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Interview mit Pflegerin: „Keiner möchte diesen Beruf machen“

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Von: Valerie Schaub

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Zeit für Gespräche bleibt im Berufsalltag: Pflegefachkraft Elena Ruff und die beiden Heimbewohner Ruth Chad-Bakht (86) und Ehemann Husein Chad-Bakht (90) im Garten des Awo-Altenheims in Fuldabrück-Dörnhagen.
Zeit für Gespräche bleibt im Berufsalltag: Pflegefachkraft Elena Ruff und die beiden Heimbewohner Ruth Chad-Bakht (86) und Ehemann Husein Chad-Bakht (90) im Garten des Awo-Altenheims in Fuldabrück-Dörnhagen. © Valerie Schaub

Elena Ruff arbeitet in einem Altenzentrum in Fuldabrück und spricht über Probleme, Herausforderungen und die schönen Seiten des Pflegeberufs.

Fuldabrück – Personalnot, Pandemie, körperliche Arbeit – der Alltag in einem Pflegeheim kann hart sein. Zum heutigen Tag der Pflegenden haben wir darüber mit Elena Ruff gesprochen. Sie ist examinierte Pflegefachkraft im Awo-Altenzentrum Fuldabrück, Wohnbereichsleiterin und stellvertretende Pflegedienstleitung.

Frau Ruff, wie fängt für Sie ein Arbeitstag an?

Ich fange um 6.30 Uhr an, hole mir die Übergabe von der Nachtschicht, schaue mir an, was anliegt. Ich habe immer mein Team dabei, an das ich auch Aufgaben delegiere. Dann fangen wir mit der Pflege an: Von Rücken waschen und Strümpfe anziehen bis zur Ganzkörperwäsche, Medikamente und Essen verabreichen, ankleiden. Und auch mal trösten und in den Arm nehmen, wenn jemand traurig ist.

Wie viel Zeit bleibt für so etwas wie Trösten oder Patienten zuhören?

Wir haben hier schon Zeit, um mit Patienten zu sprechen, um zuzuhören, was sie von früher erzählen oder was sie jetzt beschäftigt. Wir sind hier relativ gut besetzt. Auf 24 Bewohner kommen eine examinierte Kraft, zwei Helfer und vielleicht noch Schüler. Mit diesem Schlüssel kann man sich im Normalfall tatsächlich die Zeit nehmen.

Kennen Sie das auch anders?

Ja, ich kenne das auch mit anderen Zahlen an Bewohnern und Personal von vorherigen Arbeitgebern. Das war auch der Grund zu wechseln. Ich wollte die Verantwortung nicht mehr tragen. Man möchte sich noch im Spiegel anschauen können. Wenn du weißt, du wirst – zu zweit bei 30 Patienten – einem Bewohner nicht mehr gerecht, ob beim Waschen oder Essen anreichen – dann kannst du das irgendwann nicht mehr. Auch psychisch nicht. Du weißt nicht, was dich im nächsten Zimmer erwartet, weil du schon stundenlang nicht mehr drinnen warst. Dann beschweren sich Angehörige. Und dann bittest du um Hilfe, und es passiert nichts. So was kenne ich auch. Wenn du nicht mehr schlafen kannst und klar denken kannst, weil du so überlastet bist. Und das hat nichts mit Corona-Zeiten zu tun.

Sie sprechen ein großes Problem an: Es gibt zu wenig Personal. Wie können junge Menschen für den Beruf motiviert werden?

Die Schulen sind voll, aber die Heime sind leer. Es möchte keiner diesen Beruf machen. Oder sie gehen nach der Ausbildung zu Zeitarbeitsfirmen. Da verdienen sie natürlich mehr, aber viele Zeitarbeiter fühlen sich nicht für das Ganze verantwortlich. Sie sind nicht mit dem Herzen dabei. Sie machen keine Dokumentation oder Ähnliches. Sie sind ein, zwei Wochen da und gehen morgen wieder weiter. Ein fester Mitarbeiter bringt alles mit ein, damit es funktioniert. Ich finde, durch die Zeitarbeit wird noch mehr kaputt gemacht.

Was denken Sie, wieso kaum ein Pflegeschüler in dem Beruf arbeiten will?

