Diethard Roth über 45 Jahre Jugendarbeit in der Melsunger Haspel

Diethard Roth war als Mitbegründer 45 Jahre in der Melsunger Haspel aktiv. Im Interview spricht er über wechselnde Jugendtrends, schöne Erinnerungen und Herausforderungen der Jugendarbeit.
Melsungen – Diethard Roth war viele Jahre ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins Jugendtreff Haspel in Melsungen. Jetzt hört der 81-jährige Melsunger auf.
Der ehemalige Pfarrer und Bischof der Selbstständigen Evangelisch Lutherischen Kirche (Selk) sah unterschiedliche Jugendliche kommen und gehen, erlebte den Einzug von Social Media im Jugendtreff und wünscht sich mehr Engagement der Jugendlichen beim Einsatz für ihre Belange. Wir haben mit ihm über die Melsunger Jugendarbeit gesprochen.
Herr Roth, was ist bei den Teens gerade angesagter, Ninjago oder Pokémon?
Pokémon ist nach einer längeren Pause auf jeden Fall aktuell ein Thema.
Stimmt, Ninjago ist eher bei den Jüngeren beliebt. Wissen Sie, worum es bei Pokémon geht?
Ehrlich gesagt, nein. Das kann ich nicht genau sagen.
Wie nah sollte man als Vorsitzender eines Jugendtreffs dran sein, an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen?
Natürlich haben wir auch Kontakt mit den Jugendlichen – zum Beispiel in den Vollversammlungen. Die Arbeit in der Haspel obliegt aber natürlich den hauptamtlichen Sozialarbeitern. Aber über meine Enkel bekomme ich schon auch noch was mit.
Mischt sich der Vorstand in die tägliche Arbeit ein?
Nein, im Haus haben die Teamer das Sagen und eine freie Gestaltungsmöglichkeit. Bei Schwierigkeiten werden wir konsultiert, wenn neue Formate oder Angebote entstehen sollen, sind wir außerdem eingebunden.
Was sind die originären Aufgaben im Verein und im Vorstand?
Wir schaffen die Rahmenbedingungen für die Arbeit im Jugendtreff, wir verantworten Personal, Finanzen und Räumlichkeiten. Dazu stehen wir in ständigem Austausch mit den drei hauptamtlichen Mitarbeitern. In meinen 35 Jahren im Verein waren das allein schon 500 Sitzungen.
Für Aufregung sorgte jüngst in München eine Vorlesestunde von Drag-Queens – wäre das in der Haspel vorstellbar?
Das Team spiegelt uns die Planungen zu neuen Veranstaltungen. Wir haben da bislang keinen Grund gehabt, zu intervenieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir im Vorstand ein Problem mit einer solchen Lesung gehabt hätten.
Das Beispiel zeigt gut, wie sich die Themen über die Jahrzehnte verändern. Gibt es aktuell ein Beherrschendes?
Natürlich beschäftigt uns der Einfluss der Medien allgemein und die sozialen Medien im Besonderen. Dort sehen wir kontinuierlich Handlungsbedarf. Auch das Thema künstliche Intelligenz wird sicher eine Rolle spielen.
Also sind Smartphones ein Problem?
Deren Nutzung und der Umgang ist ein ständiges Thema. Absolut. Wir möchten nicht, dass die Jugendlichen in die Haspel kommen, um dann vor den Handys zu sitzen. Gleichzeitig versuchen wir, Medienkompetenz zu vermitteln. Dafür haben wir das Internetcafé geschaffen und den Jugendlichen Computer zur Verfügung gestellt. So entstehen zum Beispiel auch Filmprojekte. Es gab auch schon eine generationenübergreifende Zusammenarbeit.
Welche Altersklassen nutzen das Haspelangebot überwiegend?
Die Haspel steht Kindern und Jugendlichen im Alter von 8 bis 21 Jahren offen. Die Besucher sind tatsächlich aber 8 bis höchstens 18 Jahre alt. Der Großteil ist im Alter von 13 bis 15.
Die Zielgruppe pubertiert also, ist das immer harmonisch?
Wir haben bis zu 20 unterschiedliche Ethnien im Haus. Die Jugendlichen lernen dabei viel von und übereinander. Aber natürlich gibt es auch Reibung.
Sie meinen Auseinandersetzungen.
Ja. Das Haus ist zwar für viele Jugendliche eine Art Zuhause, ein geschützter Raum. Das Vertrauensverhältnis zu den Teamern ist groß. Aber es sind Jugendliche – und sicher sind nicht alle immer Engel. Es gab vor Jahren zum Beispiel den Versuch, rund um den Jugendtreff Drogen zu konsumieren – vornehmlich Cannabis. Das haben wir konsequent unterbunden. Selbstverständlich sind Alkohol und Drogen verboten.
Sie sprachen von Auseinandersetzungen – ist Gewalt ein Thema?
Verbale Gewalt erleben wir, es kommt aber auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die Teamer mussten schon die Polizei verständigen. Die Haspel hat abends bis 21 Uhr geöffnet. Aktuell arbeiten dort drei Sozialarbeiterinnen. Der Selbstschutz steht dabei an oberster Stelle. Solche Vorfälle kommen zwar nicht wöchentlich vor, sind aber dennoch belastend.
Wie reagieren Sie darauf?
Eine Ansprache der Polizei macht schon Eindruck, dazu verhängen wir auch Hausverbote. Das wirkt, denn die Jugendlichen kommen wirklich gerne in die Haspel. Eine Anzeige bei der Polizei mussten wir aber tatsächlich noch nicht erstatten. Generell sind unsere Mitarbeiterinnen aber auch durchsetzungsstark.
Es gab in der jüngeren Vergangenheit personelle Wechsel. Spüren Sie den Fachkräftemangel?
Tatsächlich fällt uns auf, dass es weniger Bewerber gibt. Wir suchen Sozialarbeiter mit einem Bachelor-Abschluss. Aktuell ist eine halbe Stelle ausgeschrieben. Die von der Agentur für Arbeit vorgeschlagenen Bewerber haben sich gar nicht erst bei uns vorgestellt.
Überaus erfolgreich sind die Ferienspiele der Haspel.
Die sind in der Tat ein ganz wichtiges Angebot in Melsungen und sie werden von Hunderten Jugendlichen besucht. (Damai D. Dewert)
Zur Person
Dr. Diethard Roth stammt gebürtig aus Leslau in Polen. Er war Pfarrer und Bischof der Selbstständigen Evangelisch Lutherischen Kirche (Selk).
35 Jahre lang war er Vorsitzender des Vereins Melsunger Jugendtreff. Der Verein besteht seit 45 Jahren. Er gehörte 1977 als Pfarrer der Evang.-Luth. Christusgemeinde Melsungen zu den Gründungsmitgliedern. Seine Vorstandstätigkeit wurde unterbrochen durch zehn Jahre, in denen er als Bischof in Hannover tätig war.
Diethard Roth ist seit 2006 im Ruhestand. 2013 erhielt er für seinen ehrenamtlichen Einsatz das Verdienstkreuz am Bande. Er ist verheiratet und hat drei Töchter sowie vier Enkel im Alter von 14 bis 24 Jahren. Er lebt in Melsungen.