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Hesse wollte Ableger der rechtsextremen „Atomwaffen Division“ gründen – jetzt muss er in Haft

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Von: Stefan Behr

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Der Angeklagte Marvin E. hat im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Frankfurt.
Der Angeklagte Marvin E. hat im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Frankfurt. (Archivfoto) © Arne Dedert7dpa

Marvin E. aus Nordhessen wollte in Hessen eine rechtsextreme Terrorgruppe gründen. Das sieht das Oberlandesgericht Frankfurt als erwiesen an – und verurteilt den Mann zu einer Haftstrafe.

Frankfurt – Das Oberlandesgericht hat den 21 Jahre alten Marvin E. am Montag wegen des Versuchs der Gründung einer Terrorgruppe, der Planung von Anschlägen und Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Staatsschutzsenat sah es als erwiesen an, dass E. versucht habe, einen hessischen Ableger der „Atomwaffen Division“, einer rechtsextremen Terrorgruppe aus den USA, zu gründen.

Der Versuch scheiterte kläglich. E.s Bemühungen, via Internet mit Instagram-Account und einem völlig zu Recht mit „Ranzkacke“ betitelten Manifest Mitstreiter zu werben verfehlten ihr Ziel, eine zumindest fünfköpfige Truppe aufzustellen, um ganze vier Köpfe. Zu allem Überfluss geriet er im Faschistenchat auch noch an Ermittler des Verfassungsschutzes, was zu seiner Festnahme führte.

Mann aus Nordhessen macht keinen Hehl aus seinem Weltbild

Kein Zweifel besteht daran, dass die Bomben, die der pyrotechnisch begabte E. selbst gebaut und in seinem Kinderzimmer im nordhessischen Spangenberg gebunkert hatte, eine verheerende Wirkung gehabt hätten. Und der Senat ist überzeugt, dass E. entschlossen war, diese auch einzusetzen, selbst wenn Ziel und Ort des Anschlags nie konkrete Formen angenommen hatten.

Diese Überzeugung wird untermauert von E.s inhumaner Weltanschauung und den Videofilmen, die er vor seiner Festahme im September 2021 mit zunehmender Frequenz geguckt hatte - darunter ein Video vom Massaker im neuseeländischen Christchurch vom März 2019. E. hatte im Prozessverlauf keinen Hehl aus seinem - zumindest damaligen - Weltbild gemacht, seiner Verehrung für Hitler, seinen Hass auf alle Menschen, die nicht „weiß“ sind, auf Schwule, Linke, Muslime und Repräsentanten des von ihm verhassten demokratischen Systems. Und auf Juden, die er „an der Form ihrer Nasen“ erkannt haben wollte.

Senat lässt familiäre Situation in Bewertung einfließen

Marvin E., der sich von seiner Umwelt stets als „der dumme Hauptschüler“ gemobbt fühlte, hatte im Prozess Verständnis für Amokläufer geäußert, die ja auch eher „Opfer“ seien, weil „die Gesellschaft sie dazu getrieben“ hätte. Auf E.s Computer fanden sich nicht nur Videos von Amokläufen, sondern auch von ihm recherchierte Grundrisse von Schulen aus der näheren Umgebung bis hin nach Essen.

Der Senat würdigte allerdings auch E.s entsetzliche Jugend. Er sei groß geworden in einer Atmosphäre der „physischen und psychischen Gewalt“. Vor allem die wohl ebenso lieblose wie herrschsüchtige Mutter hatte im Prozessverlauf immer wieder für Grauen gesorgt -. etwa als bekannt wurde, dass sie die Festnahme ihres Sohnes mit den dürren Worten „Lass dich hier nie wieder blicken“ quittiert hatte, um sich dann ihrer Lieblingsfernsehserie zu widmen.

„Hunger nach Aufmerksamkeit“ bei Marvin E.

Maulschellen waren im Hause E. Usus. Allerdings nicht dann, wenn sie fast schon entschuldbar gewesen wären, etwa für das Verschicken von Hitlerbildern, der Verbreitung rassistischen Unflats oder Bombenbau im Kinderzimmer. Das alles war den Eltern zwar bekannt, hatte aber „keinerlei erzieherische Intervention“ zur Folge. Dem Vorsitzenden Richter Chritoph Koller vibriert bei diesen Worten die Stimme vor Zorn - allerdings nicht auf den Angeklagten.

Besuch hatte Marvin E. während seiner Untersuchungshaft nur von seinen Verteidigern und von Mitarbeitern eines staatlichen Programms für Aussteiger aus der Naziszene - nicht von seinen Eltern, nicht von seinen drei Geschwistern. Einen Brief des Vaters ließ er unbeantwortet. Mitunter, sagte Koller, habe er das Gefühl gehabt, E. genieße den Prozess, weil dort endlich sein „Hunger nach Aufmerksamkeit“ gestillt worden sei. Schon bei seiner Festnahme hatte E. lächelnd der Polizei erklärt, das sei „gut für sein Image“. Im Jugendknast hatte er sich so in der Bewunderung seiner Mithäftlinge gesonnt, dass er auf Drängen der Direktorin verlegt wurde.

Unmittelbar nach dem Urteil verizchtete Marvin E. auf Rechtsmittel, also Revision- die Generalbundesanwltschaft nicht. (Stefan Behr)

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