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„Einiges würde ich anders angehen“: Dr. Rolf Göbel (SPD) über 50 Jahre Kommunalpolitik

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Dr. Rolf Göbel ist seit 50 Jahren in der Bad Hersfelder Kommunalpolitik aktiv.
Dr. Rolf Göbel ist seit 50 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv. © Struthoff, Kai A.

Dr. Rolf Göbel (SPD) spricht im Montagsinterview über 50 Jahre Engagement in der Bad Hersfelder Kommunalpolitik.

Bad Hersfeld – Seit über 50 Jahren ist Dr. Rolf Göbel in der Kommunalpolitik in Bad Hersfeld aktiv: Stadtverordneter, Magistratsmitglied, Erster Stadtrat, Stadtverordnetenvorsteher, Aufsichtsratsmitglied und -vorsitzender – es gibt kaum ein Amt, das der 78-jährige Sozialdemokrat und ehemalige Lehrer nicht innehatte.

„Politik macht süchtig“ hatte Rolf Göbel bei der Verleihung des Ehrenbriefes des Landes Hessen gesagt. Über diese Sucht sprach Rolf Göbel mit Kai A. Struthoff.

Herr Dr. Göbel, ein früherer Schüler von Ihnen hat mir erzählt, er sei wegen Ihnen in die Politik gegangen. Allerdings ist er bei der CDU. Ist das für Sie trotzdem ein Erfolg?

(lacht) Auf jeden Fall! Ich finde es enorm gut, wenn man sich kommunalpolitisch betätigt. Für welche Partei, das muss jeder selbst entscheiden. Ich habe Gemeinschaftskunde – früher hieß es politische Bildung – und Wirtschaftswissenschaften unterrichtet, und dabei spielte Politik natürlich immer eine wichtige Rolle. Übrigens habe ich aber nicht nur junge Leute zur CDU gebracht: Auch unser heutiger SPD-Stadtverordnetenvorsteher Lothar Seitz war früher mein Schüler ...

Sie sind mit 27 Jahren zum ersten Mal Stadtverordneter geworden. Was hat Sie dazu bewogen, sich zur Wahl zu stellen?

Ich bin 1970 als Student im Zuge der „Willy-Bewegung“, also der Begeisterung für die Politik von Willy Brandt, in die SPD eingetreten. Willy Brandt hat mich wie viele Sozialdemokraten meiner Generation geprägt. Ich war damals bei den Jusos. Wir waren zahlenmäßig sehr stark und konnten daher wirklich viel Einfluss nehmen. Ich war Jusos-Unterbezirksvorsitzender und deshalb wurde mir dieses Mandat angetragen.

In den vergangenen 50 Jahren hat die SPD viele Höhen und Tiefen erlebt und harte Kämpfe ausgetragen – denken wir nur an Gerhard Schröder und die Hartz-IV-Gesetze. Haben Sie je mit Ihrer Partei gehadert?

Selbstverständlich, nicht nur wegen der Hartz-IV-Gesetze. Aber es ist auch normal, dass man mit einer Partei nicht jederzeit und immer zu 100-Prozent übereinstimmt. Ich war damals friedensbewegt, sodass ich auch mit dem NATO-Doppelbeschluss große Schwierigkeiten hatte. Aber wenn ich es rückblickend bewerten sollte, denke ich, dass beide Entscheidungen doch richtig waren.

Bei Ihrer Rede im Stadtparlament nach der Auszeichnung mit dem Ehrenbrief klangen Sie eher nachdenklich als euphorisch. Ich hatte den Eindruck, als wären diese 50 Jahre Kommunalpolitik nicht immer nur eine Freude für Sie gewesen?

Das ist richtig: Es gab Höhen und Tiefen – und beides hat mich geprägt. Natürlich freue ich mich immer noch über die konstruktiven Erfolge meiner Bemühungen hier vor Ort. Aber es gab auch richtige Tiefpunkte in dieser Zeit.

Fangen wir mit dem Positiven an: Worauf sind Sie besonders stolz?

