Tom Wiedemann liest aus Tagebuch: Als der Landgraf Soldaten aus Vellmar verkaufte

Man schrieb das Jahr 1773 in dem kleinen Dorf Niedervellmar. Der beschauliche Ort hatte damals 284 Einwohner und 60 Häuser.
Vellmar – Es gab einen Müller, einen Schulmeister, drei Leineweber, fünf Schneider, sechs Schäfer, zehn Tagelöhner und drei Wirte. Als Johannes Reuber, Sohn des Tagelöhners Johann Hermann Reuber, konfirmiert wurde, wusste er nicht, welchen Beruf er ergreifen sollte.
Als zwei Jahre später die Werber des Landgrafen Friedrich II. durch die Lande zogen, um junge Männer für das Militär zu rekrutieren, meldete sich der damals 16-Jährige freiwillig zum landgräflichen Grenadierregiment.
Es war wohl eine Mischung aus Abenteuerlust und dem Versprechen, in Amerika zu Ruhm und Ehre zu gelangen, das ihn dazu verleitete, sich beim Militär einzuschreiben. Zur damaligen Zeit gab es in den 13 amerikanischen Kolonien Bestrebungen, sich von England unabhängig zu machen. Der englische König Georg III. mietete sich daher beim Hessischen Landgrafen 12 000 Soldaten, die den Freiheitskampf der Siedler gewaltsam beenden sollten. Diese hessischen Freiwilligen gingen in die Geschichte als die „verkauften Hessen“ ein.
Am 15. September 1775 wurde Johannes Reuber eingezogen und eingeschworen, am 1. Januar 1776 erhielt er den Befehl, sich zum Abtransport nach Amerika in Immenhausen einzufinden. Ab diesem Zeitpunkt führte der junge Soldat ein Tagebuch, das ihn über sieben Jahre begleitete und in dem er all seine Erlebnisse und Eindrücke niederschrieb. Dieses Original-Tagebuch hat die Jahrhunderte überdauert und lagert heute in der Handschriftensammlung der Murhardschen Bibliothek. Doch in Vergessenheit geriet es nie.
Am Samstag, 6. Mai, um 19. Uhr, wird der Darsteller Tom Wiedemann in der Uniform eines landgräflichen Soldaten in der Kirche Obervellmar Texte aus diesen Tagebuchaufzeichnungen lesen. „Damit wird die abenteuerliche Geschichte des jungen Mannes aus Niedervellmar noch einmal lebendig“, erklärt Gemeindepfarrer Alfred Hocke und verweist darauf, dass von den insgesamt 48 Vellmarer Männern 30 aus Niedervellmar, 17 aus Obervellmar und einer aus Frommershausen kamen.
In der rund 45-minütigen Lesung wird anhand der ausführlichen und seltenen Tagebuchaufzeichnungen von dem beschwerlichen Fußmarsch nach Bremerhaven, der Einschiffung und der Überfahrt in die „Neue Welt“ ebenso berichtet, wie von den Kampfhandlungen gegen die Kolonisten.
Dass diese Tagebuchaufzeichnungen, die ein junger Mann aus Vellmarer vor rund 250 Jahren zu Papier brachte, in der Kirche noch einmal lebendig werden, darüber freut sich nicht nur der Gemeindepfarrer, denn es wird kein Eintritt erhoben, sondern um Spenden für die Turmsanierung der Kirche Obervellmar gebeten. (Werner Brandau)