Missbrauch in der Katholischen Kirche: Harald Fischer - „Wir müssen Sexualmoral reformieren“

Kreis Kassel. Die Studie zu den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche haben für Wirbel gesorgt. Dazu ein Interview mit Dechant Harald Fischer.
In den USA, in Irland und hierzulande: Die katholische Kirche kommt nicht mehr aus Skandalen um sexuellen Kindesmissbrauch heraus. Am Dienstag wurde bei der Bischoffskonferenz eine Studie veröffentlicht, die Missbrauchsfälle zwischen 1946 und 2014 in Deutschland beleuchtet. Demnach wurden in diesem Zeitraum 3677 Kinder missbraucht. Die Studie hatte die Kirche selbst in Auftrag gegeben. Darüber sprachen wir mit Dechant Harald Fischer.
Wie nehmen Sie den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche wahr, angesichts der aktuellen Studie?
Harald Fischer: Wir sind in den Gemeinden seit 2010, als das Ganze aufkam, zu vielfältigen Reaktionen aufgefordert. Wir haben alle Fortbildungen gemacht, jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin brachte ein erweitertes Führungszeugnis bei. All diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, machten und machen Schulungen zum Erkennen von und den Umgang mit sexuellem Missbrauch. So umfassend wie das Thema Prävention und Umgang mit sexuellem Missbrauch, ist in meinen 35 Jahren als Hauptamtlicher noch kein Thema angegangen worden. Seitdem war es in jeder Konferenz und Arbeitsgruppe Thema. Wir sehen mit einer großen Beschämung auf die Missbrauchsfälle in der Kirche.Meiner Meinung nach versucht die Kirche seit 2010 wirklich radikal Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen.
Die Kirche hat also versucht, an dem Problem zu arbeiten. Aber werden die schwarzen Schafe so entlarvt und entmachtet?
Fischer: Nein. Diese ganzen Maßnahmen sind nicht gedacht, um Leute mit krimineller Energie und pädophiler Neigung zu bekehren. Sie sind gedacht, um diejenigen, die in der Kirche arbeiten,für das Thema umfassend sensibel zu machen und darin zu schulen, Kinder und Jugendliche besser zu schützen. Die Maßnahmen dienen ebenfalls dazu, allen klarzumachen, dass es für die Praxis des Vertuschens und deskonsequenzlosen Versetzens, die im Moment für so viel Erschütterung sorgt, keine Spielräume mehr gibt. Das ist den Verantwortlichen, glaube ich, mittlerweile klar geworden.
Der Kirche wird vorgeworfen, im Rahmen der Studie nicht alle Informationen offen gelegt zu haben...
Fischer: Nur eine radikale Offenheit kann helfen. Es wäre nicht haltbar, irgendetwas zurückzuhalten.
In diesem Zusammenhang muss man über den Zölibat sprechen. Was halten Sie davon, das Gelübde freizustellen?
Fischer: Für mich sind das zwei verschiedene Themen. Ich bin dafür, das Pflichtzölibat abzuschaffen und die zölibatäre Lebensweise in Ordensgemeinschaften zu ermöglichen.
Allerdings finde ich den Zusammenhang zwischen Pflichtzölibat und Pädophilie weit hergeholt. Das größere Problem ist der Klerikalismus, also dass man an den Pfarrern keine Kritik üben konnte. In solch einer Atmosphäre, in der auch über Sexualität nicht offen gesprochen wurde, konnten Pädophile untertauchen. Aber man entwickelt keine sexuelle Neigung zu kleinen Jungen, weil man im Zölibat lebt.
Papst Franziskus hat sich zu der Studie hier in Deutschland noch nicht geäußert. Wie stehen Sie dazu?
Fischer: Der Papst hat mit aller wünschenswerten Klarheit und an allen Ecken alles gesagt, was zu sagen ist, zuletzt in Irland und Pennsylvania. Die deutsche Studie ist ja gerade erst veröffentlicht worden und ob er dazu noch etwas Neues sagt, werden wir sehen. Er äußert sich täglich zu diesem Thema und dass er da irgendetwas verschweigt, sehe ich nicht.
Sie haben das Vertuschen und konsequenzlose Versetzerei angesprochen: Wird sich die Kirche weiter reformieren?
Fischer: In diesem Punkt ja. Ich glaube aber, dass wir noch weitaus umfassendere Reformen brauchen. Es ist notwendig, das Pflichtzölibat zu reformieren, die Zulassung von Frauen zum Priestertum zu erlauben und so die Diskriminierung der Frauen durch den Ausschluss aus den Weiheämtern zu beenden. Obendrein müssen wir die Sexualmoral reformieren. Diese Reformen brauchen wir dringend in der katholischen Kirche.