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Apotheken in Hersfeld-Rotenburg kämpfen weiter mit Medikamenten-Engpässen

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Von: Daniel Göbel

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Noch immer sind viele Medikamente nicht lieferbar: Unser Bild aus dem Frühjahr zeigt Apothekerin Saskia Hildwein in der City-Apotheke in Bad Herfeld. archiv
Noch immer sind viele Medikamente nicht lieferbar: Unser Bild aus dem Frühjahr zeigt Apothekerin Saskia Hildwein in der City-Apotheke in Bad Herfeld. © City-Apotheke

Der Medikamenten-Engpass hat sich auch in den Apotheken im Kreis Hersfeld-Rotenburg weiter verschlimmert. „Die Situation ist katastrophal“, klagen die Apotheker.

Hersfeld-Rotenburg – Immer wieder wurden in den vergangenen Wochen bestimmte Medikamente in den Apotheken zur Mangelware. Zwar hat das Bundeskabinett zuletzt einem Gesetzentwurf zugestimmt, der das künftig verhindern soll. Dennoch sei die Lage aktuell noch dramatischer als zuvor, wie Apotheker aus dem Kreis Hersfeld-Rotenburg berichten. Das diese Engpässe auf absehbare Zeit gelöst werden, daran glauben sie nicht.

Besonders kritisch seien die Engpässe derzeit im Bereich der Kinder-Antibiotika, sagt Ina Müller, Inhaberin der Schwanen Apotheke am Markt in Bad Hersfeld. „Normalerweise bekommen Patienten Antibiotika, dessen Wirkstoff auf den Erreger abgestimmt ist. Mittlerweile können wir nur noch das herausgeben, was am Markt verfügbar ist, den Kunden also nicht die gleiche Qualität bieten.“

Das führe wiederum zu deutlichem Mehraufwand für die Mitarbeiter. „Wir versuchen, in jedem Fall eine Lösung zu finden. Wir haben etwa die Möglichkeit, auf Präparate anderer Hersteller zuzugreifen, wenn ein Hersteller nicht liefern kann. Wenn es sich aber um eine andere Wirkstoffgruppe handelt, wird es komplizierter. Dann müssen wir zuerst Rücksprache mit dem Hausarzt halten“, erläutert Müller.

Die Präparate selbst herzustellen ist deutlich aufwendiger

Aus der Not heraus haben sich Apotheker Stefan Göbel und sein Team von der Heringer Brückenapotheke dafür entschieden, das Präparat selbst herzustellen. „Das ist natürlich deutlich aufwendiger“, sagt Göbel, allerdings habe man keine Wahl, wenn täglich 400 bis 500 Medikamente aus seinem Sortiment nicht lieferbar seien.

„Ich möchte momentan kein Kind haben, das Scharlach hat“, sagt Christian Hangen, Inhaber von Apotheken in Alheim, Niederaula, Eschwege und in Kürze auch in Rotenburg. Er rechne damit, dass sich die Engpässe nicht schnell lösen lassen, sondern dass das Problem auf Jahre bestehen bleibe. Die Kunden hätten größtenteils Verständnis. Allerdings berichtet Hangen auch von einem Kunden, der einen Arbeitsunfall erlitten hatte und dessen Medikament nicht vorrätig war. „Der ist schreiend herausgelaufen.“

Die Bad Hersfelder Apothekerin Saskia Hildwein sieht die Ursache für die Engpässe in einem jahrelang betriebenen Preisdumping. „Nun haben wir im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten Niedrigpreise, die Hersteller müssen zum Teil Geld drauflegen. Da sollte die Politik dringend nachsteuern.“

Apotheken streiken am 14. Juni 2023

Am 14. Juni sollen bundesweit Apotheken geschlossen bleiben. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ruft zu einem Streiktag auf, an dem auch die Apotheken in der Region teilnehmen. Die Versorgung mit Arzneimitteln erfolge an diesem Tag über den Apothekennotdienst. Mit dem Streiktag wolle man der Politik die aktuellen Missstände aufzeigen: Lieferengpässe, Personalnot und eine seit Jahren bestehende Unterfinanzierung. 

