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Im Alter nicht allein sein: WG-Leben mit 92 Jahren

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Von: Josefin Schröder

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Gemeinsame Bastelstunde: Beim Ausschneiden schult die 92-jährige Marie-Luise Meding ihre Feinmotorik.
Gemeinsame Bastelstunde: Beim Ausschneiden schult die 92-jährige Marie-Luise Meding ihre Feinmotorik. © Schröder, Josefin

Ein Besuch in der Senioren-Wohngemeinschaft in Espenau.

Espenau – Im hohen Alter selbstbestimmt, aber nicht allein leben – das wünschen sich viele. Doch wie geht das? Zum Beispiel in einer Wohngemeinschaft. WGs kennen die meisten aus Studienzeiten. Aber auch später im Leben kann die Wohnform den richtigen Mix aus Eigenständigkeit und Gemeinschaft bieten. Wie Senioren-WGs funktionieren, zeigt das „Soziale Zentrum Neue Mitte“ der Werk-Hilfe in Espenau.

Mit Café, Hochbeeten und einem Teich erinnert die Anlage eher an eine kleine Neubausiedlung und nicht an ein Altersheim. Senioren können hier autark, in eigenen Wohnungen mit Balkon oder Terrasse leben. Brauchen sie Hilfe beim Einkaufen oder Duschen, steht ihnen ein Pflegedienst zur Seite. „Für Personen, die einen erhöhten Pflegebedarf haben, für die aber eine typische stationäre Einrichtung nicht in Frage kommt, gibt es zwei Wohngemeinschaften: eine Alters-WG und eine Demenz-WG“, erklärt Katja Dingler. Sie leitet die Einrichtung seit 2020.

Die WGs umfassen jeweils zwölf Zimmer mit eigenem Bad. Die Möbel dafür bringen die Senioren beim Einzug mit. Ob es der geliebte Fernsehsessel ist oder die eigene Bettwäsche: Es sei wichtig, „dass die Menschen mit den Dingen weiterleben, die sie lieben“, sagt die Einrichtungsleiterin.

Über einen hellen Flur öffnet sich jedes Zimmer in den Gemeinschaftsbereich mit Küche und Wohnzimmer. „Die Mahlzeiten werden hier gemeinsam zubereitet und kommen nicht aus einer Großküche, wie es in Altersheimen üblich ist“. Die Senioren helfen beim Kochen mit: Kartoffel schälen, Zwiebeln anbraten, abschmecken. Besonders dementen Bewohnern gebe alleine der Geruch beim Kochen ein Stück Lebensqualität, sagt die 47-Jährige.

Dass die Fähigkeiten der Senioren so lange wie möglich erhalten bleiben, darum kümmert sich auch die Betreuungsassistentin Stephanie Butterweck. Seit sechs Jahren begleitet sie den Alltag der WG-Bewohner in Espenau. In einer Gruppenstunde begrüßen sie gemeinsam den Frühling. Auf dem Plan stehen: Sitzgymnastik, singen, vorlesen und basteln. Schnell wird klar, dass das gemeinsame Singen zur Lieblingsbeschäftigung der Bewohner zählt. Bei „Veronika, der Lenz ist da“ muss Stephanie Butterweck die Melodie nur kurz anstimmen, die Senioren steigen sofort textsicher ein. Auch die, die vorher still und abwesend wirkten. Irene Libuda begleitet den Gesang auf der Mundharmonika. Jedes Lied spielt die 87-Jährige auswendig. Die Stimmung ist ausgelassen, die Bewohner scherzen mit „Frau Stephanie“.

Das Singen begleitet Irene Libuda auf der Mundharmonika.
Das Singen begleitet Irene Libuda auf der Mundharmonika. © josefin schröder

Beim anschließenden Basteln kehrt eine angespannte Ruhe ein. Für die Aufgabe, ein Vogelmotiv akkurat auszuschneiden, müssen sich alle konzentrieren. „Hier wird die Feinmotorik geschult“, sagt die Alltagsbegleiterin. Der 92-jährigen Marie-Luise Meding gelingt es sehr gut. Das Alter merkt man ihr nicht an. „Ich bin froh, wenn ich Arbeit kriege“, sagt sie. Wäsche zusammenlegen, Tisch decken, aufräumen – diese Aufgaben übernimmt sie freiwillig in der WG. Sie lebt gerne dort. Das Zusammenleben mit zwölf Menschen bedeute allerdings auch, sich anzupassen, Kompromisse einzugehen. „Ich bin aber nicht bereit, Kopfstände zu machen, nur für die Gemeinschaft“, sagt Marie-Luise Meding entschieden, die anderen lachen.

Einrichtungsleiterin Katja Dingler in der integrativen Wohnanlage in Espenau.
Einrichtungsleiterin Katja Dingler in der integrativen Wohnanlage in Espenau. © Schröder, Josefin

Die übliche Betreuungszeit ist täglich von 9 bis 14 Uhr. Im Moment sei das durch den Personalmangel schwierig umzusetzen. Auch der Nachwuchs fehle. „Am Wochenende und in Schichten zu arbeiten und an freien Tagen auch mal für Kollegen einzuspringen, das schreckt viele ab“, berichtet Stephanie Butterweck.

Nach 90 Minuten ist die Gruppenstunde vorbei, einige der Bewohner verabschieden sich in ihre Zimmer. Wer will, hilft bei der Vorbereitung des Mittagsessens. Die Senioren in möglichst viele Entscheidungen miteinzubeziehen, darauf basiere das Konzept der Einrichtung. „Das kommt gut an“, sagt Katja Dingler. Die Warteliste für die Alters-WG sei lang.

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