BAP-Chef über Konzerte, Corona und das Impfen: „Die Politik hat gekniffen“

Er ist Ur-Kölner und hat den Dialekt seiner Heimat weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht: BAP-Gründer Wolfgang Niedecken. Wir haben mit ihm gesprochen.
Bebra – Das Telefon klingelt pünktlich auf die Minute. Wolfgang Niedecken ruft mit unterdrückter Nummer an – der Mann, der seit 45 Jahren das Gesicht von BAP ist und Bruce Springsteen seinen Kumpel nennt, schätzt also doch eine gewisse Anonymität. Eigentlich sollte der 70-Jährige, der Kölschrock über die Landesgrenzen hinaus salonfähig gemacht hat, am Abend in Ravensburg spielen.
Durch den Corona-Notstand in Süddeutschland musste das Konzert verschoben werden. Doch Deutschland ist bei den Corona-Regeln ein Flickenteppich: Statt im Tourbus sitzt Niedecken daher in seinem Kölner Arbeitszimmer mit Rheinblick und plaudert stattdessen über den Auftritt im nordhessischen Bebra am heutigen Freitag. Der BAP-Boss will im Lokschuppen seinem großen Idol Bob Dylan huldigen.
Herr Niedecken, was verbinden Sie mit Bebra und wie lang ist der letzte Besuch her?
Die Jahreszahl habe ich jetzt nicht parat, aber wir haben mit BAP in Bebra gespielt, noch vor der Wende. Ich weiß noch, dass wir am Vorabend angekommen sind und ich mit meinem damaligen Hund noch ein bisschen durch die Stadt spaziert bin. Es war alles ruhig, sehr ruhig. Damals war Bebra noch Zonenrandgebiet.
Die leise Hoffnung war, dass Sie sagen: „Bebra? Das ist verdamp lang her.“
(lacht) Das könnte ich wirklich gesagt haben. Schreiben Sie das ruhig.
In den Lokschuppen passen in Corona-Zeiten bis zu 300 Zuschauer. Genießen Sie solche intimeren Konzertabende?
Ich genieße das sehr. Ich habe es am liebsten – ich übertreibe jetzt mal – wenn ich das Weiße in den Augen des Publikums sehen kann. Dann weiß ich: Die bekommen alles mit. Das ist mir viel lieber als anonyme Abfeierei. Unsere Qualität ist, dass wir die Leute ganz persönlich erwischen. Obwohl die Touren mit BAP irgendwann gefühlt unendlich wurden. Wir hätten die Dortmunder Westfalenhalle zweimal ausverkaufen können.
Der BAP-Boss singt und liest Bob Dylan, heißt es. Für wen ist ihr Programm denn nun, Dylan-Fans oder Niedecken-Jünger?
Sowohl als auch. Ich habe als roten Faden eine Reise, die wir 2017 auf den Spuren von Dylan für Arte durch die USA gemacht haben. Ich kann dann immer wunderbar zurückblenden zu Situationen, wo bei mir etwas gezündet hat. Ich spiele BAP-Lieder, ich spiele Dylan auf Kölsch, teilweise wechsle ich mitten im Song die Sprache. Nach der ersten Halbzeit weiß dann meist kein Mensch mehr, ob ich gerade Englisch oder Kölsch singe.
Sie haben oft betont, ohne Bob Dylan wären Sie kein Musiker geworden. Gibt es eigentlich einen direkten Kontakt? Oder spielen Sie die Bälle über Ihren Freund Bruce Springsteen?
Das hat er schon sehr früh gemacht, schon vor der Jahrhundertwende. Bruce Springsteen hat ihm mein Album Leopardefell, wo ich lauter Dylan-Songs auf Kölsch draufhatte, gegeben. Vom Dylan-Büro kam dann die Antwort, wir sollten doch mal eine ganze Kiste schicken – fürs Archiv. Ich weiß also, dass er es bemerkt hat. Ich habe ihn auch zwischendurch mal getroffen, aber nicht nachgefragt. Das wäre mir zu eitel gewesen.
Es gibt sicher Schlechteres, als den „Boss“ als Vermittler zu haben ...
Bruce ist ein ganz anderer Typ als Bob Dylan, der nicht arrogant, aber sehr sehr schüchtern ist. Bruce ist eher extrovertiert, nahbar und wirklich ein toller Kumpel.
Sie haben Ende März ihren 70. Geburtstag gefeiert und hatten 2011 einen Schlaganfall. Sie dürften also zur doppelten Corona-Risikogruppe gehören. Haben Sie eine eindeutige Meinung zum Impfen?
Klarer geht’s nicht. Ich weiß gar nicht, warum zu Beginn der Pandemie alle unter Ausschließeritis gelitten haben. Wie kann man so ein Instrument dermaßen leichtfertig aus der Hand geben? Gerade zum Wahlkampf wurde sich schön ein schlanker Fuß gemacht. Ich habe das nie verstanden. Wenn meine Enkel einen Kindergartenplatz haben wollen, müssen sie gegen Masern geimpft sein. Wenn ich nach Afrika zu einem Hilfsprojekt will, muss ich Impfungen vorweisen. Die Impfpflicht gibt es doch schon längst. Aber die Politik hat da wirklich gekniffen.
Die Frage spaltet auch die Bevölkerung.
Wenn ich das mal etwas runterbreche: Es hat auch unzählige Talkshows zum Rauchverbot gegeben. Natürlich macht man sich bei dem ein oder anderen unbeliebt. Aber wer es jedem recht machen will, wird beliebig. Das ist ein Satz, den ich schon von meiner Mutter gehört habe.
Als Künstler sind Sie auch ein Stück weit darauf angewiesen, dass die Leute sich impfen lassen.
