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„Der Rettungsdienst hat keine Lobby“

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Der Rettungsdienst hat keine Lobby: Das sagen die beiden Notfallsanitäter Björn Wettlaufer (links) und Markus Faupel vom DRK-Rettungsdienst in Bad Hersfeld
Der Rettungsdienst hat keine Lobby: Das sagen die beiden Notfallsanitäter Björn Wettlaufer (links) und Markus Faupel vom DRK-Rettungsdienst in Bad Hersfeld © Kai Struthoff

Gewalt gegen Hilfskräfte ist nicht nur in den Großstädten ein Problem. Unsere Zeitung sprach mit zwei Notfallsanitätern des DRK-Rettungsdienstes aus Bad Hersfeld.

Hersfeld-Rotenburg – Die Krawalle in der Silversternacht haben die Öffentlichkeit schockiert. Über Gewalt gegen Rettungskräfte und die Wertschätzung für die Helfer sprachen Kai A. Struthoff und Peter Wiebe mit dem Leiter des DRK-Rettungsdienstes Waldhessen Björn Wettlaufer und seinem Stellvertreter Markus Faupel.

Herr Wettlaufer, Herr Faupel, Gewalt gegen Rettungskräfte – ist das nun nur ein Problem der Großstädte oder erleben Sie das hier auch in Ihrem Arbeitsalltag?

Markus Faupel: Die Aggressivität gegenüber Rettungskräften nimmt auch bei uns zu, aber ist noch bei Weitem nicht mit den Zuständen in Großstädten zu vergleichen. Wenn man auf Menschen mit Drogen- oder Alkoholproblemen trifft, dann gab es schon immer Auseinandersetzungen. Physische Gewalt habe ich selbst noch nie im Dienst erlebt. Aber die Anspruchshaltung hat zugenommen. Die Forderung, vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gefahren zu werden, wird zuweilen auch sehr aggressiv eingefordert.

Sie haben auch die Bilder aus der Silvesternacht gesehen: Wie erklären Sie sich diese Gewalt, diesen Hass, gegen Menschen, die helfen wollen?

Björn Wettlaufer: Der letzte mir bekannte tätliche Angriff auf Kollegen hier bei uns liegt schon einige Zeit zurück. Dennoch sehe ich schon ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Gewisse Bevölkerungsgruppen wissen gar nicht mehr, was wir eigentlich machen, und was unsere Aufgabe ist. Das gilt für die Feuerwehr, wie für den Rettungsdienst. Und manche machen sich vielleicht auch einfach nur einen Spaß daraus, Rettungskräfte zu attackieren. Das ist natürlich nicht zu tolerieren.

Sie sprechen von „gewissen Bevölkerungsgruppen“ – meinen Sie damit Menschen mit Migrationshintergrund, über die im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen ja vor allem diskutiert wird?

Wettlaufer: Ich sag’s mal ganz direkt: Es gibt in allen Bevölkerungsgruppen Chaoten, die so etwas machen. Das hat nichts mit Nationalitäten zu tun. Solche Angreifer gehören bestraft – ohne Ansehen ihrer Herkunft. Als Deutsches Rotes Kreuz fühlen wir uns ohnehin der Universalität verpflichtet ...

... das heißt, die Rotkreuz- und Roterhalbmondbewegung ist weltumfassend. In ihr haben alle nationalen Gesellschaften gleiche Rechte und die Pflicht, einander zu helfen ...

Wettlaufer: Genau. Ich kann jedenfalls nicht sagen, dass Menschen mit bestimmter Herkunft mehr Probleme bereiten. Aus meiner Sicht hat es vielmehr etwas mit dem Bildungsstand zu tun.

Es wird jetzt über ein Böllerverbot diskutiert. Aus medizinischer Sicht würde das vielleicht Sinn machen, denn immerhin passieren in der Silversternacht schlimme Unfälle. Aber ist das allein zielführend?

Faupel: Darüber wird ja schon lange diskutiert. Die Städte haben schon jetzt die Möglichkeit, Böllerverbote für gewisse Bereiche auszusprechen. Ob aber ein generelles Böllerverbot sinnvoll wäre, bezweifele ich. Bei uns in der Region gab es übrigens in der Silversternacht auch kein erhöhtes Einsatzaufkommen wegen Böllerverletzungen. Alkohol ist da eher ein Problem.

Es wird auch über Videoaufzeichnungen in den Rettungsfahrzeugen diskutiert?

Wettlaufer: Das stelle ich mir schwierig vor, denn es gilt ja auch die europäische Datenschutzverordnung. Zudem käme es dabei ja auch zu einer Überwachung unserer Mitarbeiter. Der Staat hingegen kann die öffentlichen Plätze und Brennpunkte überwachen. Das ist erlaubt. Und wer Rettungskräfte angreift, muss bestraft werden: Schnell, hart – und es muss auch öffentlich gemacht werden, damit potenzielle Nachahmer abgeschreckt werden.

Die Übergriffe auf Rettungskräfte sind ja nur eines Ihrer Probleme. Es wird allgemein beklagt, dass der Rettungswagen immer öfter ohne echten Notfall als eine Art „Taxi zum Krankenhaus“ missbraucht wird. Erleben Sie das hier auch?

Faupel: Ja, das ist auch hier so – aus vielerlei Gründen. Früher hat man vielleicht seine Eltern oder Großeltern angerufen und gefragt, was man tun kann, wenn man Fieber hat. Heute fehlen oft diese intakten Familienstrukturen. Auch die Hausarztsituation hat sich verändert. Die medizinische Versorgung im ländlichen Raum ist angespannt, da kommt der Arzt seltener zu einem nach Hause.

