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Als die Flut bis nach Felsberg kam

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Von: Manfred Schaake

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So hoch stand das Wasser: Landwirt Fritz Scheffer (69) hat dieses Schild nach der Sanierung seiner Scheunen-Mauer angebracht.
So hoch stand das Wasser: Landwirt Fritz Scheffer (69) hat dieses Schild nach der Sanierung seiner Scheunen-Mauer angebracht. © Manfred Schaake

Die Bombardierung der Edertalsperre in der Nacht zum 17. Mai 1943 brachte auch im Altkreis Melsungen Tod und Verderben. In Altenburg ertranken drei Menschen. Wir blicken zurück auf die Katastrophe.

Altenburg/Felsberg – „In deiner schönsten Jugendzeit, rief Dich Gott zur Ewigkeit“, steht auf dem Grabstein von Erwin Christian Kropf. Er kam in der Nacht vom 16. Auf den 17. Mai 1943 in den reißenden Fluten der Eder um. Acht Tage vor seinem 14. Geburtstag bezahlte er in Altenburg seine Hilfsbereitschaft mit dem Leben.

„Er wollte noch helfen, Sachen zu bergen“, erinnerte sich die Altenburgerin Dina Freudenstein. Die damals 20-jährige Nachbarin sowie die Zeitzeugen Heinz Richter und Willi Hellmuth leben nicht mehr.

Der Grabstein von Erwin Christian Kropf aus Altenburg auf dem Friedhof in Felsberg.
Der Grabstein von Erwin Christian Kropf aus Altenburg auf dem Friedhof in Felsberg. © Schaake, Manfred

Neben der 1247 erbauten Sankt-Jacobs-Kapelle in Felsberg haben die Altenburger Opfer nebeneinander ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Außer Kropf sind das die 19-jährige Martha Rostalski aus dem Warthegau, die auf dem Bauernhof Freudenstein ihr sogenanntes Pflichtjahr absolvierte, und die 54-jährige Bäuerin Elise Freudenstein. Zwei Gräber sind erhalten geblieben.

Wassermassen kamen wie eine Nebelwand

Wie eine Nebelwand kam das Wasser, erinnerten sich Richter und Hellmuth: „Es dröhnte, ein Grollen wie ein fernes Gewitter, ein fürchterliches Geräusch.“ Der damals von den Fluten zerstörte Hof Freudenstein am Standort des jetzigen Dorfgemeinschaftshauses hatte erst wenige Jahre bestanden.

Die aus Kassel-Niederzwehren stammende Familie hatte an der Eder neu gebaut. Richter, der direkt daneben wohnte, berichtete: „Mit der Axt haben wir die Ketten aufgehauen, um das Vieh aus Freudensteins Ställen zu retten und zum höhergelegenen Hof Boineburg gebracht. Frau Freudenstein wollte noch wertvolle Sachen aus dem Bauernhaus holen.“

Ihr Sohn, der spätere Kies-Unternehmer August Freudenstein, wollte ihr das ausreden. Richter sagte: „Als das Wasser stieg, band ihr Sohn sie mit der Gardinenleiste am Fenster fest. August wollte sich mit seiner Mutter an einem Balken festhalten und mit ihr schwimmen.“

Nach dem Volltreffer der alliierten Luftstreitkräfte: Durch die Öffnung der zerstörten Sperrmauer strömen mit zerstörerischer Kraft 160 Millionen Kubikmeter Wasser in das untere Edertal. Repr
Nach dem Volltreffer der alliierten Luftstreitkräfte: Durch die Öffnung der zerstörten Sperrmauer strömen mit zerstörerischer Kraft 160 Millionen Kubikmeter Wasser in das untere Edertal. Repr © Uli Klein

Die Welle riss eine Bäuerin mit

Da stürzt die Scheune ein. Eine hohe Welle riss die Bäuerin weg. Freudenstein musste mit ansehen, wie seine Mutter mit erhobenem Arm ertrank. Er selbst schwamm etwa zwei Kilometer in Richtung Felsberg, konnte sich am Schornstein eines Gartenhauses festhalten. Er wurde von Pionieren gerettet.

Für über 70 Altenburger wurden der Hof Boineburg und die Altenburg zum rettenden Ufer. Würste von der letzten Hausschlachtung in Wannen und Körben, ein bisschen Brot – das war alles, was die Altenburger vor der katastrophalen Flut noch retten konnten. Im Burgkeller übernachteten sie auf Stroh.

„Altenburg gleicht noch heute einem Trümmerhaufen“, hat der frühere Hauptlehrer Richard Riemann Ende Juli 1943 geschrieben. „In Altenburg sind zur Zeit noch sieben Familien obdachlos, die notdürftig im Herrenhaus und in der Mühle untergebracht sind.“

„Nie wieder Krieg“, haben Hellmuth und Richter schon zum 50. Jahrestag gesagt. Für viele Menschen ist der 17.Mai auch heute noch ein Tag der Mahnung – der Mahnung zum Frieden.

Heinz Winzenburg
Der 92-jährige Heinz Winzenburg erlebte die Auswirkungen der Bombardierung 1943 in Altenbrunslar. © Manfred Schaake

92-jähriger Zeitzeuge erinnert sich noch genau

„Es war schrecklich.“ So beschreibt der heute 92-jährige Elektromeister Heinz Winzenburg die Situation in seinem Heimatort Neuenbrunslar. „Lehrer Frank sagte uns, die Talsperre ist kaputt.“ Alle Schüler der ersten bis achten Klasse gingen noch kurz auf die Ederbrücke.

„Bänke, Schränke und tote Schweine trieben in der Eder“, berichtet er. In sechs Stunden ist die große Welle da, sagte man den Schülern.

Zwei bis drei Tage stand das Wasser in Altenbrunslar

„Wir sind dann ganz schnell nach Hause, bald konnte man die Ederbrücke nicht mehr sehen“, sagt Winzenburg, „mit Pontons holte der Reicharbeitsdienst die Menschen aus den von der Flut bedrohten Häusern, sie kamen bei Verwandten unter“ Zwei bis drei Tage habe das Wasser gestanden, „wir haben dann alle beim Aufräumen geholfen“.

„Bomben- und Tiefflieger-Angriffe von Jagdflugzeugen machten uns das ohnehin schon mühevolle Leben der Kriegsjahre sehr schwer“, sagt Winzenburg heute. „Ich bin in der Nazi-Zeit groß geworden, es war ein Wunder, dass wir den schlimmen Krieg überlebt haben, alles war unter Zwang und Druck, die Diktatur war schrecklich.“

Für Winzenburg, der 1956 seinen Handwerksbetrieb gründete, war das Anlass, sich für das Ehrenamt, „ohne das keine Demokratie möglich ist“, zu entscheiden. Er brachte es auf 189 Jahre in Vereinen, Verbänden und der Kommunalpolitik, gewürdigt unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz. (Manfred Schaake)

Von den Fluten schwer beschädigt: Das Haus Richter in Altenburg. Links daneben stand der Hof Freudenstein. Die Bäuerin und eine Magd kamen ums Leben. Repro: Manfred Schaake
Von den Fluten schwer beschädigt: Das Haus Richter in Altenburg. Links daneben stand der Hof Freudenstein. Die Bäuerin und eine Magd kamen ums Leben. © Privat/Repro: Manfred Schaake

Die Katastrophe forderte viele Leben

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