Älteste Fachwerk-Kirche im Landkreis: Kleinod in Wagenfurth vereinsamt

In Wagenfurth steht älteste die Fachwerkkirche im Schwalm-Eder-Kreis. Für rund 100 Jahre stand es jedoch nicht gut um die Kirche, die damals als Hühnerstall diente.
Wagenfurth – „Ich bin das letzte Mal als Konfirmandin auf dem Speicher gewesen“, sagt Küsterin Inge Riemenschneider (58) etwas aufgeregt, als sie die etwas wackelige Leiter in der Wagenfurther Kirche herauf steigt. Diese kleine Kirche ist Rekordhalterin, und das nicht nur im Kreisteil Melsungen: Sie ist die älteste Fachwerkkirche im Schwalm-Eder-Kreis.
Die Kirche soll um 1480 entstanden sein. Das geht aus den Aufzeichnungen von Alfred Metz (85) hervor. Der Körler hat früher im Kasseler Stadtarchiv gearbeitet und hat zu der Historie der Wagenfurther Kirche viele Dokumente zusammengetragen.
Wagenfurth: Gebete in einer Zehntscheune
Zu den Besonderheiten dieses Gebäudes zählt die Kombination aus Kirche und Speicher. Das zweite Stockwerk, das heute nur noch von Innen über eine Leiter erreichbar ist, war ein Speicher für den Zehnt – ein Zehntel von Erträgen, der jährlich bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts an die Kirche abgegeben werden musste.

Doch Früchte und Getreide liegen dort schon lange Zeit nicht mehr: Ein Blick in den Speicher verrät, dass der Raum mittlerweile ungenutzt ist. 1979 ist Inge Riemenschneider noch auf den Speicher geklettert, doch heute bleibt sie lieber nur auf der Leiter stehen.
„Steigt man jedoch ganz hinauf, kann man das Glöckchen sehen und wie es geläutet wird“, sagt Metz. Auch ist die Baukonstruktion des Gebäudes im spätgotischen Stil zu bewundern. Der Speicher war früher noch über eine Außentreppe erreichbar.
Vergleichbare Kirche in Hessen nur im Landkreis Marburg zu finden
Der Kirchenraum im Erdgeschoss ist 7,20 Meter lang, 3,80 Meter breit und etwa ebenso hoch. Platz ist dort heute für etwa 25 Kirchenbesucher. Eine ähnlich alte Fackwerk-Dorfkirche soll es in Hessen laut Metz nur noch in Rüchenbach (Landkreis Marburg-Biedenkopf) geben.
Doch längere Zeit stand es nicht gut um das Wagenfurther Kleinod. Rund 100 Jahre gab es dort keine Gottesdienste. „Bis 1863 diente sie als Gottesdienstraum“, heißt es in einer Chronik vor der Kirche. Damals war das Gebäude in einem schlechten Zustand, deshalb wurde die damalige Kapelle viele Jahre lang als Hühnerstall, Holzschuppen und Spritzenhaus für die Feuerwehr genutzt.

Metz hat das alles in seinen Aufzeichnungen festgehalten. So auch, dass die Glocke in dem kleinen Kirchturm die zweitälteste im Kirchspiel Körle ist. „Nur die Kirche in Lobenhausen hat eine ältere Glocke“, sagt Metz. Außerdem hat er alte Rechnung zusammengetragen. Für rund 28 000 D-Mark wurde die fast zur Ruine verkommene Kirche 1964 renoviert und wieder als Gotteshaus hergerichtet.
Wolfgang Lanzenberger und seine Familie haben sich seitdem um die Kirche gekümmert. Der 82-Jährige wohnt gegenüber von der Kirche und kommt immer noch zu allen Gottesdiensten. 2018 gab er die Küster--Verantwortung an Inge Riemenschneider ab.
Kaum noch Besucher in renovierter Kirche in Wagenfurth
1997 und 1998 musste die Kirche erneut renoviert werden, dieses Mal für 330 000 D-Mark. Bei dem stolzen Alter der Kirche wird es wohl nicht die letzte Renovierung gewesen sein.
„Stolz aller Wagenfurther“, hieß es 1989 in der Frankfurter Rundschau zu der Wagenfurther Kirche. „Davon merken wir heute leider gar nichts mehr“, sagt Küsterin Inge Riemenschneider. Diese Entwicklung sei traurig.
„Meistens sitzen wir zu dritt in der Kirche.“ Neben ihr sind nur der Lanzenberger und Metz treue Besucher der Kirche. Ansonsten komme kaum noch wer. „Alle drei Monaten veranstalte ich einen Taizé-Gottesdienst“, sagt die Küsterin. Da kämen schon mehr Besucher. Metz beschreibt den Gottesdienst „wie im Wohnzimmer“. (William Abu El-Qumssan)