Ich habe in dieser Zeit mit insgesamt sechs, ganz unterschiedlichen Bürgermeistern zusammengearbeitet. Die intensivste Phase waren die beiden Amtszeiten von Hartmut H. Boehmer. In dieser Zeit haben wir unter seiner Federführung zum Beispiel die Stadtwerke teilprivatisiert. Das hat in meiner Partei viel Überzeugungsarbeit gekostet. Ich bin aber auch immer sehr intensiv für die Kultur in unserer Stadt wie etwa das Buchcafé oder den AfM eingetreten. Auf die Festspiele bin ich besonders stolz. Hier mussten wir zuweilen um und mit Intendanten ringen. Auch die Stadtentwicklung lag mir immer am Herzen: Boehmer hat Libri und Amazon nach Bad Hersfeld geholt – stets in Abstimmung mit dem Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion. Und das war ich. Das war damals eine heiße Diskussion ...

Und was sind die Tiefpunkte dieser Zeit?

Wenn ein Bürgermeister eine Gruppe von Stadträten, darunter auch mich, beim Landgericht Fulda wegen Geheimnisverrats anzeigt, so wie es ein ehemaliger Bürgermeister getan hat, dann ist das für mich ein absoluter Tiefpunkt. Das hat mich sehr getroffen – ebenso wie die anderen Beteiligten. Es ging damals um den Intendantenwechsel von Holk Freytag zu Dieter Wedel. Das Verfahren wurde eingestellt, aber ein tiefer Riss in der Zusammenarbeit ist geblieben. Auch mit Bürgermeister Boehmer gab es ja Reibungspunkte, aber die Auseinandersetzung mit Thomas Fehling war der absolute Tiefpunkt.

Als Kommunalpolitiker und als Aufsichtsratsvorsitzender von städtischen Gesellschaften wie den Stadtwerken, den Wirtschaftsbetrieben und der Vitalisklinik trägt man viel Verantwortung, was der normale Bürger oft gar nicht so merkt. Das hat sicher auch manche schlaflose Nacht bedeutet?

Da haben Sie recht! Ich denke da zum Beispiel an den geplanten Verkauf der Vitalisklink, den Lothar Seitz, Willi Saal und ich, damals verhindern konnten. Rückblickend sind darüber jetzt alle froh, zumal die Vitalisklinik wirtschaftlich ja auch gut dasteht. Die Entscheidung war also wohl nicht falsch.

Jahrelang war die Stadtpolitik über die Grenzen hinaus für die sogenannten „Hersfelder-Verhältnisse“, eine besondere Art der politischen Streitkultur, bekannt. Wie haben Sie das erlebt?

Die Debatten in der Bad Hersfelder Stadtverordnetenversammlung haben sich zuweilen schon auf einer polemischen Ebene bewegt. Das muss zwar nicht sein, aber das kann durchaus so sein. Polemik ist ja auch durchaus als Engagement zu verstehen. Im Moment ist es allerdings in der Stadtpolitik sehr ruhig.

... zu ruhig?

Im Moment wird viel im Vorfeld in den Ausschüssen und im Ältestenrat besprochen. Da werden danach im Stadtparlament dann 15 Tagesordnungspunkte ruckzuck abgehandelt. Das hat es früher so nicht gegeben. Damals sind auch die unterschiedlichen politischen Schattierungen deutlicher geworden. Zuweilen war es auch eine Jagd der kleinen Fraktionen auf die Großen. Speziell als die SPD damals eine Koalition mit der CDU und später dann mit den Grünen hatte. Da wurden die jeweiligen Kontrapunkte, also die Oppositionsmeinung, deutlicher. Oft hieß es damals zwar, ‘die Hersfelder kriegen nichts gebacken’, aber in dieser Zeit ist viel bewegt worden in der Stadt.

Viele Kommunalpolitiker zieht es irgendwann in die große Politik, und sie kandidieren für den Landtag, den Bundestag oder wollen Bürgermeister werden. Sie nicht, warum?

