Arbeitskreis Wildeck arbeitet an einem Gedenkbuch für die Weltkriegsopfer

An einem außergewöhnlichen Projekt arbeiten Mitglieder der Sportfreunde Raßdorf: Sie wollen den Toten des Zweiten Weltkriegs ein Gesicht geben.
Es ist ein so ehrgeiziges wie wohl auch einzigartiges Erinnerungsprojekt: Ein Arbeitskreis der Heimatabteilung der Sport- und Freizeitfreunde Raßdorf recherchiert, welche Geschichten sich hinter den Kriegsopfern von 1939 bis 1945 in Wildeck und Kleinensee verbergen, an die unter anderem die Gedenktafeln und Gräber auf Friedhöfen erinnern.
„Wir wollen den Toten ein Gesicht geben“, sagt Michael Tann, der Sprecher der Gruppe, zu deren Kern auch Jan Möller und Heiko Sippel gehören, die sich in ihrer Freizeit mit Akribie durch alte Akten, Briefe, Bücher, Postkarten und Todesanzeigen arbeiten.
Hier kennt jeder jeden
Wie kommt man auf so eine Idee? „Wer bei der Kirmes am Ehrenmal steht und die Namen der Weltkriegsopfer liest, hat sich vielleicht schon einmal gefragt, was das für Menschen waren, von denen man nichts außer den Namen weiß“, erinnert sich Tann. So habe alles angefangen. Die Recherchen in Raßdorf, dem kleinsten Wildecker Ortsteil, seien recht schnell von Erfolg gekrönt gewesen. „Hier kennt einfach jeder jeden“, sagt er.
Durch Gespräche mit älteren Raßdorfern, Aufzeichnungen in Kirchenbüchern, Schulfotos und alten Zeitungsartikeln sei nach und nach aus kleinen Steckbriefen ein Dossier entstanden. „Nachdem wir ein Gedenkbuch der Raßdorfer Kriegsopfer mit Bildern und militärischen Lebensläufen erstellt hatten, kam der Wunsch auf, das auch für die Gemeinde Wildeck zu erarbeiten“, sagt Tann. Ziel der Männer ist es, am Ende eine Gedenkchronik – Arbeitstitel: „Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung“ – zu erstellen. „Nach rund 75 Jahren ist nun vermutlich die letzte Gelegenheit, Angehörige der Opfer aus unserer Gemeinde aufzuspüren“, sagt Tann.
Der „Arbeitskreis Erinnerungs- und Gedenkbuch Wildeck“ begann damit, die Ehrenmäler der Gemeinde zu sichten, die Namen mit den Einträgen in den standesamtlichen Unterlagen sowie Kirchenbüchern abzugleichen. Dabei seien weitere Kriegsopfer entdeckt worden, die sich nicht auf den Gedenktafeln befinden. „Bei diesen doch recht umfangreichen Recherchen entschlossen wir uns, auch gleich den Ortsteil Kleinensee mit in diese Gedenk-Arbeit aufzunehmen“, erzählt er.
Viele Unterstützer
Die so ermittelten Namen ordnet der Arbeitskreis den Ortsteilen zu und ergänzt sie mit den vorhandenen Daten. Unterstützt werden sie von Vereinen wie dem Geschichtsverein Wildeck, dem Heimat- und Verkehrsverein Kleinensee, den Kirchen sowie vielen Bürgern aus den Ortsteilen.
Dank dieser Mitarbeit haben die Hobby-Forscher, die hauptberuflich als Finanzwirte und Handelsvertreter arbeiten, schon viele Angehörige gefunden, die ihnen wertvolle Informationen, Bilder und Unterlagen zur Verfügung gestellt haben. „Oftmals telefonieren wir durch die halbe Republik, wenn wir eine heiße Spur haben.“ Auch die Archive des DRK, Volksbundes und der diversen Militärarchive seien eingebunden. Bis jetzt haben Tann und seine Mitstreiter rund 530 Kriegsopfer ermittelt, darunter auch viele Namen, die auf keinem Gedenkstein stehen.
Traurige und spannende Geschichten
Der Arbeitskreis stößt immer wieder auf traurige, spannende und überraschende Geschichten. Unter anderem haben sie einen Namen von einer Gedenktafel einem ausgewöhnlich talentierten Fußballer namens Hansi aus Obersuhl zugeordnet, der in Erfurt kickte und „sogar von Reichstrainer Otto Nerz zu einem Probetraining eingeladen wurde“, berichtet Tann: „Wer weiß, vielleicht wäre aus ihm der erste Wildecker Nationalspieler geworden.“
Besonders beschäftigt hat ihn auch das Schicksal einer jungen Familie mit Drillingen. Einen Tag nach der Geburt der drei Kinder war der Vater an der Front gestorben. „So etwas geht ans Herz“, sagt Tann, der auf Fotos der Familie stieß und mit seinen Recherchen begann. „Wir vermuten, dass zwei der drei Kinder heute in Kassel leben. Wir versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.“

Die Erfahrung habe gezeigt, dass Gespräche mit Angehörigen mitunter sehr emotional sein können, „aber es lohnt sich“.

Zeitzeugen gesucht
Um auch in Zukunft neue Teile für ihr Geschichtspuzzle zu bekommen, ist der Arbeitskreis auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Wer alte Zeitungen, Fotos und Texte aus dem Wildecker Raum hat, die aus dem Zeitraum 1939 bis 1945 stammen, oder Menschen kennt, die damals in Wildeck oder Kleinensee gelebt haben, erreicht Michael Tann unter: Telefon 0 66 78 / 91 88 10, wildecker-vergangenheit@web.de