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So wird den Geflüchteten in Felsberg Deutsch beigebracht

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Von: Manfred Schaake, William-Samir Abu El-Qumssan

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Leckere Spezialitäten aus der Ukraine: Flüchtlinge aus der Ukraine, die von der Gensungerin Gudrun Rode (vorne rechts) betreut werden, haben im Alten Bahnhof Gensungen erstmals zusammen gekocht. Sie treffen sich regelmäßig im Mehrgenerationenhaus in Felsberg.
Leckere Spezialitäten aus der Ukraine: Flüchtlinge aus der Ukraine, die von der Gensungerin Gudrun Rode (vorne rechts) betreut werden, haben im Alten Bahnhof Gensungen erstmals zusammen gekocht. Sie treffen sich regelmäßig im Mehrgenerationenhaus in Felsberg. © Manfred Schaake

Am Freitag jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine. In unserer Themenwoche sprechen wir mit Menschen aus der Region, die von den Auswirkungen betroffen sind. Heute: Wie in Felsberg Ukrainer Deutsch lernen.

Felsberg/Gensungen – Sieben geflüchtete Mütter aus der Ukraine und ihre Kinder sowie eine Familie treffen sich einmal pro Woche im Mehrgenerationenhaus an der Drei-Burgen-Schule in Felsberg. Betreut werden sie von der ehemaligen Lehrerin Gudrun Rode aus Gensungen, die bisher auch von Anke Knöpfel unterstützt wurde.

Die Ukrainer freuen sich über die Treffen. Im alten Bahnhof haben sie jetzt erstmals gemeinsam gekocht. Dankbar angenommen wurde die Idee, im Sommer zu kochen, Gäste einzuladen und den Erlös Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen.

Flucht aus dem Kriegsgebiet

„Ich bin sehr glücklich und freue mich über diese Hilfe“, sagte Halyna Manhusheva (32) aus Cherson, die mit ihrem vierjährigen Sohn Herman nach Felsberg kam. Später flüchtet auch ihr Mann, nachdem er an der Front gekämpft hatte, nach Felsberg. Er ist Ingenieur und hofft auf einen schnellen Berufseinstieg in Deutschland.

Eine der Frauen ist Mathematik- und Physiklehrerin und schon an der Drei-Burgen-Schule angemeldet. Eine weitere Teilnehmerin hofft auf einen baldigen Berufseinstieg als Betreuerin in einem Kindergarten.

Dankbar für Unterstützung

„Wir sind sehr, sehr dankbar für diese Unterstützung, wir bauen uns ein neues Leben auf“, sagt Halyna Manhusheva und freut sich trotz der schwierigen Situation in ihrer Heimat über die Hilfe im Edertal. Ihr Vater lebt nicht mehr, ihre Mutter ist Ärztin, ihr Bruder Fotograf, „er hilft jetzt zu Hause“, berichtet sie. Schwiegermutter und Schwiegervater arbeiten als Ingenieure in einem Krankenhaus. Sie selbst ist Kunstlehrerin, begleitet Kunstprojekte und bebildert Kinderbücher.

Kreativ: Ali, ein Flüchtlingskind aus der Ukraine, hat ein schönes Gesteck gebastelt.
Kreativ: Ali, ein Flüchtlingskind aus der Ukraine, hat ein schönes Gesteck gebastelt. © Manfred Schaake

Die Betreuung der geflüchteten Frauen in Felsberg und Gensungen hat eine Vorgeschichte. Im Frühjahr 2022 hatte die Stadt Felsberg zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Es ging, so erläutert Gudrun Rode, um die Frage, wer bereit ist, ehrenamtlich bei der Betreuung der Ukraine-Flüchtlinge behilflich zu sein.

Gudrun Rode war bis 2009 fast 40 Jahre lang Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Drei-Burgen-Schule. Sie konnte sich vorstellen, nach Putins schrecklichem Angriffskrieg auf die Ukraine in Felsberg Flüchtlingen zu helfen. Und angesichts der hohen Flüchtlingszahlen auch einen Beitrag, zum Erlernen der deutschen Sprache zu leisten. So übernahm sie im Mai vorigen Jahres im Mehrgenerationenhaus freitags von 16 bis 18 Uhr den Anfangsunterricht in Deutsch.

Enorme psychische Belastung

„Der Krieg hat die Geflüchteten psychisch stark belastet“, sagt Gudrun Rode. Eine große Hürde sei am Anfang gewesen, dass keine der Frauen Englisch konnte, dass überhaupt kein Unterrichtsmaterial vorhanden war und die für uns fremdartige kyrillische Schrift.

„Wir verständigten uns anfangs mit Händen und mit Füßen“, beschreibt sie die Situation. Anke Knöpfel, die in der Verwaltung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel tätig ist, kümmerte sich während des Unterrichts um die Kinder und spielte mit ihnen.