Bürgermeister war ganz kurz mal eine Idee, aber die politische Konstellation passte dann nicht, sodass ich diesen Plan zu den Akten gelegt habe. Ich wäre aber gern hauptamtlicher Erster Stadtrat geworden. Das war in der Boehmer-Zeit, aber das war Herrn Boehmer dann nicht so recht. (schmunzelt) Schließlich bin ich aber Stadtverordnetenvorsteher geworden und war damit dann protokollarisch immerhin der erste Repräsentant der Stadt ...

Viele Bewerber um ein politisches Mandat treten heutzutage als parteilose Kandidaten an, anstatt sich zu einer Partei zu bekennen. Woran liegt das?

Ich vermute, das hat mit der allgemeinen Partei-Müdigkeit zu tun. Wer unabhängig ist, hat mehr Optionen. Das ist zurzeit überall in Hessen ein deutlicher Trend. Es liegt aber wohl auch am System der Direktwahl. Früher wurden Bewerber für ein politisches Amt zuvor von ihrer Partei auf Herz und Nieren geprüft. Das war eine Tortur, aber dafür konnte man auch recht sicher sein, dass die Kandidaten zumindest fachlich kompetent sind. Inzwischen kann sich jeder um ein Bürgermeisteramt bewerben. Das ist ja an sich auch positiv. Aber was die fachliche Eignung angeht, ist die Partei bislang ein Prüfstein gewesen, der nun oft fehlt. Deshalb ist die Ausfallquote bei parteigebundenen Bewerbern meist geringer als bei parteilosen Kandidaten – auch bei uns im Kreis.

Wenn Sie mit über 50 Jahren kommunalpolitischer Erfahrung vorausschauen: Welche Prüfsteine liegen jetzt vor uns?

Stadtentwicklung, Wever-Gelände, Stadtarchiv und Verkehr – die Themen, die Sie ja auch in der Zeitung immer wieder aufgreifen, sind sicher die zentralen Prüfsteine für die Stadtpolitik. Es kommt aber noch ein weiterer, sehr zentraler Punkt dazu: Die Art der Kommunikation muss sich ändern. Wir müssen von Angesicht zu Angesicht miteinander reden und nicht nur digital. Aber auch hier hat schon ein Wandel eingesetzt. Die neue Bürgermeisterin Anke Hofmann macht das sehr gut. Sie informiert beispielsweise in jeder Magistratssitzung über ihre Arbeit, das ist ein Fortschritt!

Warum lohnt es sich auch heute noch, sich in einer Partei politisch zu engagieren?

Parteien sind das Salz in der Suppe und ein Teil der Demokratie. Politisches Engagement ist eine Notwendigkeit – gerade für junge Menschen, wenn sie die Weichen für ihre eigene Zukunft stellen wollen. Junge Leute müssen selbst die Welt gestalten, in der sie gern und gut leben wollen.

Wenn Sie jetzt noch mal 50 Jahre zurückgehen könnten: Würden Sie es genauso machen?

Nicht in allen Punkten. Einiges würde ich mit meinem heutigen Wissen natürlich anders angehen. Aber grundsätzlich bin ich mit meinem politischen Wirken ganz zufrieden. All das wäre aber ohne die Unterstützung meiner Frau, meiner Söhne und meiner Enkelin nicht möglich gewesen.

Zur Person

Dr. Rolf Göbel (78) wurde in Falkenberg geboren und ist in Kassel aufgewachsen. Er hat Volkswirtschaftslehre in Marburg studiert, wo er auch seine Ehefrau kennenlernte. Sie stammt aus Bad Hersfeld, weshalb er zunächst an der Berufsschule in Bad Hersfeld und später am Obersberg unterrichtete. Nach einer fünfjährigen Mitarbeit an der Pädagogischen Hochschule in Kassel und der Promotion, arbeitete Göbel beim Studienseminar in Kassel. Danach wechselte er als Fachbereichsleiter an die Jakob-Grimm-Schule nach Rotenburg, wo er bis zur Pensionierung als Lehrer arbeitete. Göbel ist verheiratet, hat zwei Söhne und eine Enkeltochter und lebt in Bad Hersfeld. kai 

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