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Melsunger Gemeindepflegerin über Berührungen und Bewegung im Alter

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Von: Kerim Eskalen

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Eine Herzensangelegenheit: Sabine Leukam bietet seit diesem Monat Kurse zu Bewegung und Berührung im Alter an. Sie wisse um die schwerwiegenden Folgen, wenn Berührungen oder Bewegungen ausbleiben.
Eine Herzensangelegenheit: Sabine Leukam bietet seit diesem Monat Kurse zu Bewegung und Berührung im Alter an. Sie wisse um die schwerwiegenden Folgen, wenn Berührungen oder Bewegungen ausbleiben. © Kerim Eskalen

Viele Menschen leiden unter einem Mangel körperlicher Zuwendungen, besonders viele ältere Personen. Dazu kommt noch ein Mangel an Bewegung mit zunehmendem Alter.

Melsungen – Die Folgen für den Körper sind gravierend. Wir haben mit der Melsunger Gemeindepflegerin Sabine Leukam über die Wichtigkeit von Berührung und Bewegung im Alter gesprochen und warum besonders die Corona-Pandemie hierbei ihre Spuren hinterlassen hat.

Warum sind Berührungen für Menschen überhaupt notwendig?

Besonders auf der körperlichen Ebene werden nicht nur Verspannungen gelöst, sondern auch zum Beispiel das Herzkreislaufsystem und das Lymphsystem aktiviert, das Immunsystem gestärkt und auch die Selbstheilung mobilisiert. Sie stabilisieren und stärken den Körper. Zudem wird mehr Stress abgebaut und das eigene Wohlbefinden wird gestärkt.

Dadurch können wir auch besser mit unseren Gefühlen umgehen. Denn bei Berührungen werden Glückshormone ausgeschüttet. Man bekommt eine unheimlich starke innere Balance. Das Gefühl, dass wir aus der Kindheit kennen, kommt zurück. Und dieses Gefühl der Nähe und Geborgenheit stärkt das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl.

Und was für Berührungen lösen diese Gefühle aus?

Die allerkleinsten Berührungen sind wichtig. Allein schon zusammenzukommen und sich zu treffen, bedeutet für eine Person, sich auf eine Beziehungsebene einzulassen. Auch kleinste Gesten können berühren. Sich in die Augen zu schauen beim Begegnen, den Blickkontakt im Gespräch zu halten, Hände zu schütteln, Hand zu halten. Das vermittelt Nähe.

Das zeigt auch, dass ich die Person wahrnehme und ihr Respekt zolle. Aber natürlich nur, wenn die Person das auch möchte. Gerade bei älteren Menschen sind Berührungen sehr wichtig, da trotz Partnerschaft diese Gefühle verloren gehen können.

Stichwort Berührungen im Alter: Warum ist Ihnen das Thema Berührungen und Bewegungen im Alter so wichtig?

Mit Bewegungen öffnet man nicht nur die Gelenke, sondern es entsteht eine ganzheitliche Lockerheit. Wenn ich mich zum Beispiel in so einem Kurs mit anderen bewege, dann habe ich den Kontakt mit anderen Menschen. Ich begebe mich in eine Gruppe und fühle dadurch Nähe und Geborgenheit, die ich genießen kann.

Dadurch habe ich auch eine Gesundheitsvorsorge auf der körperlichen Ebene und psychischen Ebene. Da wird alles in Schwung gebracht. Man fühlt sich richtig super. Man fühlt sich wieder jung, lebendig und beweglich auf allen Ebenen.

Und was ist mit Berührungen?

Diese Bewegungen verknüpfe ich dann mit Berührungen. Ich bin auch In-Touch Massagetherapeutin, was so viel bedeutet wie „in Berührungen gehen“. Berührungen sind vor allem im Alter deshalb so wichtig, weil sie ja nicht regelmäßig sind. Da kommt bestenfalls der Mann, die Tochter oder eine Freundin, die einen ab und zu mal drücken, aber das sind nur kurze Momente.

Wie läuft so ein Kurs bei Ihnen ab?

Der Kurs teilt sich in zwei Teile. Los geht es mit gemeinsamen Bewegungsübungen. Die sind mobilisierend und aktivierend. Die machen wir zum größten Teil am Stuhl, damit zu jedem Zeitpunkt die Kursteilnehmer Sicherheit verspüren. Durch die Übungen sind alle viel lockerer, rechts und links wird gelacht und man kommt ins Gespräch.

Der ganze Körper wird bewegt und dann der kommt der Berührungsteil. Der Bewegungsteil dauert 30 bis 40 Minuten und der Berührungsteil 20 bis 30 Minuten. Da fangen wir mit dem Handschlag an, der für viele die normalste Berührung auf der Welt ist. Das ist auch keine Berührung, mit der man eine Grenze überschreitet. Dann kommen Berührungen wie kleine Massagen im Sitzen oder das Eincremen von Händen.

