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Interview mit Alt-Bischof Martin Hein über die Digitalisierung

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Persönliche Begegnung in Zeiten der Digitalisierung: Alt-Bischof Prof. Dr. Martin Hein und HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm nach dem Interview in Bad Hersfeld.
Persönliche Begegnung in Zeiten der Digitalisierung: Alt-Bischof Prof. Dr. Martin Hein und HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm nach dem Interview in Bad Hersfeld. © Kai A. Struthoff

Martin Hein war fast 20 Jahre lang Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Im Ruhestand ist er weiter im Rat für Digitalethik aktiv.

Über seine Arbeit im Rat für Digitalethik sprach Alt-Bischof Prof. Dr. Hein mit Markus Pfromm.

Herr Bischof Hein, was ist das zentrale Anliegen des Hessischen Rates für Digitalethik?

Im Grunde geht es darum, den Prozess der Digitalisierung kritisch und konstruktiv zu begleiten. Der Ethikrat hat nicht die Aufgabe, überall zu bremsen, sondern uns geht es um den verantwortlichen Umgang mit der Digitalisierung. Dazu zählen beispielsweise Fragestellungen wie Jugendschutz, der Umgang mit Hassbotschaften im Internet oder auch Falschnachrichten, also Fake-News. Aber wir fragen uns auch, wie wir die Kompetenz der Menschen im Umgang mit dem Internet stärken können. Denn es gibt immer noch Bevölkerungsschichten, die sehr zurückhaltend im Umgang mit der Digitalisierung sind. Dabei ist die Tendenz, weite Bereiche des Lebens zu digitalisieren, gar nicht mehr aufzuhalten. Deshalb wollen wir Menschen in die Lage versetzen, verantwortlich die Möglichkeiten des Internets zu nutzen.

Eigenverantwortlicher Umgang ist ein hehres Ziel. Aber wir erleben stattdessen häufig die Entgrenzung im Internet: Hassbotschaften, Mobbing, politisch krude Aussagen, die nicht mehr faktenbasiert sind. Braucht es in der digitalisierten Welt deshalb nicht auch Grenzen?

Ja, aber diese Grenzen können wir nicht von vornherein festlegen, es sei denn, sie sind strafrechtlich relevant. Darüber hinaus setzt der Digitalethikrat eher auf die Befähigung von Menschen, auf die Schaffung von Kompetenzen. Jugendliche und auch ältere Menschen sollen in die Lage versetzt werden, mit der Fülle an Informationen, die im Internet auf sie einstürzt, kompetent umzugehen. Dazu müssen wir die Bildung in diesem Bereich ausweiten. Man wird sich mit der digitalisierten Welt als einer Querschnittsaufgabe in unterschiedlichen Schulfächern auseinandersetzen müssen. Junge Leute müssen lernen, zwischen richtig und falsch unterscheiden zu können. Das betrifft natürlich genauso ältere Personen, für die es ebenfalls Angebote geben muss. Kurz gesagt: Wir haben hier einen Bildungsauftrag.

Diesen Bildungsauftrag haben ja auch wir als Medienschaffende – ob nun bei Zeitungen auf Papier gedruckt oder in den elektronischen Medienangeboten auch unserer Verlage. Wenn Sie also beispielsweise uns Zeitungsleuten den Spiegel vorhalten sollten ...?

(lächelt) … dann würde ich zunächst einmal die Vorzüge der deutschen Presselandschaft betonen. Wir haben vielfältige Medien – das ist wichtig. Wir haben dank der Printmedien eine sehr starke regionale Anbindung, und wir finden auch in den lokalen Printmedien einen ausgeprägten Qualitätsjournalismus. Es wird darauf geachtet, dass selbst lokale Nachrichten auf ihre Solidität und Sachhaltigkeit abgeklopft werden. Das sich damit vielleicht manchmal auch noch politische Tendenzen verbinden, das gerade macht die Vielfältigkeit unserer Medienlandschaft aus.

Wie bewerten Sie es, dass gerade auch die traditionellen Printmedien in der digitalen Welt neue Geschäftsfelder erschließen und versuchen müssen, in der Kakofonie der Aufmerksamkeitsüberbietung eine seriöse Rolle zu wahren? Ich frage das ganz selbstkritisch, denn wir selbst sind ja auch Suchende in der digitalen Welt?

