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Krieg in der Ukraine: Pfarrer Nicolai Vieru spricht im Interview über die Lage vor Ort

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Von: Gerd Henke

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Der Pfarrer einer Pfingstgemeinde – hier mit einem Betreuten – ist der verlängerte Arm der Südosteuropahilfe von Günter Rüddenklau und Ottmar Rudert.
 Der Pfarrer einer Pfingstgemeinde – hier mit einem Betreuten – ist der verlängerte Arm der Südosteuropahilfe von Günter Rüddenklau und Ottmar Rudert. Er kümmert sich um die gerechte Verteilung von Sachspenden und betreut das Altenheim im Dorf Iwanowa. © Privat

Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Hilfsbereitschaft im Landkreis enorm. Nicolai Vieru kümmert sich um die Verteilung von Sachspenden im ukrainischen Dorf Iwanowa.

Damit die vielen Hilfen und Spenden aus Deutschland in der Ukraine ankommen, braucht es zuverlässige, vertrauensvolle Menschen vor Ort. Einer von ihnen ist Nicolai Vieru, Pfarrer einer Kirchengemeinde in einem Ort nahe der Großstadt Zhytomyr. Redakteur Gerd Henke sprach mit dem 55-Jährigen Mittwochabend am Telefon. Unsere Fragen vom Englischen ins Ukrainische übersetzte Anton Kravitz.

Herr Vieru, der Krieg in Ihrer Heimat tobt jetzt ein Jahr. Wie geht es Ihnen?

Mir persönlich geht es ganz gut – ich bin gesund. Aber in unserem Nachbardorf haben gestern 50 Familien die Nachricht erhalten, dass ihre Söhne an der Front im Osten gefallen sind.

Das ist ja furchtbar!

Das ist ein Alptraum. Wenn das so weitergeht, haben wir im Frühjahr keine Leute mehr, die die Saat auf den Feldern ausbringen können.

Als Pfarrer Ihrer Gemeinde müssen Sie in dieser Zeit viel Trost spenden. Aber Sie helfen ja auch vielen Menschen tatkräftig.

Wir sind immer unterwegs, um die Not zu lindern. Einem behinderten Mann ist vor ein paar Tagen das Dach über dem Kopf abgebrannt. Jetzt versuchen wir, Material zu beschaffen, damit er sein Haus wieder trocken kriegt.

Sie kümmern sich auch um das Altenheim in Iwanowa. Für dieses Heim erhalten Sie Spenden auch aus Deutschland.

Dafür sind wir sehr dankbar. Die meisten der 43 alten Leute sind bettlägerig. Mit dem Geld, das uns Ottmar und Günter jeden Monat überweisen, können wir Lebensmittel, Windeln, Unterlagen, Bettwäsche und Körperpflegemittel kaufen. Die beiden sind wie Evangelisten, sie bringen uns Heil. Was uns heute fehlt, sind medizinische Geräte. Beatmungsgeräte und Ultraschall-Geräte haben wir an die Lazarette für unsere verwundeten Soldaten abgegeben. Noch haben wir keinen Ersatz dafür.

Sie selber haben auch schon Zeiten von Not und Vertreibung erlebt.

Ja, ich habe schon zweimal meine Heimat verloren. Als Moldawier sind wir Anfang der 1990er Jahre vor den Russen aus Transnistrien in den Donbas geflohen. Aber auch dort haben uns die Russen 2014 vertrieben. Jetzt versuchen sie, uns aus der ganzen Ukraine zu vertreiben. (und fügt mit bitterem Sarkasmus hinzu): Ich weiß, wie sehr die Russen uns lieben. Ich habe mein ganzes Leben russisch gesprochen, aber nun kann ich die Sprache nicht mehr hören. Ich spreche nur noch ukrainisch.

Aber eigentlich sind Russen und Ukrainer doch ein Brudervolk.

Es ist wie in der biblischen Geschichte im Alten Testament von Kain und Abel. Der eine bringt den anderen um.

Was meinen Sie, wie wird es für die Ukraine weitergehen?

Bis zu dem Überfall hatten wir die Freiheit in der Ukraine, wir waren auf einem guten Weg. Aber heute sind wir Ukrainer viel enger zusammengerückt als noch vor einem Jahr. Wir hoffen auf den Sieg. Wenn nicht, dann kommt der Krieg auch nach Europa. Schließlich sind wir schon heute das geographische Zentrum des Kontinents.

Was benötigt die Ukraine dafür?

Ohne eure ökonomische Hilfe und eure Waffen können wir nicht gewinnen, sonst erreicht Putin sein Ziel. Im Karneval in Köln fuhr ein Wagen, auf dem Putin ein Bad im Blut nahm. Das trifft es genau: Er ist genauso wie Hitler und Stalin, Menschenleben spielen keine Rolle.

Sie verlieren aber Ihre Hoffnung nicht?

Nein, auf keinen Fall. Ich habe nämlich gerade eine gute Nachricht erhalten: Der Oblast Zhytomyr hat uns die Genehmigung erteilt, eine weitere kleine Kirche bauen zu können. Wir müssen mehr in der Bibel lesen.

Das Interview führte Gerd Henke

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