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Irrer „Schiller-Balladen-Rave“ von Philipp Hochmair in der Stiftsruine

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Von: Nadine Meier-Maaz

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Das Bild zeigt Philipp Hochmair mit freiem Oberkörper und in Tarnfleckhose am Boden kniend. Um ihn herum liegen unter anderem ein Helm und ein Kreuz.
Deutsche Lyrik gepaart mit elektronischer Musik: TV-Star Philipp Hochmair und „Die Elektrohand Gottes“ haben mit ihrem „Schiller- Balladen-Rave“ die Bad Hersfelder Stiftsruine in einen Technotempel verwandelt. © Steffen Sennewald

Schiller, Schweiß und Schraubenschlüssel bei Philipp Hochmairs „Schiller-Balladen-Rave“ im Rahmenprogramm der 71. Bad Hersfelder Festspiele.

Bad Hersfeld – Mit ihrem „Schiller-Balladen-Rave“ haben Philipp Hochmair und „Die Elektrohand Gottes“ die Stiftsruine am Dienstagabend in einen Technotempel verwandelt.

Einem breiten Publikum dürfte Hochmair vor allem als TV-Schauspieler etwa aus „Vorstadtweiber“, „Charité“ und „Blind ermittelt“ bekannt sein. Sein „Schiller-Balladen-Rave“ ist deutsche Lyrik gepaart mit elektronischer Musik. Klingt ungewöhnlich, und ist es auch. Da wird die Bühne zur Baustelle und der Text fast zur Nebensache, wenn Hochmair in Tarnfleck und mit Helm umhertobt, mit Megafon, Rohren, Schraubenschlüssel und Zigarre hantiert, mitunter umgeben von Nebelschwaden und Lichteffekten.

Ob Friedrich Schillers Die Bürgschaft, Der Handschuh, Der Ring des Polykrates oder Der Taucher – zumindest in Teilen sind vielen die Balladen aus der Schulzeit bekannt. So aber hat sie wohl noch niemand gehört. Der „Schiller-Balladen-Rave“ ist ein Happening, eine Performance – und mittendrin taucht plötzlich Johann Wolfgang von Goethes Erlkönig auf („Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“).

Mit Tarnfleck, Techno und Megafon ließ Philipp Hochmair Schillers Balladen ganz neu erscheinen.
Mit Tarnfleck, Techno und Megafon ließ Philipp Hochmair Schillers Balladen ganz neu erscheinen. © Steffen Sennewald

Immer wieder suchte der mal hoch konzentriert, fast abwesend, und dann wie in Ekstase wirkende Hochmair in der lediglich zu gut zwei Dritteln gefüllten Stiftsruine auch den Kontakt zum Publikum, das sich von wummernden Beats zum Mitwippen und -klatschen animieren ließ und das Geschehen auf der Bühne und zwischen den Reihen mit Jubelrufen und Lachern quittierte.

Dabei hätte der Auftritt durchaus mehr Publikum verdient gehabt. Und: Obwohl Hochmair mit seinem Ansatz, klassische Dichtkunst als Techno- oder Rockevent zu inszenieren, eigentlich explizit auch ein junges Publikum ansprechen will, waren die meisten Besucher in der Stiftsruine – wie bei vielen Kulturveranstaltungen – vorwiegend ältere Semester, was der Stimmung jedoch keinen Abbruch tat.

Wer im letzten Jahr bereits „Jedermann Reloaded“ in der Stiftsruine gesehen hat, hatte an der ein oder anderen Stelle ein Déjà-vu, beispielsweise angesichts von Tarnfleck, Grabkerzen und Glitzer. Und leider waren nicht alle Text-Passagen akustisch gut zu verstehen, gerade wenn sie von der Musik teilweise überlagert wurden oder das Megafon zum Einsatz kam.

Einmalig indes das furiose Finale mit dem Lied von der Glocke (der ganzen Glocke!), das nicht nur wegen der räumlichen Nähe zur Lullusglocke als ältester Glocke Deutschlands etwas Besonderes war, sondern auch, weil die Glocke aus dem Festspiel-Stück „Notre Dame“ gegen Ende des rund halbstündigen Beitrags doch noch herabgelassen und in die Darbietung einbezogen wurde. An ihrem Seil schwang sich Hochmair über die Bühne. Wehe, wenn sie losgelassen ...

Den Schlussapplaus spendierte das Publikum im Stehen auch für die drei Musiker Jörg Schittkowski (Synthesizer, Electronics, Klangmaschine, Theremin, Stahlwerk), Rajko Gohlke (Electronics, Drummachine) und Bastien Eifler (E-Drums). Hochmair revanchierte sich anschließend, indem er im Eingangsbereich gut gelaunt und bereitwillig Autogramm- und Fotowünsche erfüllte.

Kurzum: Irgendwie irre, aber irgendwie auch gut. (Nadine Meier-Maaz)

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