Wettlaufer: Außerdem ist das Anspruchs- und Dienstleistungsdenken stark verbreitet. Viele Leute glauben, Sie hätten einen Anspruch auf den Rettungsdienst, so wie bei Amazon die Bestellung geliefert wird. Hinzu kommt noch die veränderte Kliniklandschaft. Wir müssen immer weitere Strecken zu den Krankenhäusern fahren. Auch die Veränderungen bei den ärztlichen Notdiensten spüren wir deutlich. Diese Hotline 116-117 ist oft überlastet. Da rufen Menschen mit gesundheitlichen Problemen eben die 112 an – und dann kommt der Rettungsdienst.

Besteht denn tatsächlich ein Anspruch auf einen Rettungswagen, nur weil ich beispielsweise Bauchschmerzen habe?

Faupel: Diese Frage kann man so pauschal nicht beantworten, denn natürlich können Bauchschmerzen eine lebensbedrohliche Ursache haben. Deshalb müssen das im Einzelfall immer die Mitarbeiter vor Ort entscheiden.

Wettlaufer: Um noch mal den Meldeweg darzustellen: Der Notruf geht in der Leitstelle ein, dort sitzen gut ausgebildete Kollegen. Sie müssen einschätzen, ob ein Rettungswagen erforderlich ist oder nicht. Im Zweifel wird aber immer ein Rettungswagen geschickt, denn wenn keiner kommt und etwas passiert, können wir auch schnell verklagt werden. Es fehlen klare gesetzliche Vorgaben, und der Schwarze Peter wird immer weitergeschoben.

Manche Leute wollen mit dem Rettungswagen auch lange Wartezeiten beim Arzt oder in der Ambulanz vermeiden. Geht es wirklich schneller, wenn man mit Blaulicht kommt?

Wettlaufer: Auch das kommt immer auf den konkreten Fall an. Jedenfalls sollte sich niemand darauf verlassen, dass es dann schneller geht und deshalb den Notruf missbrauchen. Denn eben dieser Rettungswagen kann möglicherweise bei einem lebensbedrohlichen Einsatz fehlen.

Das Thema Hilfsfristen wird gerade im ländlichen Raum oft diskutiert. Können die zehn Minuten zwischen Notruf und Eintreffen des Rettungswagens bei uns eingehalten werden?

Wettlaufer: Die Hilfsfristen von zehn Minuten sind eine gute Sache und das Land Hessen ist dabei im Vergleich zu anderen Ländern weit vorn. Es gibt allerdings auch bei uns im Kreis ein paar Ausnahmegebiete, also sehr abgelegene Ortsteile. Die Hilfsfristen werden regelmäßig überprüft, sollten Anpassungen notwendig sein, setzen wir diese zusammen mit dem Landkreis um. In unserem Landkreis muss sich niemand Gedanken machen, dass der Rettungswagen nicht rechtzeitig kommt. Zudem haben wir auch Verträge mit den Nachbarkreisen. Ich wohne zum Beispiel in Kirchheim-Frielingen, zu mir würde der Rettungswagen von den Kollegen aus Oberaula kommen.

Gerade in der Corona-Zeit wurde viel über mangelnde Wertschätzung für medizinische Helfer diskutiert – vor allem in den Krankenhäusern und in der Altenpflege. Wie ist das im Rettungsdienst – fühlen Sie sich wertgeschätzt?

Faupel: Es geht uns ja nicht anders als den Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern. Wir sind nun mal an 365 Tagen 24 Stunden im Einsatz. Daran lässt sich auch nichts ändern.

Wettlaufer: Wir als Rettungsdienst haben keine große Lobby – anders als die Ärzte oder die Klinikmitarbeiter. Es interessiert keinen, was wir wollen. Dabei müssen auch wir alle Reformen auslöffeln. Das ist gar nicht so sehr eine Frage der Wertschätzung – wir werden einfach vergessen.

Was bedeutet das für die Zukunft des Rettungswesens?

Wettlaufer: Wir verlieren natürlich trotzdem nicht unsere Zuversicht und die Hoffnung. Man darf nicht alles schlechtreden. Wir erleben täglich auch viel Anerkennung und Dankbarkeit in unserem Beruf. Wir helfen tatsächlich vielen Menschen. Das macht unsere Arbeit gerade auch für Berufsanfänger attraktiv. Wir haben in jedem Jahr sieben Auszubildende. Und das ist auch wichtig, damit wir auch in Zukunft genug Personal haben, um die Hilfsfristen, aber auch unsere Arbeitszeiten einzuhalten.

Zur Person

Björn Wettlaufer wurde 1978 geboren und Leiter des DRK-Rettungsdienstes Waldhessen. Nach dem Zivildienst hat Wettlaufer zunächst die Ausbildung zum Rettungssanitäter und später zum Rettungsassistenten absolviert und sich später noch zum Notfallsanitäter weiterqualifiziert. Wettlaufer lebt mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in Kirchheim-Frielingen.

Markus Faupel wurde 1979 geboren. Nach der Schule hat er eine Ausbildung als Zimmermann gemacht. Nach dem Zivildienst hat Faupel zunächst die Ausbildung zum Rettungssanitäter und danach zum Rettungsassistenten absolviert. Später folgte die Weiterqualifizierung zum Notfallsanitäter. Faupel ist verheiratet und hat zwei Kinder, die Familie lebt in Haunetal-Stärklos. kai

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