Integration schreitet voran

Obwohl die Frauen seit Januar täglich einen Kurs der Volkshochschule im Bahnhof Gensungen besuchen, haben sie den Freitagstreff im Mehrgenerationenhaus beibehalten. „Die Gruppe ist zu einer schönen sozialen Gemeinschaft geworden. Und daher entwickelte sich der Wunsch, einmal zusammen ukrainisch zu kochen“, sagt Rode. Es gab Syrniki und Wareniki, die Zutaten spendete der Edeka-Markt Stieglitz.

„Wir sind unendlich dankbar für das Engagement“, lobt Iris Bächt das Angebot für die Geflüchteten. Sie ist bei der Stadt Koordinatorin des Mehrgenerationenhauses mit Familienzentrum. Es sei toll, dass die Ukrainerinnen das Angebot so wertschätzen – „sie wollen sich integrieren.“

Die Sprache ist der Grundstein für Integration

Lernutensilien für die Ukrainer: Mit Lernbüchern, Prospekten und Lückentexten bekommen die Flüchtlinge lebenswichtige Begriffe vermittelt.
Lernutensilien für die Ukrainer: Mit Lernbüchern, Prospekten und Lückentexten bekommen die Flüchtlinge lebenswichtige Begriffe vermittelt. © William Abu El-qumssan

Bei der Ankunft der ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in Felsberg stand Gudrun Rode kein Lehrmaterial zur Verfügung. Die pensionierte Lehrerin, die ehrenamtlich im Felsberger Mehrgenerationenhaus den Ukrainern beim Spracherwerb hilft, hat aber inzwischen ein Bildwörterbuch für Kinder ab vier Jahren angeschafft.

„Es geht dabei vor allem, um die wichtigsten Vokabeln für den Alltag“, sagt Rode. Dabei geht es unter anderem um Begriffe im Haus und in der Wohnung. „Wichtig sind auch die Begriffe für den Einkauf oder einen Arztbesuch.“ Solche Szenarien würden sie mit den Ukrainern für das Vokabeltraining durchgehen.

Für den Unterricht zieht die Gensungerin daher auch Reklameprospekte von Supermärkten zurate. Anhand dieser können neben den Bezeichnungen auch gleich Zahlen und Beträge gelernt werden.

Lückentexte als Übungen

Zur Übung des Erlernten entwickelte Rode Arbeitsblätter und grammatische Übungen. „Ich habe verschiedene Sätze mit Lücken formuliert, wo dann die richtigen Begriffe eingefügt werden müssen“, sagt die frühere Lehrerin.

Auch um diverse Gepflogenheiten oder Regelungen in Deutschland zu begreifen, sei der Unterricht sehr wichtig. Mülltrennung nennt Rode dazu als ein Beispiel.

„Die Sprache ist der Grundstein für die Integration von Menschen“, sagt Dennis Möller von der Stadt Felsberg. Er koordiniert die Unterbringung der Ukrainer. Nach fast einem Jahr Krieg stünden sowohl die geflüchteten Ukrainer als auch die Kommunen an einer Art Scheideweg: „Im Sommer 2022 war unser Auftrag noch ganz klar, nicht von Integration, sondern von Hilfe zur Selbsthilfe zu sprechen“, sagt Möller.

Da aber überhaupt kein Ende des Krieges in Sicht sei, sei nun ein Punkt des Umdenkens erreicht. Erst kürzlich sind elf Flüchtlinge neu im Felsberger Ratskeller untergebracht worden.

„Wir benötigen Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt“

Doch es könne nicht bei einer dauerhaften Reduzierung der Ukrainer auf das Wort „Flüchtling“ bleiben. „Die Kommunen müssen sich natürlich auch langsam Fragen stellen: Wie können wir die Kompetenzen dieser Menschen für unsere Gesellschaft nutzen?“

Wenn die Ukrainer ihre gelernte Berufe in Deutschland ausüben könnten, würde ihnen auch Wertschätzung entgegengebracht werden. Und eines sei laut Möller auch klar: „Wir benötigen Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt.“ Und dann sei natürlich von Integration die Rede – gerade im Zusammenhang mit dem Spracherwerb. Möller vermisst aber „ein tragfähiges Konzept von Land und Bund“ für die Ukrainer. „Für die Integration muss da mehr kommen.“

Was Rode und Möller bei den Ukrainern heraushören: Sie möchten immer noch gerne zurück in ihre Heimat, aber fühlen sich gleichzeitig wohl in Felsberg. „Da muss es kein entweder oder geben“, sagt Möller. Der Wunsch nach einer Rückkehr lasse aber wegen der hohen Unsicherheit ein wenig nach.

Und für diejenigen, die doch bleiben möchten, müsse es ein Konzept geben.

(Manfred Schaake und William Abu El-qumssan)

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