1. Startseite
  2. Lokales
  3. Rotenburg / Bebra
  4. Bad Hersfeld

Journalist Gabor Steingart in Bad Hersfeld: Sieben unbequeme Wahrheiten

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Thomas Klemm

Kommentare

Zum Schluss des Sparkassen-Forums stand Gabor Steingart (Mitte) dem Sparkassen-Vorstand Reinhard Faulstich (links) und HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm Rede und Antwort.
Zum Schluss des Sparkassen-Forums stand Gabor Steingart (Mitte) dem Sparkassen-Vorstand Reinhard Faulstich (links) und HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm Rede und Antwort. © JULIA GENS

Beim Forum der Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg stand der Journalist und Medienunternehmer Gabor Steingart aus Berlin auf der Bühne der Stadthalle.

Hersfeld-Rotenburg – „Na, das hat sich wirklich gelohnt“, sagte ein Besucher zu seiner Nachbarin, noch während der Schlussapplaus durch die Stadthalle brandete. Die beiden waren gekommen, um den Ansichten zu lauschen, die der Journalist und Medienunternehmer Gabor Steingart aus Berlin offenbarte. Und sie wurden, wie auch die anderen weit über fünfhundert Gäste des Sparkassenforums, nicht enttäuscht.

In Kooperation mit der Hersfelder Zeitung und der HNA Rotenburg/Bebra hatte das Kreditinstitut ihr traditionelles Forum unter das Motto „Deutschland und die Welt im Stresstest - Unbequeme Wahrheiten über Wirtschaft und Politik“ gestellt. Der 60-jährige Steingart sezierte die politische Weltlage in sieben Punkte und ließ die Zuhörer an seiner Sicht auf diese unbequemen Wahrheiten teilhaben.

„Der aus dem Zweiten Weltkrieg heraus entstandene Föderalismus in Deutschland manövriert uns in eine besondere Lage“, legte er den Finger in den ersten wunden Punkt. „Der Föderalismus ist ein schwieriges System“, denn er verhindere ein Durchregieren. Diese „Dysfunktionalität“, installiert von den damaligen Besatzungsmächten, sei nicht mehr zeitgemäß. „Ich würde heute einen Verfassungskonvent vorschlagen.“

Rhetorisches Regieren

Schon in Punkt zwei bekamen die Politiker ihr Fett weg. „Aus ihrer Verlegenheit heraus haben sich diese ein rhetorisches Regieren angewöhnt. Diese Entkoppelung von Reden und Taten gibt es nur bei ihnen. Ihr Bundestagsabgeordneter Michael Roth“, und hier hatte Steingart die Lacher auf seiner Seite, „bildet da natürlich eine Ausnahme“. Dabei liege so vieles im Argen. „Wer es aus Versehen wagt, seine alte Schule zu besuchen, wähnt sich in einer Ruine oder Graffitiausstellung“, so Steingart. Und bei den Grünen sei es ganz extrem. „Sie haben den Pazifismus gewählt und kriegen eine Außenministerin mit Sturmhaube.“

Zwei Irrtümer

Unser Sozialstaat beruhe auf zwei Irrtümern, schlug der Medienunternehmer danach den Bogen zu den Renten und dem sozialen System in Deutschland. Ein Irrtum sei, dass die Deutschen immer genügend Kinder bekommen würden und der andere, dass Vollerwerbsverhältnisse in der Arbeitswelt normal seien. Beides stimme nicht mehr. „Der Faktor Arbeit als Träger der Alterssicherung funktioniert nicht mehr.“ Deshalb müsse man sich auch neuen Finanzierungsmodellen für die Rente zuwenden, wobei Aktiengeschäfte eine mögliche Alternative seien. „Und vielleicht sollte man einen lichtfreien Sonntag einführen, damit es in Deutschland wieder mehr Kinder gibt.“

Kein 51. Bundesstaat

Bei der Erörterung seines vierten Punktes mussten vor allem die „Transatlantiker sehr tapfer sein“. Er kenne die USA aus seiner Tätigkeit im Washingtoner Büro des Nachrichtenmagazins Spiegel ziemlich gut, aber, und das wiederholte er später noch einmal: „Wir sind nicht der 51. Bundesstaat der USA.“ Deutschland und Europa müssten ihre eigenen Interessen vertreten. Naivität stehe im Wirtschaftsleben unter Strafe. Und damit schlug Steingart den Bogen zu Punkt fünf, in dem er sich mit dem Riesenreich China befasste. Dieses Land sei keine Gefahr für uns, erklärte er den staunenden Zuhörern.

„Die Amerikaner haben in den vergangenen fünfzig Jahren deutlich mehr Länder überfallen als China.“ In militärischer, aber auch in kultureller Hinsicht ist China „ein Land ohne Strahlkraft und keine Weltmacht“. Zurück in den Gefilden der Innenpolitik stellte Steingart die These auf, dass Deutschland nie wieder ein so homogenes Land sein werde wie in den fünfziger und sechziger Jahren. „Ich weiß natürlich, dass sich viele Menschen genau danach sehnen, denn da war das Wir größer.“

In seinem letzten Punkt wandte sich Steingart seinen Berufskollegen zu. „Die Medien sind viel zu fixiert auf die Politiker.“ Diesen Satz konnte man durchaus als Selbstkritik verstehen. Schließlich ist der Berliner nicht nur Journalist und Buchautor, sondern zählt auch zu den stilprägenden Personen in dieser Branche. Mit seinem vor fünf Jahren gegründeten Medienunternehmen „Media Pioneer“, dessen strategischer Partner unter anderem die Axel Springer AG ist, geht er neue Wege im werbefreien Digitaljournalismus.

Weit mehr als fünfhundert Gäste erlebten den Auftritt des Berliner Journalisten und Medienmacher und hörten seinen Ausführungen gefesselt zu.
Weit mehr als fünfhundert Gäste erlebten den Auftritt des Berliner Journalisten und Medienmacher und hörten seinen Ausführungen gefesselt zu. © Privat

Schiff als Firmensitz

Sitz der Firma und der Redaktion ist ein Schiff, welches auf der Spree ankert und damit einen exklusiven Sonderplatz einnimmt. Und das nicht nur hinsichtlich des hart umkämpften und hoch bezahlten Berliner Immobilienmarktes. „Unser Medienschiff ist voll elektrisch und weit und breit das einzige Schiff dieser Art. Deshalb haben wir auch die Ladestationen noch ganz für uns“, verriet er in dem kurzen Frage- und Antwortspiel mit dem Publikum. Er sei im Übrigen sehr für neue Technologien, aber dagegen, Sachen einzuführen, die nicht funktionieren, beantwortete er eine entsprechende Frage eines Gastes.

Gabor Steingart signierte nach der Veranstaltung im Foyer der Stadthalle seine Bücher, die von der Hoehlschen Buchhandlung angeboten wurden.
Gabor Steingart signierte nach der Veranstaltung im Foyer der Stadthalle seine Bücher, die von der Hoehlschen Buchhandlung angeboten wurden. © Privat

Talkrunde zum Schluss

Launig ging es in der abschließenden Talkrunde mit Sparkassenchef Reinhard Faulstich und HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm zu. Hier plauderte Steingart über seine Kindheit im Heringer Ortsteil Wölfershausen, über seinen bei K+S beschäftigten Vater und über seine in Buchform gegossene Abiturarbeit „Widerspruch unerwünscht. Beobachtungen aus 111 Jahren Fuldaer Zeitung“. Gabor Steingart war schon damals, als Jugendlicher, ein kritischer Geist. (Thomas Klemm)

Auch interessant

Kommentare