Starke Frauen aus dem Kreis Kassel setzen auf Gleichberechtigung

Heute ist Weltfrauentag. Seit mehr als 100 Jahren wird an diesem Tag auf die Gleichstellung der Geschlechter und Frauenrechte aufmerksam gemacht sowie gegen Diskriminierung von Frauen demonstriert.
Kreis Kassel – Karriere oder Familie? Für viele Frauen ist klar: Beides muss möglich sein. Das zu schaffen, ist nicht immer einfach – aber nicht unmöglich. Der heutige Weltfrauentag ist Anlass, um genauer hinzuschauen: Wie schaffen es Frauen im Landkreis Kassel, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen? Welche Schwierigkeiten sind ihnen im Arbeitsumfeld begegnet? Und haben sie Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erlebt? Darüber haben wir mit fünf Frauen aus dem Kreis gesprochen.
Die Geschäftsführerin
„Es braucht Frauen, die mutig die Führung übernehmen.“ Seit vier Jahren ist Ina Bäcker Geschäftsführerin des Evangelischen Krankenhaus Gesundbrunnen in Hofgeismar. Als sie die Position übernahm, waren ihre Kinder drei und sechs Jahre alt. Es ist nach wie vor nicht leicht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. „An manchen Tagen ist es einfacher, an manchen schwerer“, sagt die 42-Jährige. Das gelinge nur mit Unterstützung ihres Mannes und dank der Flexibilität am Arbeitsplatz.

„Eine Führungsposition muss nicht immer zwingend präsent vor Ort sein.“, sagt die Geschäftsführerin. Um Frauen mit Familie Hürden im Arbeitsleben zu nehmen, müsse sich der Blick auf starre Arbeitsmodelle ändern. Es müsse entschlossener daran gearbeitet werden, dass die gleiche Teilhabe von Männern und Frauen im Beruf eine Selbstverständlichkeit ist, so Ina Bäcker.
„Es muss aufhören, dass sich Frauen dafür rechtfertigen müssen, neben der Kindererziehung zu arbeiten oder sogar eine Karriere anzustreben.“ Frauen dürfen nicht mit einem schlechten Gewissen arbeiten, sondernsollten es mit einem guten Gefühl tun, so Ina Bäcker.
Über die Jahre habe sich schon vieles am traditionellen Frauenbild verändert, so die Mutter. „Leider habe ich das Gefühl, dass Frauen sich heutzutage immer noch ein Stück mehr behaupten oder auch fachlich anders beweisen müssen als Männer in gleichen Positionen.“ Laut Bäcker sollten Frauen mehr an sich glauben und sich nicht weniger qualifiziert fühlen, schließlich „gibt es fachlich keine Unterschiede zu männlichen Kollegen.“
Die Friseurmeisterin
„Wer mich verletzt, entscheide ich.“ Dieses Motto hat sich Regina Arend, Friseurmeisterin und Inhaberin des Salons Arend in Immenhausen im Laufe ihres Lebens zu eigen gemacht. Dass Männer die 61-Jährige unterschätzen, sei im Laufe ihres Arbeitslebens häufiger vorgekommen – zum Beispiel zu der Zeit, als sie ein Haus gebaut habe und man ihr nicht zugetraut habe, genug darüber zu wissen. „Das Klischee ist das Problem“, sagt die Friseurmeisterin, die seit 1997 auch Obermeisterin der Friseur-Innung Hofgeismar-Wolfhagen ist.
Doch sei sie von Männern auch unterstützt worden: Im Umfeld ihrer Tätigkeit in der Innung war sie viele Jahre lang die einzige Obermeisterin, erzählt Regina Arend. „Ich habe mich dabei immer gleichberechtigt und unterstützt gefühlt.“ An ihre Funktion als Obermeisterin sei sie anfangs eher unbedarft herangegangen. Aber: „Jede Erfahrung macht mich reicher“, sagt die 61-Jährige.
Schon früh musste Regina Arend lernen, selbstständig zu sein: Ihr Vater starb, als sie fünf Jahre alt war und ihre Mutter war fortan für die Familie und den Lebensunterhalt zuständig. Das habe irgendwie funktionieren müssen. Ähnlich sei es kurz nach der Geburt ihrer eigenen Tochter gewesen: „Ich habe noch während der Stillzeit angefangen, wieder zu arbeiten“, erzählt Arend. Das sei eine große Herausforderung, mit der Unterstützung ihrer Familie jedoch machbar gewesen.
Doch in der Friseurbranche sei es nicht immer einfach, Arbeitszeiten und Familie aufeinander abzustimmen. In ihrem Salon habe sie immer versucht, dafür eine Lösung zu finden. Generell findet Regina Arend, dass dort, wo es möglich ist, Arbeitszeiten an die Lebensumstände angepasst werden sollten. Auch die Lohnlücke, die es zwischen Männern und Frauen immer noch gibt, sei nicht gerechtfertigt.
Die 61-Jährige wünscht sich, dass Frauen sich untereinander mehr helfen und vernetzen, auch beim Thema Kinder. Eines ist für Regina Arend jedoch klar: „Wir werden immer Ungerechtigkeiten aushalten müssen.“ Doch das bedeute nicht, dass man dem ausgeliefert sei. „Es ist nicht mein Problem, wenn mich jemand unterschätzt, denn wer mich verletzt, das entscheide ich.“

