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15 Kilometer nach Hause: Fahrdienst lässt Schüler mit Behinderung zurück

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Von: Claudia Feser

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Stundenlanges Warten am Fenster: Nadine Stepan aus Malsfeld wartete zwischen Hoffen und Bangen am Fenster auf die Rückkehr ihres behinderten Sohnes Christoph.
Stundenlanges Warten am Fenster: Nadine Stepan aus Malsfeld wartete zwischen Hoffen und Bangen am Fenster auf die Rückkehr ihres behinderten Sohnes Christoph. © Claudia Feser

Ein 15-Jähriger mit Behinderung wird statt in Malsfeld in Spangenberg vom Fahrdienst aus dem Auto gelassen. Der Junge läuft bei strömendem Regen kilometerweit nach Hause.

Die Ungewissheit war das Schlimmste. Wo ist Christoph? Es waren für Mutter Nadine Stepan aus Malsfeld vier Stunden voller Panik, Ungewissheit, Sorge, Angst. Ihr 15-jähriger Sohn Christoph ist geistig behindert und auf dem Stand eines Fünfjährigen.

Er ist nonverbal, kann sich nur schwer verständlich machen. Christoph vertraut Erwachsenen, sagt seine Mutter. Er hat dem neuen Busfahrer vertraut, der ihn am Montag, 25. April, nach Schulschluss nach Hause bringen sollte – aber ihn in Spangenberg aufforderte auszusteigen, obwohl Christoph in Malsfeld wohnt. Aber das konnte Christoph nicht sagen. Seinen Sprach-Computer hatte er dabei. In der Aufregung hat er nicht daran gedacht, vermutet seine Mutter.

Fahrer sollen Kinder eigentlich Erziehungsberechtigten übergeben

Eigentlich hätte Christoph gegen 13 Uhr zuhause sein müssen, wie jeden Montag. Die Fahrer haben die Anweisung, die Schüler zuhause abzuliefern und erst weiterzufahren, wenn sie einem Erwachsenen übergeben worden sind. Deshalb stand Nadine Stepan am Fenster und wartete. Sie wusste, dass an diesem Montag ein Ersatzfahrer die Kinder beförderte, weil die eigentliche Fahrerin, die Christoph schon lange kennt, krank war.

Ersatzfahrer nicht erreichbar

Es wurde 14 Uhr, Christoph war noch nicht da. Nadine Stepan rief die Fahrerin an, die den Ersatzfahrer kontaktieren wollte. Dieser ging nicht ans Telefon. In der Zwischenzeit machte sich Christophs Vater Markus auf den Weg nach Homberg, weil er vermutete, dass der Junge noch vor der Schule stand. Es wurde 15 Uhr, Christoph war immer noch nicht da. Wieder der Anruf bei der Fahrerin. Sie bot an, den Fahrdienstleiter anzurufen. Dieser wollte den Fahrer kontaktieren. Der sei auf dem Weg, hieß es dann.

Mutter wartete besorgt auf ihren Sohn

Es wurde 15.30 Uhr, Christoph war immer noch nicht da. Die Mutter eines anderen Schülers aus dem Kleinbus rief bei ihr an. Die Elbersdorferin wartete ebenfalls auf ihr Kind.

Um 16 Uhr meldete sich diese Mutter erneut bei Nadine Stepan. Ihr Kind sei gerade zuhause angekommen. Christoph habe aber nicht im Auto gesessen. Sie habe den Fahrer darauf angesprochen. Dieser meinte, keinen Christoph im Auto gehabt zu haben. Nur einen „Christian“ (Name von der Redaktion geändert) – aber von dem wusste Nadine Stepan, dass er an dem Tag im Praktikum war und deshalb nicht im Auto gewesen sein kann.

Mitschüler erinnert sich an 15-Jährigen

Also wo ist Christoph? „Da ist bei mir die Panik ausgebrochen“, erinnert sich Nadine Stepan. Im Auto sitzen normalerweise auch Kinder aus Knüllwald – ist Christoph etwa im Knüllwald? Plötzlich hörte sie durchs Telefon im Hintergrund den Jungen sagen: „Mama, Christoph war im Auto, ist aber ausgestiegen.“ Wo Christoph ausgestiegen war, konnte der Schüler der Anne-Frank-Schule in Homberg nicht sagen. Nadine Stepan telefonierte mit der Schule, mit der Fahrerin, „ständig klingelte das Telefon“.

Endlich, um 16.45 Uhr, dann ein Anruf des Arbeitskollegen ihres Mannes. Er hatte Christoph zufällig nach Feierabend am Sommerberg-Kreisel getroffen. Dort war Christoph gerade am Weg in Richtung Gutshof Fahre unterwegs. „Papa, Pipi“, sagte Christoph – er wollte zu seinem Vater, der beim Klärwerk der Gemeinde Malsfeld arbeitet.

Junge musste 15 Kilometer laufen

Endlich zuhause angekommen, konnte Christoph kaum noch die Stufen zur Wohnung hochgehen, so erschöpft war der Junge. 15 Kilometer war er durch den strömenden Regen marschiert. Wie Nadine Stepan rekonstruierte, ist Christoph den ganzen Weg nach Hause gelaufen, immer an der B 487 entlang.

„Den Weg kennt er“, sagt die Mutter, „wir fahren ihn alle zwei Wochen, wenn wir zu meiner Schwester fahren.“ Es regnete an diesem Tag in Strömen. Am Spangenberger Kreuz hat Christoph die Ampel passiert, um am Radweg weiterzulaufen in Richtung Malsfeld. Den R 1 kennt er, weil er dort oft mit der Familie radelt.

Normalerweise hat Christoph immer ein ID-Armband mit Name, Adresse und Telefonnummern dabei. „Das war am Sonntagabend aber kaputtgegangen.“ Jetzt haben seine Eltern ihm eine Uhr mit GPS-System gekauft, mit der sie ihren Sohn orten und mit ihm telefonieren können. Zur Sicherheit. Den Vorfall hat Christoph gut überstanden, sagt seine Mutter. Vor allem hat er sich auf die Stamm-Fahrerin gefreut, als diese wieder im Kleinbus saß.

Bei Nadine Stepan ist der Schrecken immer noch präsent, auch nachdem sich das Unternehmen Köhler Transporte telefonisch bei ihr entschuldigt habe. Der Fahrer fährt nicht mehr im Landkreis. Nadine Stepan: „Das ist ein dickes Ding. Denn sein Verhalten war fahrlässig, und ich denke an die anderen Kinder, die er fahren wird.“

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