Süßwassermuscheln im Kreis Hersfeld-Rotenburg: Ein Leben im Verborgenen

Sie leben weitestgehend im Verborgenen, ihre Existenz ist nicht allen bekannt: Die einheimischen Arten der großen Süßwassermuscheln.
Hersfeld-Rotenburg – Sieben Arten werden in Deutschland zu den Großmuscheln gerechnet, vier davon gibt es laut Martina Schäfer von der Unteren Naturschutzbehörde noch im Landkreis.
Muscheln sind Filtrierer
Die Großmuscheln werden auch als Najaden bezeichnet, nach der antiken Fluss- und Quellgöttin, die für die Reinheit des Wassers steht. Die Namensgeberin wurde nicht zufällig gewählt: „Die Großmuscheln reinigen als Filtrierer das Wasser und stellen so einen wichtigen Faktor im Ökosystem der Teiche und Seen dar“, sagt Schäfer. „Sie filtern ihre Nahrung mithilfe ihrer Kiemen aus dem Wasser. Dabei können einzelne Muscheln bis zu 40 Liter pro Tag filtern.“
Tim Albusberger, Gewässerwart des Angelvereins Bad Hersfeld, ergänzt: „Wenn Muscheln das Wasser filtern, können zum Beispiel Makrophyten (sichtbare Wasserpflanzen) größere Lebensräume besiedeln, da mehr Licht verfügbar ist. Klare Seen sind dann weniger anfällig für Algenblüten, wie etwa Cyanobakterien in Badegewässern.“
Alle Arten gefährdet
Alle heimischen Najaden sind heute im Bestand gefährdet und stehen auf der Roten Liste der Schnecken und Muscheln Hessens. „Alle Süßwassermuschelarten sind in Hessen und auch in Deutschland ganzjährig geschützt“, sagt Michael Herzog, 1. Vorsitzender des Nabu-Kreisverbandes Hersfeld-Rotenburg. „Die Bestände gehen immer weiter zurück.“ Gründe dafür seien unter anderem das Trockenfallen von Stauanlagen, Gülle-Einträge von Feldern, Medikamente, Tiefenerosion bis zum Festgestein oder Kraftstoff und andere Substanzen, die von den Straßen in die Gewässer gespült werden, so Herzog.

Die Flussperlmuschel (wissenschaftlich Margaritifera margaritifera) gilt in Hessen sogar als ausgestorben, letzte Bestände seien vor über zehn Jahren im Vogelsberg registriert worden. Damals gab es allerdings nur noch 17 Tiere, weswegen Wissenschaftler davon ausgehen, dass der Bestand erloschen ist. „Auch die kleine Flussmuschel oder Bachmuschel (Unio Crassus) ist sehr wahrscheinlich in unserem Landkreis ausgestorben“ so Schäfer. „Es gibt nur noch zwei bekannte Vorkommen in Mittelhessen, im Gewässersystem der Ohm und in Nordhessen im Gewässersystem der Schwalm.“
Ebenso gilt die abgeplattete Teichmuschel (Pseudodanodonta complanta) im Kreis als verschollen.
Vier Arten im Kreis
„Die vier weiteren Arten, die aufgeblasene oder dicke Teichmuschel (Unio tumidus), die Gemeine Malermuschel (Unio pictorum), die Schwanenmuschel oder Große Teichmuschel (Anodonta cygnea) sowie die Entenmuschel oder Gemeine Teichmuschel (Anodonta anatina) kommen im Kreis noch vor“, sagt Rainer Hennings, zweiter Vorsitzender des Verbandes Hessischer Fischer. Manchmal liegen die leeren Muschelschalen, wie am Fuldasee in Bad Hersfeld, am Ufer von Gewässern.
Weil die Tiere jedoch streng geschützt sind, ist es verboten, sie aus dem Gewässer zu entnehmen. „Auch die leeren Schalen sind geschützt. Sie dürfen nicht eingesammelt werden“, sagt Schäfer.
Viele Nachkommen
„Die Najaden produzieren eine extrem große Anzahl an Nachkommen, von denen nur wenige den komplizierten Entwicklungszyklus überleben und somit das fortpflanzungsfähige Alter erreichen“, sagt Herzog vom Nabu Hersfeld-Rotenburg. Nach Schätzungen würden es von einer Milliarde Larven nur zehn Tiere bis ins Erwachsenenalter schaffen.
Das liege auch daran, dass die Larven in ihrer Entwicklung auf die Mithilfe von Fischen angewiesen sind. „Die winzigen Muschellarven, genannt Glochidien, sind meist mit kleinen Zähnchen an der Schalenspitze ausgestattet“, sagt Martina Schäfer von der Unteren Naturschutzbehörde. „Mit deren Hilfe setzen sie sich im Kiemengewebe oder im Flossenbereich bestimmter Fischarten fest, wodurch die Wirtsfische aber nicht geschädigt werden.“ Dort entwickelt sich dann eine Gewebezyste und die Muschellarve vollzieht ihre Umwandlung zur Jungmuschel. Ein gesunder Bestand an Wirtsfischen sei also ausschlaggebend für die Vermehrung der Muschelpopulation im Gewässer.
Symbiose mit Bitterling
„Heimische Großmuscheln sind unverzichtbar für die Fortpflanzung des Bitterlings (Rhodeus amarus), einer heimischen Kleinfischart, die als Brutparasit ihre Eier in heimische Großmuscheln ablegt“, sagt Hennings. Das Bitterlings-Weibchen legt die Eier mithilfe einer bis zu fünf Zentimeter langen Legeröhre in die Kiemen der Muschel, das Männchen gibt anschließend seine Spermien ab, die über das Atemwasser in die Muschel gelangen und dort die Eier befruchten.
„Im Innern der Muschel entwickeln sich die Eier gut geschützt zu den kleinen Bitterlings-Larven. Sie werden nach Abschluss der Entwicklung von der Muschel förmlich ausgehustet“, sagt Hennings. Umgekehrt spiele der Bitterling eine Rolle als Brutwirt für die Glochidien einiger Großmuscheln, die Tiere sind aufeinander angewiesen. (Marius Gogolla)