Nicht nur als Künstler, auch als Familienvater, als Großvater. Ich will, dass diese Pandemie auf die Reihe gebracht und nicht unnötig Zeit verplempert wird. Wenn wir jetzt die Impfpflicht beschließen würden, dauert es bis Februar, bis es Wirkung zeigt. Das müsste alles viel schneller gehen. Vielleicht würden dann auch die ganzen Schlafmützen aufwachen. Damit meine ich nicht die Querdenker, diese Esoteriker und Querulanten, die ja nur so tun, als würden sie für die Schlafmützen mitsprechen. Bei denen ist Hopfen und Malz verloren. Meinen 71. Geburtstag würde ich schon gerne auf Tour mit BAP feiern – auch, wenn es natürlich Wichtigeres gibt. Bei uns stehen alle in den Startlöchern. Aber es gibt einen Rückschlag nach dem anderen.
Sie haben mit BAP eine Kampagne gefahren, die auf die Probleme nicht nur der Musiker, sondern der Crew hinweist. Wie schlimm ist es?
Wenn wir unsere Crew für eine BAP-Tournee zusammenkriegen wollen, dann ist jeder Zweite aus unserer eingefahrenen Truppe in seinen alten Beruf zurückgegangen oder hat einen anderen Job, in dem er mehr Sicherheiten hat. Momentan liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Tour kommendes Jahr bei 50:50. Wir brauchen Vorlaufzeit. Wir können nicht einfach sagen: Morgen spielen wir meinen Geburtstag in der Köln-Arena. Und das Zeitfenster wird immer enger. Mittlerweile soll der Fußball Schuld sein, das finde ich das Allerschärfste. In Nordrhein-Westfalen hat der schneidige Herr Wüst den lavierenden Herrn Laschet abgelöst (als Ministerpräsident, die Redaktion) und gleich den Sündenbock gefunden: den 1. FC. Köln.
Karneval unter scharfen Corona-Regeln und der Fußball auf dem Kieker der Politik – was bleibt dem Kölner noch?
(lacht) Das Leben besteht nicht nur aus Karneval und Fußball. Ich bin übrigens auch kein Karneval-Fan. Ich habe im vergangenen Jahr mit den Bläck Fööss ein Benefiz gespielt für die ganzen Leute, die im Karneval nichts verdienen konnten. Das habe ich gemacht, weil ich mitfühlen konnte. Aber normalerweise halte ich großen Abstand zu Karneval. Es ist aber unverschämt, den Fußball zum Sündenbock zu machen, wenn die Politik so viel ausgelassen hat.
Schauen Sie Ihren FC direkt im Stadion oder daheim?
Ich schaue direkt im Stadion, wenn ich auf Tour bin im Fernsehen. Aber darum geht es nicht, sondern um alles, was da finanziell dran hängt für die Vereine. In Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und Leipzig schießt ja immer einer die Kohle nach. Aber wir sind nur ein normaler Verein ohne großartige Industrieanbindung.
Sie sind auch Maler. Welche Farben würden Sie für ein derzeitiges Stimmungsbild in Deutschland verwenden? Wutrot? Trauerschwarz?
Eher grau-blau. Wenn ich hier aus dem Fenster rausgucke sehe ich einen grauen Himmel, mein Arbeitszimmer hat Rheinblick, der ist auch grau. Ich sehe so ein bisschen den Dezember-Blues. Knallende Farben würden mir gerade nicht einfallen. Es gibt keinen Grund zur Euphorie.
Ihre Lieder der vergangenen 20 Jahre sind in diesem Büro entstanden. Sie beschreiben das in „Noh all dänne Johre“.
Der Rhein ist für mich ein kleiner Seelenretter. Ich sehe gern, wie er fließt. Das beruhigt und tröstet mich. Das müssen wir an die Leute weitergeben, das ist es, was ein Künstler tun kann: Seelennahrung liefern. Ich funktioniere auch komplett analog und bin überhaupt kein digitaler Mensch. Ich habe mein Tablet, natürlich, aber meine Songs schreibe ich mit Papier und Bleistift.
Nach 45 Jahren BAP haben die Musiker oft gewechselt, aber Sie sind geblieben. Was treibt Sie auf die Bühne? Wollen Sie es wie die Rolling Stones machen, ewig weiter?
Jagger ist fit wie ein Turnschuh, bei den anderen beiden Originalen sieht es schon anders aus. Aber die lieben ihre Musik, und wenn du Keith Richards das Livespielen wegnimmst, dann stirbt der. Also soll er lieber weitermachen. Bei mir ist es so, dass ich das für mein Leben gern tue. Ich will sehen, wie meine Arbeit bei den Menschen ankommt. Dieser Austausch auf der Bühne ist für mich unglaublich wichtig. (Clemens Herwig)
Zur Person
Wolfgang Niedecken (70) ist Kölner durch und durch. In der Domstadt geboren, schloss er 1974 ohne Abitur ein Studium der freien Malerei ab. Niedecken ist bis heute aktiver bildender Künstler und hat die meisten BAP-Plattencover selbst gestaltet – mit der 1976 von ihm gegründeten Kölschrock-Band wurde er weit über Deutschland hinaus bekannt und prägte eine ganze Generation. Niedecken ist das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band, die 21 ehemalige Mitglieder aufführt. Solo-Auftritte mit Gitarre und Mundharmonika sowie seine Bewunderung für die US-Legende brachten ihm den Beinamen „der kölsche Bob Dylan“ ein. Wolfgang Niedecken ist politisch und gesellschaftlich engagiert, etwa gegen Rassismus und bei Hilfsaktionen in Afrika, und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat zwei Söhne, zwei Töchter und viele Enkel.