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Melsunger berichtet nach dem Erdbeben in der Türkei über die Lage vor Ort

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Von: Kerim Eskalen

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Eine von vielen Zeltstädten in Kahramanmaras (Türkei): Nach dem Erdbeben in der Türkei sind viele Überlebende in Zeltstädten wie diesen untergebracht.
Eine von vielen Zeltstädten in Kahramanmaras (Türkei): Nach dem Erdbeben in der Türkei sind viele Überlebende in Zeltstädten wie diesen untergebracht. © Privat

Nach fast einem Monat hat sich die Situation in dem Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien kaum gebessert.

Melsungen/Kahramanmaras – Betroffen von der Katastrophe in dem Erdbebengebiet ist auch der Melsunger Sahin Eskalen, Vater des Autors Kerim Eskalen. Dessen Familie lebt in der von dem Beben besonders schwer betroffenen Großstadt Kahramanmaras (kurz Maras) im Südosten der Türkei.

Die gleichnamige Provinz liegt nach dem Erdbeben größtenteils in Trümmern. Die Überlebenden haben Angehörige, Freunde, ihr Zuhause, ihre Arbeit, gar ihre Existenz verloren. „Man schätzt, dass in Maras Tausende Menschen tot unter den Trümmern liegen“, sagt Sahin Eskalen. Bereits jetzt zählt das Erdbeben am 6. Februar zu den schlimmsten Naturkatastrophen der vergangenen hundert Jahre.

Über 50 000 Tote, Tausende sind vermisst

Nach dem schweren Erdbeben am 6. Februar und mehreren Nachbeben in der Türkei und Syrien steigen die Opferzahlen weiter an. Viele Menschen werden noch immer unter den Trümmern ihrer eigenen Häuser vermutet. Allein in der 665 000 Einwohner großen Stadt Kahramanmaras werden 100 000 Tote erwartet. Ein Wiederaufbau der Stadt in den nächsten Jahren sei ausgeschlossen. Die Trümmerbeseitigung dauere nach ersten Schätzungen mehrere Jahre.

„Der Großteil meiner Familie lebt nun in einem Zelt“, sagt Eskalen. „Dort sind mein Bruder Mehmet, seine Frau Hülya, seine Kinder Mustafa, Samet und Emine und meine Schwester Nurhayat.“ Denn das Haus der Familie Eskalen, die seit vielen Generation in Maras wohnt, ist nach dem Erdbeben unbewohnbar.

Laut Gutachtern könnte ein weiteres schweres Erdbeben das Haus zum Einsturz bringen. Untergebracht sind sie in einer Zeltstadt aus 15 Zelten in der Nähe des Hauses.

Medizinische Versorgung bleibt kritisch

Besonders kritisch sei weiterhin die medizinische Versorgung. Krankenhäuser konnten in den ersten Tagen nach dem Beben nicht genutzt werden, da sie gefüllt mit Leichen waren, berichtet Bruder Mehmet von der Situation vor Ort.

Apotheken waren geschlossen oder eingestürzt. Dabei benötigt seine Familie Medikamente, vor allem Mehmets Frau für ihr Asthma, Mehmet und Nurhayat wegen Blutdruckproblemen. Inzwischen gebe es eine sporadische Ausgabe von Apotheken in Zelten.

Angst vor Krankheiten

Zudem haben viele Überlebende Angst vor Krankheiten, da viele Sanitäranlagen ausgefallen sind und die Kanalisation zerstört ist. „Notdürftige Toilettengänge erledigten sie in dem einsturzgefährdeten Haus“, sagt Sahin Eskalen. „Immer nur ganz schnell, weil die Erde ab und zu bebte.“ Inzwischen gebe es eine Dusche und eine Toilette in der Zeltstadt.

Ein Hoffnungsschimmer biete inzwischen die seit ein paar Tagen bestehende Lebensmittelversorgung: „Sie bekommen zweimal pro Tag Wasser oder Tee und warmes Essen wie zum Beispiel Suppen und auch fertiges Essen von Hilfsorganisationen“, sagt Sahin Eskalen.

Kahramanmaras im Südosten der Türkei
Kahramanmaras im Südosten der Türkei © HNA-Grafik

Trotz vieler Hilfen: So läuft das Überleben im Erdbebengebiet

Trotz weltweiter Hilfen bleibt die Situation im Erdbebengebiet in der Türkei und in Syrien angespannt.

Für die Familie von HNA-Volontär Kerim Eskalen ist seit der Katastrophe nichts mehr, wie es einmal war. Mehrere Verwandte sind tot. Das Haus der Familie ist nach dem Beben unbewohnbar.

Stattdessen müssen sie nun bei Minusgraden in einem Zelt auf einem Parkplatz nahe einer Schule schlafen. Zusammen sind sie mit 14 anderen Zelten Teil einer kleinen Zeltstadt: „Die Zelte wurden von verschiedenen Hilfsorganisationen bereitgestellt“, sagt Vater Sahin Eskalen. „Im Zelt gibt es zum Glück auch einen Holzofen zum Heizen“, sagt er.

Zu sechst im kleinen Zelt: Die Familie Eskalen schläft fortan auf Paletten. In ihr altes Haus dürfen sie nicht mehr zurückkehren.
Zu sechst im kleinen Zelt: Die Familie Eskalen schläft fortan auf Paletten. In ihr altes Haus dürfen sie nicht mehr zurückkehren. © Privat

Über ein Rohr werde der Rauch abgeführt. Zudem gibt es eine elektrische Heizung. Allerdings versucht die Familie, einen Wohncontainer zu bekommen, da der Platz für sechs Personen kaum ausreicht.

Packen mit an

Trotz ihrer Situation versuchen sie zu helfen, wo es nur geht: „Mein Bruder Mehmet versucht, seine Werkstatt zu reparieren. Sein Ziel: Aufträge reinholen, um wieder Geld zu verdienen“, sagt Sahin Eskalen.

Mehmets Söhne Mustafa und Samet versuchen, bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Samet engagiere sich bei den örtlichen Hilfsorganisationen. Mustafa hingegen, der als Maschinenbauingenieur in einer Papierfabrik arbeitet, versucht nun, seine Arbeitsstelle wiederaufzubauen.

Mehmets Tochter Emine lernt unterdessen im Zelt für ihre Aufnahmeprüfungen an der Universität für ihr Zahnmedizinstudium.

Angst vor der Zukunft

Für den Moment sei die Lage stabil, denn sie haben Essen und Trinken und ein Dach über dem Kopf. Allerdings hat die Familie Angst vor der Zukunft: „Sie haben große Angst davor, was passiert, wenn die Hilfsorganisationen irgendwann gehen“, sagt Sahin Eskalen.

Die Sorge der Verwandten: Wer baut die Häuser wieder auf? Wer hilft finanziell? Falls das Haus abgerissen werden müsste, plant die Familie an gleicher Stelle ein Neues zu bauen. Doch momentan heißt es nur: Überleben.
(Kerim Eskalen)

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