2016 ertranken drei Kinder zwischen fünf und neun Jahren in einem Löschteich der Stadt Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis). Der damalige Bürgermeister wurde dafür in die Verantwortung genommen. Das Amtsgericht Schwalmstadt urteilte im „Teichprozess“ 2020: „fahrlässige Tötung“ mit einer Geldstrafe von 12 000 Euro. Im Berufungsprozess vor dem Marburger Landgericht lautete vergangene Woche das Urteil ebenfalls „fahrlässige Tötung“. Die Geldstrafe nun: 14 000 Euro.
Für die Attraktivität des Bürgermeisteramtes sei das Urteil jedenfalls nicht zuträglich. „Die Aufgaben nehmen stetig zu.“ Von Europäischer bis zur Landkreisebene wirkten Gesetzgebungen auf Kommunen. Die Bürgermeister seien eigentlich von Montag bis Sonntag im Dienst. „Wir sind omnipräsent und für alles zuständig“, sagt Schreiber. „Wo hört die Verantwortung auf?“
Wenn die Verantwortung an die Bürgermeister weitergereicht werde und gleichzeitig die Wahlbeteiligungen sinken und damit vielleicht nur noch knapp ein Viertel der Bevölkerung hinter dem Bürgermeister stehe, sei das kein Argument für den Job. „Aus den ersten Kommunen kommen schon Signale, dass keine Kandidaten mehr gefunden werden“, sagt Schreiber. „Es ist eine Tragödie, was in Seigertshausen passiert ist“, betont er. Was ihm in der Diskussion aber fehle: „Wir müssen auch über die Aufsichtspflicht von Eltern sprechen.“
Vor sieben Jahren ertranken drei Kinder in einem Löschteich in Seigertshausen (Schwalm-Eder-Kreis). In der vergangenen Woche stand der ehemalige Bürgermeister zum zweiten Mal wegen des Unglücks vor Gericht – dieses Mal im Berufungsprozess. „Fahrlässige Tötung“ sowie eine Geldstrafe von 14 000 Euro lautete der Richterspruch beim Marburger Landgericht. Prozess und Urteil wirken sich auch auf das Verhalten der Bürgermeister im Kreis Kassel aus.
Nach der Urteilsverkündung in Marburg stieß Grebensteins Bürgermeister Danny Sutor eine Prüfung für die künstlichen Gewässer im Stadtgebiet an. Das Urteil an sich sieht er aber kritisch. Denn auf den ersten Blick vermittele es nicht nur den Eindruck, dass nun sämtliche künstlich geschaffene Gewässer eingezäunt werden müssten. Es suggeriere auch, dass Städte, Gemeinden und ihre Bürgermeister in jedem Lebensbereich der Bürger die Verantwortung übernehmen müssten. „Gibt es noch eine Eigenverantwortung?“ Inzwischen bewege sich Deutschland auf amerikanische Verhältnisse zu, findet Sutor. „Es wird immer ein Schuldiger gesucht.“ Er bezweifelt, dass die Konsequenzen eines solchen Urteils von den Verwaltungen in voller Tragweite umgesetzt werden können. „Kontrollen müssen auch dokumentiert werden. Wieder ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand.“
Immenhausens Bürgermeister Lars Obermann spricht sich klar gegen eine Umzäunung der Teiche aus. „Es geht hier auch um die Nutzbarkeit.“ Einer der Teiche im Gebiet der Stadt werde beispielsweise vom Angelverein genutzt. „Nur wenn wir es müssen, werden wir die künstlichen Gewässer einzäunen.“ Schließlich werde „im Rahmen der Möglichkeiten“ schon „alles getan“. So habe die Stadt nach dem Unglück im Jahr 2016 die Gewässer überprüft. Das Ergebnis: Keine Umzäunung notwendig. Obermann mahnt aber auch: „Wir können nicht jedes Unrecht dieser Welt verhindern.“ Das hätte weitreichende Folgen. „Wer will denn so eine Verantwortung noch übernehmen?“ Dazu gäbe es einfach zu viele Gefahren. „Auf unsere Stadtmauer kann auch jemand klettern und herunterfallen.“ Das Unglück in Seigertshausen wolle er nicht herunterspielen. Das Urteil finde er dennoch bedenklich.
Die Gemeinde Habichtswald wurde nach dem Unglück ebenfalls aktiv, weiß Bürgermeister Dr. Daniel Faßhauer. In Ehlen etwa. Da wurde kurzerhand ein Kinderspielplatz abgesichert, der direkt an der Warme liegt. Inzwischen beziehe man bei Planungen von vornherein die Problematik mit ein. So auch beim neuen Mehrgenerationenplatz.
„Es ist ein Spagat zwischen notwendigem Schutz und einer Einschränkung, bei der nichts mehr geht“, sagt Faßhauer. Schließlich solle auch noch ein Leben stattfinden. Wohlwissend, dass immer weniger Kinder schwimmen können, sei man aber in jedem Falle sensibilisiert für das Thema. Deshalb gehe die Politik in Habichtswald die Problematik aktiv an, versuche zum Beispiel, mit Schwimmkursen Gefahren entgegenzuwirken.
Ralf Eberwein, Bürgermeister in der Gemeinde Söhrewald, verweist als langjähriger Versicherungskaufmann auf einen weiteren Punkt in dem „Teichprozess“. „Es gab Versäumnisse“, sagt er.
Vieles sei schon vorher bemängelt, aber nicht behoben worden. „Wenn nicht gehandelt wird, ist das grob fahrlässig.“ Eine pauschale Aussage zum Einzäunen von künstlichen Gewässern hält er deshalb nicht für richtig. „Eine Prüfung ist wichtig. Wir müssen dies aber im Einzelfall tun“, sagt Eberwein. (Hanna Maiterth)