ehemann kämpfe weiter in der „Hölle von Bachmut“. Beim Abschied von der Gruppe können wir nicht mehr viel sagen. Wenn wir in ihre leeren Augen blicken, erkennen wir, dass sie Unmenschliches gesehen und erlebt haben. Diese Monate werden sie wohl nie mehr los.
Zum Abschied nehmen wir alle in den Arm. Für einen Moment lösen sich ihre Gesichtszüge und sie lächeln ein wenig. Rudert und Rüddenklau lassen Lebensmittel und Süßigkeiten für die Gruppe da. Es ist für den Moment alles, was wir tun können. (Gerd Henke)
Bevor HNA-Redakteur Gerd Henke den Überlebenden aus Bachmut begegnete, führte ihn seine Reise durch die Ukraine nach Butscha. Dort traf er einen Mann, der die Folter der Russen dort miterlebt hatte.