Die Apothekerin
„Was Gleichberechtigung angeht, sind wir schon viele Schritte weiter als noch vor einigen Jahren“, sagt Ilka Grünewald, Apothekerin und Inhaberin der Löwen-Apotheke. Trotzdem gebe es noch Nachholbedarf in einigen Bereichen, zum Beispiel beim Thema Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen. Die 26-Jährige könne sich vorstellen, dass es Frauen vor allem in männerdominierenden Berufen immer noch schwer haben.
Das habe sie in ihrer Tätigkeit in der öffentlichen Apotheke zum Glück nicht erlebt – anders sähe es aber in der Industrie aus, vermutet Grünewald. Im Gegensatz zur öffentlichen Apotheke seien die Arbeitszeiten dort nicht so flexibel, „wenn man erfolgreich sein will“, erklärt Grünewald. Für Mütter sei das natürlich schwierig.
Die Forstamtsleiterin
„Die Forstberufe sind aktuell immer noch stark männerdominiert – das muss sich ändern“, sagt Claudia Gutsche-Stohldreier, Leiterin des Forstamtes Wolfhagen.

Laut Forstamtsleiterin legen ungefähr ein Drittel an Frauen eine klassische Forstlaufbahn hin. Im gehobenen Forstdienst geben es 23 Prozent Frauen, im höheren Forstdienst seien es deutlich weniger. „Oft ist es so, dass viele Frauen noch nie in Erwägung gezogen haben, eine Forstkarriere anzustreben“, sagt Claudia Gutsche-Stohldreier. „Die Berührungspunkte fehlen einfach.“
Obwohl der Beruf des Försters sehr männerdominierend sei, fühlt sich die 40-Jährige und Mutter zweier Kinder sehr wohl. „Klar gab es auch mal den ein oder anderen blöden Spruch“, sagt sie. Doch Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts habe sie nicht erlebt. Auch was das Gehalt angeht, stehe sie ihren männlichen Kollegen in Nichts nach: „Da wir tariflich bezahlt werden, verdienen Frauen genauso viel wie die männlichen Kollegen.“
Familie und Beruf kann die Forstamtsleiterin gut koordinieren. „An manchen Tagen ist es sehr organisationsintensiv“, sagt Gutsche-Stohldreier. „Aber ich habe das Glück, dass mein Mann mich unterstützt und wir uns die Aufgaben teilen.“ Absprachen seien das A und O. „Das Verständnis des Arbeitgebers für die familiäre Situation ist sehr wichtig und durch das Homeoffice kann ich auch flexibler für meine Familie da sein.“
Die promovierte Forstwissenschaftlerin möchte ambitionierten Frauen eins mit auf dem Weg geben: „Mutig sein und neue Wege gehen.“ Frauen würden in den klassischen Männerberufen dringend benötigt, so Gutsche-Stohldreier. „Und immer daran denken: was die Männer können, das können wir auch!“ Frauen seien genauso gut qualifiziert für den Forstbereich wie Männer, da gebe es keinen Unterschied, da ist sich die Forstamtsleiterin sicher.
Die Ärztin
„Meine Kinder sind 14 und 16 Jahre alt und somit aus dem Gröbsten raus“, sagt Martina Münch, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren. „Meine Kinder sind außerdem sehr eigenständig, das entlastet sehr.“ Martina Münch führt mit ihrem Mann Christian Münch die Gemeinschaftspraxis Dres. Münch in Immenhausen. Neben der Arbeit in der Praxis und der Familie ist sie seit Februar außerdem Vorsitzende der Immenhäuser Philippstiftung. Um Beruf, Familie und Ehrenamt unter einen Hut zu bekommen, sind Organisation und Absprachen besonders wichtig.

Martina Münch könne sich glücklich schätzen, dass sie durch ihre Selbstständigkeit flexibel arbeiten kann. „Wenn ich da an einige Patientinnen denke, die als Bäckerinnen oder im Lebensmitteleinzelhandel arbeiten – die können sich die Zeit für die Familie nicht so einteilen.“ Bei den Münchs sind Berufs- und Privatleben so gut verwoben, dass die beiden Ärzte berufliche Dinge oft beim Spazieren oder am Frühstückstisch besprechen.
Martina Münch kommt aus einer Familie starker und berufstätiger Frauen: „Meine Großmutter war schon vollzeitberufstätig und meine Mutter auch“, sagt die Ärztin. Meine Mutter sagte immer: Es ist wichtig, als Frau unabhängig zu sein.“
Auch das Gesundheitswesen ist nicht frei von Ungerechtigkeiten – so habe sich Martina Münch als Ärztin anfangs behaupten müssen. „Oft ist man einfach nur Schwester“. Sie erinnert sich an eine Situation: „Als ich als Assistenzärztin mit einem Medizinstudenten das Zimmer eines Patienten betreten habe, rief dieser: Ach da ist ja der Herr Doktor! Dann musste ich erst mal klar stellen, dass ich die Ärztin bin und nicht die Schwester.“
Die Vorstandsvorsitzende der Philippstiftung legt Frauen ans Herz, sich mehr zu trauen: „Man kann nichts verlieren, wenn man sich auf neue Wege begibt.“ Man entwickele sich weiter, so die Ärztin. „Das Schlimmste ist, nichts zu machen.“