Natürlich können sich die klassischen Printmedien dem Trend der Digitalisierung nicht verschließen, denn nur auf die gedruckte Zeitung zu setzen, wäre für die Zukunft sicher nicht ausreichend. Ich warne allerdings vor einer zunehmenden Boulevardisierung. Das kann zwar kurzfristige Effekte erzeugen, wird aber keine dauerhafte Kundenbindung fördern. Bei der Digitalisierung ist vor allem der Faktor Geschwindigkeit wichtig. Sie müssen also dranbleiben, und das ungemein schnell. Die große Frage ist daher: Wie kann das Nutzerverhalten entsprechend ausgewertet und vielleicht beeinflusst werden, ohne die eigenen ethisch-journalistischen Werte aufs Spiel zu setzen?

Kommt der Ethikrat mit seinen Zielsetzungen nicht eigentlich viel zu spät? Der Zug ist doch insbesondere im Hinblick auf die so genannten sozialen Medien und deren teils aggressiven und mitunter sogar die Demokratie gefährdenden Ausblühungen scheinbar längst abgefahren?

Mit der Steigerung der Nutzung steigt auch das Bewusstsein für die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Wir haben es momentan allerdings mit einer Monopolisierung der digitalen Plattformen zu tun. Das erfordert strategisches Handeln auf europäischer Ebene, um nicht abhängig von einzelnen Anbietern in den USA oder China zu werden. Wir müssen uns auf europäischer Ebene darauf besinnen, stabile Strukturen zwischen diesen beiden Blöcken zu etablieren. Das kann aber natürlich nicht ein hessischer Digitalethikrat allein leisten.

Kommen wir nochmal auf die Grundlage des Begriffs Ethik: Geht es nicht auch bei der Digitalisierung am Ende darum, was anständig ist?

Das würde ich so unterschreiben und es als verantwortliches Handel gegenüber anderen bezeichnen. Anständigkeit ist für mich eine Grundhaltung von Humanität, von Menschlichkeit im Umgang mit anderen. Wo das verletzt wird, sind für mich die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten. Obwohl man andererseits das Gut der Meinungsfreiheit sehr hochhalten muss. Deshalb ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Anonymität im Internet zu bedenken. Ich glaube, dass in bestimmten Fällen die Anbieter einer Internetplattform dazu verpflichtet werden müssen, die Offenlegung der Identität von Nutzern zu gewährleisten.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Welche Bedeutung hat es für Sie als Bischof im Ruhestand, in einem solchen Gremium wie dem Digitalethikbeirat mitzuarbeiten?

Für mich ist das deshalb sehr wichtig und herausfordernd, weil ich glaube, dass wir – noch! – in der Lage sind, den Prozess der Digitalisierung zu steuern, der auf Dauer unser menschliches Miteinander nicht nur bestimmt, sondern immer weiter verändern wird. Es geht ja auch um Fragen der Autonomie, um künstliche Intelligenz, um das menschliche Zusammenleben bis hin zu der provokativen Frage, ob wir uns irgendwann als Menschen erübrigen, wenn wir es mit immer mehr autonomen und nicht nur automatisierten Vorgängen zu tun haben, auf die wir als Menschen gar keinen Einfluss mehr haben. Hier sage ich als Theologe ganz deutlich: Menschen definieren sich auch künftig durch eine leibhafte Begegnung. Wir werden bei aller Veränderung der Arbeitswelt weiterhin auf soziale Beziehungen angewiesen sein, denn wir wollen uns nicht nur in Kacheln, auf Monitoren begegnen. Deshalb ist mir die soziale Komponente der Digitalisierung sehr wichtig. Und es gilt dann eben auch, den Prozess der Digitalisierung so zu steuern, dass dabei die Menschenwürde jedes Einzelnen berücksichtigt bleibt.

Zur Person

Prof. Dr. Martin Hein wurde am 6. Januar 1954 in Wuppertal geboren. Er ist evangelischer Theologe und ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Neben Theologie hat er auch Rechtswissenschaften studiert. Hein war vom 1. September 2000 bis zum 29. September 2019 Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.

Auch als emeritierter Bischof bekleidet Martin Hein zahlreiche Ehrenämter. 2014 wurde er beispielsweise als Nachfolger von Wolfgang Huber in den Deutschen Ethikrat berufen. Im August 2018 wurde er von der Hessischen Landesregierung in den Rat für Digitalethik berufen. Seit März 2020 leitet Hein als Vorsitzender den neu einberufenen Klimaschutzrat der Stadt Kassel.

Hein ist verheiratet, hat erwachsene Kinder und lebt in Kassel.

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