Thomas Ackermann, Dezernent für Umwelt und Klimaschutz, betont zudem: „Offenbar gibt es eine Nachschärfungspflicht aufseiten der hessischen Landesregierung, wenn der VGH diese Unklarheiten aufdeckt.“
Die Windpark Reinhardswald GmbH selbst hinterfragt das Vorgehen des VGH ebenfalls. Warum aktuelle Gesetze, wie das überragende öffentliche Interesse am Ausbau der Windenergie beim Gericht nicht berücksichtigt würden, verstehe Geschäftsführer Ralf Paschold nicht. Die Windpark GmbH werde dennoch „konstruktiv mit diesem Beschluss umgehen und die offenen Punkte abarbeiten.“ Dann werde sie nach Erhalt der vom Landkreis Kassel ausgesprochenen Genehmigung den gesetzlich vorgesehenen Änderungsantrag stellen. Paschold und sein Team seien sich sicher, die vorgebrachten Punkte ausräumen zu können.
Der Geschäftsführer hebt hervor: „Im Ergebnis gehen wertvolle Monate zum Ausbau der Windenergie verloren, da aufgrund der gesetzlichen Rodungsfrist vom 28. Februar bis zum 1. Oktober deutlich wird, dass sich dieses Projekt erneut verzögert.“
Auf Anfrage erklärt VGH-Pressesprecher Benjamin Renner: „Der Landkreis Kassel ist als untere Bauaufsichtsbehörde für die Erteilung einer Baugenehmigung grundsätzlich zuständig – auch, wenn es um den Aus- oder Neubau von Wegen geht.“
Eine Baugenehmigung sei zusätzlich einzuholen, wenn wie im Reinhardswald in einem Waldgebiet gelegene Forstwege für den Schwerlastverkehr ausgebaut werden sollen. „In solchen Fällen reicht es nicht aus, sich nur die Rodung von Bäumen für diese Baumaßnahme vom Regierungspräsidium genehmigen zu lassen“, sagt Renner.
Für den Neu- oder Ausbau von Wegen gebe es – anders als bei den Arbeiten auf den Anlagenstandorten selbst – keine Vorschrift, die eine Konzentration des Verfahrens beim Regierungspräsidium für alle erforderlichen Genehmigungen anordnet. Das habe zur Folge, dass ein Vorhabenträger für jede erforderliche Genehmigung bei der zuständigen Behörde einen Antrag stellen und ein Verfahren führen muss. Renner erklärt: „Das kann dazu führen, dass sowohl das Regierungspräsidium als auch ein Landkreis mit einer solchen Baumaßnahme befasst werden.“
Die Klägerin im Verfahren, die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Oberweser-Bramwald, zeigt sich indes in ihrem Vorgehen bestätigt. „Wir begrüßen die Entscheidung des VGH als einen weiteren Teilerfolg“, sagt BI-Vorsitzende Gabriele Niehaus-Uebel. Dass die Arbeiten schon wieder auf Eis liegen, zeige, dass „wohl einiges nicht in Ordnung war.“ Würden Verfahren vernünftig geführt, würde es keine Klagen geben, betont Niehaus-Uebel.
Das Regierungspräsidium (RP) Kassel hatte vor rund einem Jahr die Genehmigungen für den Bau der geplanten 18 Windkraftanlagen erteilt. Zur VGH-Entscheidung sagt Pressesprecher Hendrik Kalvelage: „Die Obere Forstbehörde hat die Zuwegungsgenehmigung nach eingehender Prüfung der Antragsunterlagen unter Berücksichtigung naturschutz- und forstrechtlicher Belange erteilt.“
Die Genehmigung stehe nach seiner Auffassung im Einklang mit der seit Jahren geübten Praxis bei zurückliegenden Verfahren. Das RP werde die schriftliche Begründung des VGH hinsichtlich der erforderlichen Baugenehmigung vom Landkreis eingehend analysieren. Insgesamt gehe das RP weiterhin von der Genehmigungsfähigkeit des Gesamtvorhabens aus. Weitere öffentliche Statements wolle die Behörde nicht abgeben.
Das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen äußert sich auf die Frage, ob die Hessische Bauordnung jetzt konkreter formuliert werden müsse. Sprecher Wolfgang Harms sagt: „Die Auffassung des VGH hat uns sehr überrascht, weil in der Anlage zur Hessischen Bauordnung ausdrücklich die Genehmigungsfreiheit von Zuwegen zu einem Baugrundstück festgeschrieben ist.“ Inwieweit dieser Beschluss im Eilverfahren Auswirkungen auf die zukünftige Einordnung von Zuwegungen zu Baugrundstücken von Windenergieanlagen haben wird, könne erst beurteilt werden, wenn auch die Begründung des Beschlusses veröffentlicht wurde.