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Zum Muttertag: Nachfahrinnen der Niester Hebamme Mutter Minna erinnern sich

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Von: Moritz Gorny

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Haben ein Faible für Ahle Wurscht und Brot: Sandra (links) und Monika Rissel, Urenkelin und Enkelin der Niester Hebamme Mutter Minna.
Haben ein Faible für Ahle Wurscht und Brot: Sandra (links) und Monika Rissel, Urenkelin und Enkelin der Niester Hebamme Mutter Minna. © Moritz Gorny

Heute ist Muttertag. Monika und Sandra Rissel erinnern sich heute an ihre Vorfahrin Minna Degenhardt, die auf ihre Art eine ganz besondere Mutter war.

Nieste/Kreis Kassel – Bei Rissels ist jeden Tag Muttertag. Nicht, weil Tochter Sandra ihrer Mutter Monika täglich etwas Materielles schenken würde – wie Blumen oder Pralinen. Stattdessen ist Zeit hoch im Kurs bei den beiden: Einmal täglich wird telefoniert. So zeigen sie sich, wie wichtig sie einander sind, auch wenn es mal knirschen mag.

Insofern hat der klassische Muttertag für die Rissels kaum Bedeutung – Mutter ist man immer, ebenso wie Tochter. Pragmatisch halten es Monika und Sandra Rissel, wie ihre Vorfahrin – Großmutter und Urgroßmutter – Minna Degenhardt, die auf ihre Art eine ganz besondere Mutter war.

Degenhardt, damals wie heute bekannt als Mutter Minna, ist eine der bekanntesten Hebammen der Region. Bei rund 700 Geburten half die Niesterin in ihrer fast 40-jährigen Karriere. Stets in schwarz gekleidet, das Haar zu einem Dutt zusammengebunden, war die 1,60 Meter große Frau teils wochenlang in Nieste, Landwehrhagen, Sichelnstein, Dahlheim und darüber hinaus unterwegs. Ihren Sohn Martin zog die 1896 geborene Frau ohne Mann groß, mit der Unterstützung ihrer Eltern.

Minna Degenhardt mit ihrem Sohn Martin.
Familienfoto: Minna Degenhardt mit ihrem Sohn Martin.  © Montage: Christine Bachmann

„Sie war resolut, was Mutter Minna sagte und wollte, war Gesetz“, erinnert sich ihre Urenkelin und dreifache Mutter Sandra Rissel. Was andere von ihr dachten, war dabei nicht immer wichtig. Wenn Mutter Minna zuhause war, hat sie sich täglich in der Waschküche gewaschen, erst lauwarm, dann kalt. „Und dann hat sie sich von oben bis unten abgebürstet und dick mit Hautcreme eingerieben“, sagt Monika Rissel. „Manchmal stand die Tür zur Waschküche offen und Männer sahen sie dort nackt stehen, aber das war ihr egal.“

Ein Querkopf eben. Und so kam es, dass sich die Hebamme das Gesetz zu ihren eigenen Gunsten ein wenig zurechtbog. Am 27. Juli 1969 half sie bei der Geburt ihrer eigenen Urenkelin Sandra – obwohl Mutter Minna schon keine offizielle Hebamme mehr war. Sie hatte ihren Beruf drei Jahre zuvor an den Nagel gehängt. „Ich erinnere mich noch wie heute“, erzählt Monika Rissel.

Eigentlich wollte sie gerade von Nieste ins Krankenhaus nach Kassel, aber Mutter Minna sagte, es sei noch Zeit. „Plötzlich schickte sie mich ins Schlafzimmer meiner Eltern, legte mich aufs Bett meiner Mutter“, sagt Monika Rissel. Ein festes Drücken auf den Bauch der hochschwangeren Frau ließ ihre Fruchtblase platzen. „Ich dachte, die Welt geht unter, aber Mutter Minna hat sich erst einmal neben mich aufs Bett gelegt und eine Weile geschlafen.“ Schließlich musste sie bei Kräften bleiben, wie auch ihre Enkelin, der sie vorher Ahle Wurscht mit Brot und Bohnenkaffee gegeben hatte.

Präsentiert das Holzfass: Hans Dieter Risse.
Präsentiert das Holzfass: Hans Dieter Risse. © Gorny, Moritz

Es ging alles gut. Um 20.25 Uhr hielt Monika Rissel ihre Tochter Sandra im Arm. „Das war der schönste Tag meines Lebens“, sagt die heute 75-Jährige. Mutter Minna ließ noch einen Arzt kommen, „aber den brauchte mein Mann mehr als ich“.

Hans Dieter Rissel hatte sich mit Bekannten, Freunden und Familie zu viel Bier genehmigt. Eine Spritze später war der frisch gebackene Vater wieder auf den Beinen – „und wir haben weiter daran gearbeitet, das Fass leer zu machen“, sagt der 82-Jährige. Das 50-Liter-Holzgefäß steht noch heute an der Treppe zum Hauseingang der Rissels. Ob es auch den Apfelbaum noch gibt, den Hans Dieter Rissel nachts im Garten auf der Nachgeburt pflanzte, ist nicht bekannt. Der Garten wurde später verkauft.

Mutter Minna starb im Jahr 1988 im Alter von 91 Jahren. Was ihren Nachfahren bleibt, sind viele Erinnerungen. Und das Faible für Ahle Wurscht und Bohnenkaffee. (Moritz Gorny)

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