Kurzum: „Die Situation ist katastrophal“, klagen die Apotheker im Landkreis. Gleichzeitig sei man extrem frustriert, wenn etwa Eltern kranker Kinder um antibiotischen Saft bitten, dieser aber nicht verfügbar ist. Ursache sei im Falle des antibiotischen Safts für Kinder kein Wirkstoffmangel, wie das zum Beispiel bei Ibuprofen der Fall gewesen sei, sondern ein Einbruch der Produktion.

„95 Prozent der Ausgangsstoffe in Antibiotika werden in China hergestellt. Diese Lieferengpässe bestehen nicht erst seit gestern, sondern sind schon seit vier bis fünf Jahren bekannt. Jetzt schlägt es bei uns ein. Hier hätte die Politik früher eingreifen müssen“, sagt Stefan Göbel, Inhaber der Brückenapotheke in Heringen. „Das die Versorgung überhaupt noch funktioniert, liegt an den Teams der Apotheken, die täglich mehrfach mit Großhändlern und Hausärzten kommunizieren, um eine Lösung zu finden“, verdeutlicht Göbel.

„Wir haben momentan Zustände wie an der Börse“, erläutert Ina Müller, Inhaberin der Schwanen Apotheke am Markt in Bad Hersfeld. Täglich versuchten Mitarbeiter bei mehreren Großhändlern Medikamente zu ordern – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Manchmal sei ein Medikament heute nicht verfügbar, morgen hingegen doch, andere Medikamente sind gar nicht lieferbar. Für die Apotheken bedeutet das einen enormen Mehraufwand. Christian Hangen, Inhaber von Apotheken in Alheim, Niederaula, Eschwege und in Kürze auch in Rotenburg schätzt, dass sich der Mehraufwand pro Kunde um 10 bis 15 Minuten erhöht, wenn ein Medikament nicht vorrätig oder lieferbar sei. Das betreffe rund 20 Kunden pro Tag.

Hunderte Artikel aus dem üblichen Bestand sind nicht lieferbar

Insgesamt seien zahlreiche Medikamente nicht verfügbar. Laut Müller seien aktuell 373 Artikel nicht lieferbar, die sonst in der Apotheke zu bekommen sind. Bei Christian Hangen sind es 249 Artikel. Stefan Göbel berichtet von 400 bis 500 Artikeln täglich, die Bad Hersfelder Apothekerin Saskia Hildwein von 234 Artikeln täglich allein in der Apotheke in der City Galerie.

Alle Apotheker frustriert, dass keinerlei Lösung des Problems seitens der Politik erkennbar sei, was eine Planungssicherheit zunichtemache. Zuletzt hatte das Bundeskabinett einem Gesetzentwurf zugestimmt, der den Engpässen entgegensteuern soll. Für Produzenten von Medikamenten sollte es damit wieder attraktiver werden, Deutschland zu beliefern. Bislang müssten sich Krankenkassen beim Einkauf von sogenannten Generika, also patentfreien Arzneien, nach Kriterien richten, welche die Kosten möglichst begrenzen wollen.

Per Festbetrag wird beispielsweise ein Höchstwert für die Erstattung von bestimmten Arzneimitteln festgeschrieben. Was für die Krankenkassen oftmals die Wahl des günstigsten Anbieters bedeutete, für die Herstellerfirmen hingegen niedrige Gewinnmargen beim Verkauf in die Bundesrepublik. Und so sollen künftig Festbeträge oder auch mit Herstellern ausgehandelte Rabattverträge bei der Belieferung mit Arzneien für Kinder wegfallen, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium.

Ina Müller sieht zumindest eine positive Entwicklung in der Krise: Viele Kunden würden wertschätzen, wie sich die Mitarbeiter in den Apotheken bemühten, in jedem Fall für die Kunden eine Lösung zu finden. „Das rückt natürlich zusammen“, sagt Müller. (Daniel Göbel)

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