Journalist Peter-Matthias Gaede im Interview: „Fake-News ist dummer Vorwurf“

Kaufungen. Woran liegt es, dass die Kluft zwischen Redakteuren und Lesern scheinbar immer größer wird? Darüber haben wir mit dem ehemaligen Chefredakteur des Magazins Geo, Peter-Matthias Gaede, gesprochen.
Sie haben in Ihrer Rede beim Jahresempfang der Gemeinde Kaufungen gesagt, der Journalismus stecke in einer tiefen Krise. Woran machen Sie das fest?
Peter-Matthias Gaede: An der Erosion des Vertrauens in die Medien, an der Konkurrenz durch die sogenannten sozialen Medien, an einem fast flächendeckenden Rückgang der Auflagen, von der Sonderkonjunktur einiger Newcomer abgesehen. Die Vertriebserlöse der Printmedien schrumpfen, Anzeigenerlöse in den Online-Ablegern fangen das nur teilweise auf. Das macht die Situation der Journalisten schwieriger. Redaktionen werden abgespeckt, Korrespondentennetze ausgedünnt, an Reiseetats wird gespart, am Zeitaufwand für Recherchen.
Welche Auswirkungen hat das?
Gaede: Es bleibt immer weniger Zeit für das, was gerade jetzt so notwendig wäre im Journalismus: Nämlich sich Zeit für Reflexion zu nehmen, für Zweifel, fürs Nachfragen und fürs Überdenken, für intensive Recherche. Die Kultur der Nachdenklichkeit ist weitgehend verschwunden hinter dem Tempogebot. Geschwindigkeit ist aber oft das Gegenteil von Vernunft.
Nehmen Journalisten dadurch weniger wahr, was Menschen bewegt?
Gaede: Ich glaube, von vielen werden Journalisten in einer Blase gut situierter Bürgerlichkeit wahrgenommen. Obwohl gerade viele Journalisten, speziell die Freien, heute auch nicht mehr verdienen als eine Friseurin. Und obwohl die Medien voll sind von empathischen Geschichten über Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Trotzdem gibt es die Enttäuschung, dass sich Journalisten zu selten an den Stammtisch setzen. Etwa in der Flüchtlingsfrage. Da werden Journalisten offenbar als Teil einer konzertierten Aktion für die Globalisierung wahrgenommen, als immun gegen die Angst vor Heimatverlust. Und diese Angst bricht sich in zunehmender Aggressivität Bahn, im Vorwurf, „Fake-News“ ausgesetzt zu sein. Was, Entschuldigung, ein dummer Vorwurf ist.
Stichwort „Fake-News“: Was kann und darf Journalismus noch leisten?
Gaede: Er leistet immer noch viel. Was wüssten wir ohne Journalisten vom Diesel-Skandal? Vom Glyphosatkartell? Von den Steuer-Oasen? Von den wahnsinnigen Fußballer-Gehältern? Vom Doping in Russland? Von der Unterdrückung in der Türkei? Oder, um in der Nähe zu bleiben: von den Renten-Modellen der Politiker, von den Bonus-Zahlungen bei der Deutschen Bank? Oder davon, dass ein AfD-Politiker die Erinnerung an die Nazi-Diktatur um „180 Grad“ drehen möchte. Was ja nur heißen kann: auch den Massenmord ins Positive.
Aber schauen nicht manche Redakteure noch von einem hohen Ross herab?
Gaede: Von da oben werden sie erstens vom kleiner werdenden Publikum heruntergeholt. Zweitens von den Verhältnissen in den Redaktionen: Großraumbüro statt Einzelzimmer, U-Bahn statt Taxi, Jahresvertrag statt unbefristetem Vertrag, Zeilenhonorare im Cent-Bereich. Mag sein, dass es trotzdem noch Arroganz-Inseln gibt. Aber bis hin zur „Mittelbayerischen Zeitung“ in Regensburg setzen sich Journalisten heute dem Dialog mit den Lesern aus, sogar auch mit den Hasskappen. Dort hat man die Wutbürger selbst nach übelsten Beschimpfungen zu Diskussionen eingeladen.
Wäre das auch hier möglich?
Gaede: Ich verfolge die Debatte um den Obelisken auf dem Königsplatz genau und meist sehr melancholisch. Manche finden den von Olu Oguibe aufgerufenen Preis skandalös, andere die angebliche „Hässlichkeit“ und den geringen Materialwert des Werkes, viele aber wohl in Wahrheit die Hautfarbe des Künstlers in Kombination mit dem christlichen Willkommensgruß an Fremde, den sie nicht mögen.
Es wäre durchaus spannend, mal unter Verabreichung von Beruhigungsmitteln die verschiedenen Lager zu einem HNA-Gespräch zusammenzubringen. Vielleicht bei einem Auswärtsspiel des KSV, wenn die Kasseler Polizei also genügend Kapazitäten hätte, die Diskutanten im Falle fliegender Fäuste auseinanderzuhalten. Aber im Ernst: Gemeinsam sprechen, und zwar über Grenzen, Voreinstellungen, Vorurteile, Kränkungen, Ängste hinweg, ist immer gut. Und noch besser: Wenn jeder und jede mit den Namen für sich einstehen würde – statt anonym aus den Büschen zu schießen.
Zur Person:
Peter-Matthias Gaede (66), geboren in Selters (Westerwald), zog mit fünf Jahren mit seiner Familie nach Niederkaufungen. Nach dem Sozialwissenschaftsstudium besuchte er die Gruner+Jahr-Journalistenschule in Hamburg. Ab 1980 war er Lokalreporter bei der Frankfurter Rundschau und wechselte 1983 zur Geo, wo er nach mehreren Stationen 1994 Chefredakteur wurde und bis 2014 blieb. Gaede ist Fan des KSV. Er lebt mit seiner Frau in Hamburg und ist Vorstandsmitglied von Unicef Deutschland.