Die Schüler sehen ja, was in den Altenheimen passiert. Da hätte ich auch keine Lust mehr. Ein Praxisanleiter hat oft nicht die Zeit, einen Schüler anzuleiten, weil das Heim unterbesetzt ist. Die Schwester muss dann selbst ran und ist froh, wenn sie den Dienst hinter sich hat. In den meisten Fällen sind die Schüler dann nur fürs Waschen da, und sie sehen auch nur das. Sie lernen nichts. Dabei machen wir ja vieles, es ist ja nicht nur das Waschen. Man muss mit den Bewohnern umgehen können, sozial sein.

Im Mai ist der empfohlene Mindestlohn für Pflegefachkräfte auf 17,65 Euro gestiegen. Halten Sie das für angemessen?

Ich wäre nicht ehrlich, wenn ich sagen würde, das ist in Ordnung. Bei einer Zeitarbeitsfirma verdient man vielleicht 24 Euro. Aber wo ist die Grenze? Ich mache meinen Job gerne. Natürlich möchte jeder mehr verdienen. Aber ich glaube nicht, dass dann mehr Personal da wäre. In der Pflege muss man trotzdem am Wochenende, an Feiertagen und mit auch mit knapper Besetzung arbeiten.

Angenommen, Karl Lauterbach besucht Ihr Heim. Worauf würden Sie ihn zuerst hinweisen?

Ich würde ihm anbieten, einen Tag hier zu arbeiten und selber Antworten zu finden. Was könnte man ihm sagen? Solange wir kein Fachpersonal haben, können wir 1000 Vorschläge machen und reden und tun. Es müsste mehr Zeit in die Ausbildung von Schülern investiert werden.

Inwiefern gibt es da vielleicht auch ein Image-Problem?

Viele denken, Altenpflege ist nur Popo waschen. Wie oft hören wir das: „Iiih, wie kannst du das machen?“ Aber Altenpflege ist so viel mehr. Da ist die Ernährung, die Dokumentation, die Angehörigen begleiten, die manchmal verzweifelt sind, weil Papa oder Mama so früh dement geworden sind. Wir machen so viel mehr als nur Popo-Waschen. Aber wenn Schüler nur zum Waschen kommen, entsteht dieses Bild. Traurig finde ich auch, wenn schlechte Zustände aus Negativbeispielen in Medien verallgemeinert werden. Klar, es gibt schwarze Schafe. Aber das ist nicht in jeder Einrichtung so.

Sie begleiten Menschen beim Alt werden und manchmal auch beim Sterben. Was macht das mit einem?

Wir bemühen uns, Menschen die Hand zu halten, da zu sein, damit sie nicht alleine sind. Wir können ihnen nicht die Angst nehmen. Aber ich bin zufrieden, wenn ich geholfen habe. Ich will das tun, was ich mir selbst auch wünsche. Wenn Bewohner mich jeden morgen anlächeln oder über die Wange streichen und Danke sagen, ist das viel wert.

Was hat die Pandemie in der Branche und auch bei Ihnen hinterlassen?

Viele sind in der Pandemie aus dem Beruf ausgestiegen und jetzt nicht wieder gekommen. Wir waren vermummt, wir hatten ständig diesen Mundschutz, teilweise Face-Schilder – was wir alles anhatten! Dabei geht vieles über Berührungen. Man durfte auch nicht mehr in die Einrichtungen, die Corona-Ausbrüche – all das hat was mit den Bewohnern gemacht. Angehörige durften sich nicht verabschieden, wenn jemand verstorben ist. Das war das Schlimmste, was ich erlebt hab. Als es noch keine Impfungen gab, mussten wir in einer anderen Einrichtung auf Biegen und Brechen eine Corona-Station errichten. Zum Glück haben wir viel Hilfe von der Bundeswehr bekommen.

Wie haben Sie das Klatschen von Balkonen empfunden? Wünschen Sie sich das heute wieder?

Nein. Von dem Klatschen haben wir ja nichts gehabt. Okay, danke. Aber die Arbeit wird nicht weniger davon. Man war froh, die Bewohner versorgt zu haben, froh, die Bewohner glücklich zu sehen. Das ist für uns wichtig.

Zur Person:

Elena Ruff hat ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft 1999 in Rotenburg an der Diakonie gemacht. Es war der erste Jahrgang, der drei Ausbildungsjahre absolvierte. Seitdem arbeitet sie in der stationären Altenpflege und war nur kurz im ambulanten Bereich beschäftigt. Die 42-Jährige lebt mit ihrem Ehemann und Sohn in Guxhagen und arbeitet im Altenheim der Awo in Fuldabrück.

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