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HNA-Redakteur über seine Zeit in der Ukraine: „Dieser Krieg berührt uns unmittelbar“

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Von: Thomas Thiele, Daria Neu, Natascha Terjung

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Eine bewegende Reise ins Kriegsgebiet liegt hinter HNA-Redakteur Gerd Henke. Im Interview schildert er seine Eindrücke.
Eine bewegende Reise ins Kriegsgebiet liegt hinter HNA-Redakteur Gerd Henke. Im Interview schildert er seine Eindrücke. © PRIVAT

HNA-Redakteur Gerd Henke reiste eine Woche lang ins Kriegsgebiet in der Ukraine. Im Interview spricht er über seine Erlebnisse und Eindrücke.

Hofgeismar – Gerd Henke hat in seiner journalistischen Laufbahn vieles erlebt. Auch Krisen, dramatische Bilder und bewegende Geschichten gehören dazu. Die einwöchige Reise in das ukrainische Kriegsgebiet war jedoch selbst für den erfahrenen HNA-Redakteur ein Erlebnis, das mit keinem anderen zu vergleichen ist. Wie ihn diese Woche verändert hat und welche Gedanken ihn nachhaltig begleiten, hat er uns im Interview erzählt.

Gerd, die Frage klingt banal, aber sie ist wichtig: Wie geht es dir gerade?

Ich bin noch etwas müde und geschafft, aber im Grunde geht‘s mir gut. Ich bin sehr zufrieden mit dem Erfolg der Aktion und mit der tollen Aufnahme, die wir in der Ukraine erlebt haben.

Hast du dich durch die Reise in die Ukraine verändert?

Ob ich mich als Mensch verändert habe, kann ich nicht sagen. Aber möglicherweise haben sich gewisse Einstellungen verändert.

Welche?

Meine Einstellung in Bezug aufs Leben und Sterben. Wir haben in der Ukraine Situationen gesehen, die wir hier nicht kennen. Sie haben uns gezeigt, wie nah Leben und Tod beieinander sind. Da denke ich zum Beispiel an den Tag, an dem wir einen großen Friedhof bei Zhytomyr besucht haben. Dort war mit Händen zu greifen, welche Wunden der Krieg in dem angegriffenen Land hinterlässt, wie hoch die Opferzahlen sein müssen, von denen offiziell nichts bekannt ist. Und wie auf der anderen Seite gerade in den Großstädten das Leben weitergeht und vor allem junge Menschen versuchen, ihre Jugend auszuleben. Das Erstaunliche ist, dass das normale Leben trotz des Krieges weitergeht. Die Ukrainer sind in der Lage, den Alltag weiter zu organisieren. Sehr oft haben wir uns während der Reise die Frage gestellt: Wie ist es möglich, dass ein Volk diese Widerstandskraft aufbringt? Trotz enormer Opfer, trotz des Bewusstseins darüber, dass jederzeit der nächste Einberufungsbefehl kommen kann. Der Krieg ist natürlich immer allgegenwärtig.

Eine ukrainische Flagge über dem Gräbermeer: Die liebevoll mit Blumen geschmückten Grabstätten zeugen von der unsäglichen Trauer, die den mitten aus dem Leben gerissenen Gefallenen gilt.
Eine ukrainische Flagge über dem Gräbermeer: Die liebevoll mit Blumen geschmückten Grabstätten zeugen von der unsäglichen Trauer, die den mitten aus dem Leben gerissenen Gefallenen gilt. © Gerd Henke

Wenn du ein Gefühl beschreiben müsstest, das diese besondere Reise bei dir hinterlassen hat – welches wäre es?

Da ist vor allem die Empörung über diese Sinnlosigkeit. Und außerdem ist mir einmal mehr bewusst geworden, in welcher heilen Welt wir hier in Deutschland leben. Nur ein paar Hundert Kilometer weiter wird ein brutaler Krieg geführt.

Hattest du in irgendeinem Moment Angst?

Nein, Angst direkt nicht. Aber: Noch nie in meinem Leben habe ich einen Luftalarm gehört. Als wir am vergangenen Donnerstag in Kiew waren, die Sirenen hörten und tatsächlich am Himmel sahen, wie eine Rakete abgeschossen wurde – da beschleicht einen dann doch ein mulmiges Gefühl. Man schaut nach dem nächsten Unterschlupf, nach der nächsten U-Bahn-Station.

Hattest du dir die Lage im Vorfeld der Reise anders vorgestellt?

Ich hatte keine konkreten Erwartungen. Und zwar, weil ich schon wusste, dass man sich die tatsächliche Situation im Vorfeld gar nicht vorstellen kann. Seit 2014 beobachte ich das Geschehen in der Ukraine. Erst recht seit dem 24. Februar 2021. Was mich vor diesem Hintergrund erstaunt – und was ich womöglich nicht erwartet hatte –, ist die von außen betrachtete Normalität in der Gesellschaft und wie riesig der Zusammenhalt wirklich ist.

Wie schätzt du die aktuelle Gefahr für die Ukraine ein?

Ich persönlich setze darauf, dass die lang erwartete Offensive stattfindet und dass diese dann auch erfolgreich sein wird. Ich setze darauf, dass es den ukrainischen Streitkräften gelingt, die Russen zurückzudrängen. Ob das auf ganzer Linie gelingt, das weiß niemand. Die Widerstandskraft und die Fähigkeiten der Ukraine sind aber mittlerweile zu groß, um niedergerungen zu werden. Das ist meine Hoffnung.

Und welche Rolle spielen wir dabei?

Es ist keine Option für uns, die Hände in den Schoß zu legen. Das ist ein Krieg, der uns unmittelbar berührt. Es wäre nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein solcher Aggressor erfolgreich wäre. Nach allem, was wir von Putin wissen, würde ihn ein Erfolg in der Ukraine nicht stoppen. Und deshalb müssen wir höllisch aufpassen, dass Russland nicht zum Erfolg kommt.

Zur Person

Gerd Henke (68) arbeitet seit 1990 bei der HNA. Zuvor studierte er in Göttingen Sozialwissenschaften. Sein Volontariat absolvierte er bei den Lübecker Nachrichten. Der Redakteur verfolgt das Geschehen in der Ukraine schon seit 2014 intensiv, hat zahlreiche Berichterstattungen mit lokalen Ansprechpartnern auf den Weg gebracht und ist nun zum ersten Mal selbst ins Kriegsgebiet gereist.

Das Interview führten Thomas Thiele, Daria Neu und Natascha Terjung.

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