Haben sie dabei schon Erfahrungen mit Menschen gemacht, die wegen einer Behinderung viele Berührungen nicht spüren oder gar nicht kommen sehen?

Ja, natürlich in ganz unterschiedlichen Situationen mit unterschiedlichen Behinderungen. Gerade in der Gemeindepflege haben wir auch einige Sehbehinderte. Sie gehen auf Menschen ganz anders zu. Denn der visuelle Kontakt fehlt.

Also muss man erst mal fühlen, wie die Sprache des Gegenübers ist und seine Betonung rüberkommt. Aufgrund dieser Wahrnehmung entscheiden die Personen, ob sie Vertrauen aufbauen können. Selbst bei Lähmungen werden Berührungen sehr gut angenommen. Eine Kopfmassage ist hierbei oft sehr schön.

Was passiert denn, wenn ein Mensch gar keine Berührungen mehr bekommt?

Es gibt viele Studien, dass man vor allem auf der psychischen Ebene sehr krank werden kann. Wenn Kinder zum Beispiel keine Berührungen bekommen würden, verkümmern diese emotional. Der gesamte Körper hat dann nie Berührungen erfahren und viele Emotionen kaum oder gar nicht kennengelernt.

Was hilft denn allgemein gegen Vereinsamung?

Nähe. Wie diese Nähe aussieht, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wichtig ist, dass ein Gefühl der Teilhabe in und am sozialen Leben weiter bestehen bleibt. Das kann der Besuch in Seniorengruppen, Sportvereinen, Landfrauenvereine, Seniorenessen und vieles mehr sein.

Aber auch der Besuch von Besuchsdiensten der Kirche oder Gemeinden, der Besuch der Gemeindepfleger, der Verwandtschaft, Nachbarschaft und Freunden. Man nehme allein die Gemeindepflege: Die Menschen fühlen sich dadurch wieder geborgen und nehmen an der Gesellschaft teil.

Ich bin auch oft bei Menschen zum Kaffeetrinken, die niemanden haben. Dann haben sie wieder eine Aufgabe. Sie sind dann adrett zurechtgemacht und der Tisch ist liebevoll gedeckt. Viele nutzen das, um einfach zu plaudern und ihr Herz auszuschütten. Es geht einfach um Nähe und darum, für die Menschen da zu sein.

Was raten sie Familienangehörigen, die sich wegen der großen Entfernung zueinander persönlich nicht so oft sehen können?

Fest vereinbarte Termine sind wichtig. Das bekommen wir alle hin. Die Vorfreude ist enorm und hilft über eine Trennung hinweg. Bei festen Terminen freuen sich die Menschen, gerade wenn so viel Kummer dahintersteckt, dass man sich nicht so oft sieht. Man kann zum Beispiel ein Kalenderblatt nehmen, auf dem man die Tage ankreuzt, bis man sich wieder sieht. Dann ist es nur noch einen Tag und die Freude ist riesig. Oft wollen sich die Menschen noch auf das Treffen vorbereiten. Sie überlegen sich: Wo kommt der Kuchen her? Muss ich noch zum Friseur?

Hat das Thema Berührungen gerade unter dem Thema Corona-Pandemie gelitten?

Aus meiner Sicht sehr. Wir sind Berührungsarm geworden. Die Abstandsregeln sind immer noch präsent und schränken den normalen Umgang miteinander noch sehr ein. Natürlich ist der Schutz notwendig, gerade im Altenheim und anderen kritischen Einrichtungen. Aber die Pandemie hat auch Ängste eingepflanzt, die wir nun lösen müssen, damit wir wieder miteinander in Kontakt treten und Berührungen zulassen.

Wie kann man denn aus dieser Angstspirale ausbrechen?

Gerade bei älteren Menschen ist das schwierig. Da muss man auf die Bedürfnisse eingehen und ihre Bedenken ernst nehmen. In kleinen Schritten kann man wieder Nähe trainieren. Die Umarmungen, die Massage, die kleinen Berührungen gehen auch mit Maske und schenken Vertrauen. Vielleicht kommt dann auch wieder nach und nach die Unbeschwertheit zurück.
(Kerim Eskalen)

ZUR PERSON

Sabine Leukam (59) kommt aus Melsungen und hat in Osnabrück eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin gemacht. Von 1986 bis 2016 war sie in diesem Berufszweig tätig. Im Jahr 2017 hat sie die Ausbildung zur In-Touch Massagetherapeutin in Kassel absolviert. Als Therapeutin praktiziert sie seit 2018 im Bereich der Gesundheitsprävention.

Seit 2020 ist sie Gemeindepflegerin für den Altkreis Melsungen. Seit Anfang des Monats bietet Leukam einen Kurs zu Bewegung und Berührung im Alter an, der jeden Donnerstag im März stattfindet.

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