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Bebras Ordnungsamtschef Friedhelm Eyert hört auf: „Ich habe das Spiel abgepfiffen“

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Von: Clemens Herwig

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Friedhelm Eyert vor dem Rathaus Bebra.
Friedhelm Eyert, hier vor seinem langjährigen Arbeitsort, ist gerne auf zwei Rädern unterwegs. © Clemens Herwig

Nach 31 Jahren im Rathaus in Bebra sagt Ordnungsamtsleiter Friedhelm Eyert seiner Aufgabe am Ende des Monats Ade. 

Bebra – Wir haben mit ihm über besondere Momente in einer langen Laufbahn, eine stetig wachsende Verwaltung und Beamte mit geballter Faust in der Hosentasche gesprochen.

Herr Eyert, Sie wirken nicht wie ein ausgebrannter Pensionär. Warum machen Sie Schluss?

43 Jahre im Öffentlichen Dienst, besonders aber fast 25 Jahre als Chef eines kommunalen Ordnungsamtes, hinterlassen Spuren. Zuletzt drohte mein Schutzschirm gegen allerlei Unzulänglichkeiten doch etwas undicht zu werden. Allein schon die Pöbelei in den asozialen Medien (Anm. d. Redaktion: gemeint sind Facebook und Co.) sind unerträglich: 27 Fehler in drei Sätze reinhauen und dumm wie Dickmilch sein, aber die Klappe aufreißen. Die vermeintliche Anonymität im Internet macht’s möglich. Beim persönlichen Kontakt im Rathaus ist das anders – da ist der Bürger höchstens etwas bestimmter geworden. Corona hat sicher auch einen Beitrag zu meinem Frust geleistet.

Wie bei uns allen. Was war Ihr Pandemie-Problem? 

Ich kann da leider nur von staatlich organisiertem Versagen sprechen. Es gab Verordnung über Verordnung, aber weit und breit kaum Leute, die sie kontrolliert haben. Und bei Corona haben nur die Dinge funktioniert, die kontrolliert wurden. Appelle an die Vernunft entlocken mir heute noch ein müdes Grinsen. Im ersten Corona-Jahr hat sich eine christliche Gruppe in Bebra mit hunderten von Leuten zum Gottesdienst getroffen unter dem Mantel der Religionsfreiheit, während selbst im Freien nur drei Leute auf einem Haufen stehen durften. Da rückst du mit einer Streife an und kannst nichts machen. Das treibt den Puls hoch. 

Corona war am Ende Ihrer Laufbahn in Bebra. Was stand am Anfang?

Mein erster Tag war ein Kirmesmontag, morgens um elf ging’s gleich ins Festzelt. Da habe ich ein Gelübde abgelegt: Das war das erste und das letzte Mal. Mit Alkohol während der Dienstzeit hab ich es nicht so. Abends gerne mal. Meinem Gelübde bin ich übrigens treu geblieben.

Wie hat sich Bebra in Ihren 31 Jahren dort verändert?

Bebra hat sich verändert. Total verändert. Als ich hier angefangen habe, bin ich manchmal mitleidig belächelt worden. Bebra war als Stadt der Ausländer verschrien. Was willst du da, da gibt’s doch nur Türken, hieß es. Heute lacht keiner mehr über Bebra. Wir sind mit unserer Entwicklung die Vorzeigestadt landauf, landab. Hier wird kulturelle Vielfalt gelebt. Mit den Problemen, die durchaus dazugehören. Funktioniert hat das nur, weil trotz unterschiedlicher Meinungen im Detail insbesondere die großen Fraktionen bei der Stadtsanierung an einem Strang gezogen haben. Dazu kam eine herausragende Beteiligung aus der Bürgerschaft. Und es war ein langer Atem gefragt: Immerhin kam zunächst die Abrissbirne und erst ganz am Schluss der Neuaufbau.

Nur idyllisch war es nicht immer. Es sind Sätze überliefert wie: „Wer Visionen hat, sollte mal zum Arzt.“

Aus einem Streit kann Gutes wachsen. Mir ging es um die Zeit, als hier alles abgerissen wurde und wenige absehen konnten, wohin das mal führt. Mein verstorbener Vater hat gesagt: „Was wollt ihr mit dem Lokschuppen. Reißt das Ding ab.“ Und bei 11 Millionen Euro wie fürs Inselgebäude darf man sich ruhig auch mal streiten. 

Das Personal ist eine der großen Kostenstellen der Stadt – Tendenz steigend. Trotzdem heißt es aus der Verwaltung oft: Dafür haben wir keine Leute. Wie passt das zusammen?

In Bebra ufern die Personalkosten deshalb aus, weil im Bereich der Kindergärten und der Sozialarbeit Stellen über Stellen geschaffen worden sind. Das musste sein, keine Frage, aber für alle anderen Aufgaben sind keine Leute da. Wir brauchen zum Bewältigen unserer Pflichten Personal. Einige, die über zusätzliche Stellen entscheiden und für Soziales gar nicht schnell genug die Hand heben können, knausern in anderen Bereichen gern.

Das würde den Apparat weiter aufblähen. 

Das stimmt, aber unsere Aufgaben sind ja auch mehr geworden. In den vergangenen Jahren haben wir viele Engpässe mit Auszubildenden und Praktikanten und Bebraer Pragmatismus überbrückt. Und trotzdem wirst du angekackt, wenn jemand auf seinen Personalausweis warten muss, wohl wissend, dass er einen Reisepass hat, der noch zwei Jahre gültig ist.

Sie haben in Bebra unter vier Verwaltungschefs gearbeitet. Was ist dran an den Geschichten, dass die Reden des Ehrenbürgermeisters Horst Groß aus Ihrer Feder stammten?

Um das mal klar zu sagen: Ich habe für viele Stadtverordnete, Ortsvorsteher und Magistratsmitglieder geschrieben. Für Horst Groß war ich nicht nur Ghostwriter, sondern habe fast den gesamten Schriftverkehr an die Obrigkeit vorbereitet. Ich wusste, wie er tickt, er wusste, wie ich ticke. Dass er ein CDU-Urgestein ist und ich der SPD angehörte, hat uns nie interessiert.

In Ludwigsau war Ihre politische Laufbahn schon vor einem Jahr zu Ende – ihre Partei hat sie ausgebootet. Jetzt hätten sie wieder mehr Zeit ...

Für mich war es das mit der Kommunalpolitik. Damals glaubten ein paar Laiendarsteller, mit mir spielen zu können. Ohne mich. Deshalb habe ich das Spiel als ehemaliger Schiedsrichter einfach abgepfiffen, mich hat niemand abgesägt. Dafür haben mich aber dutzende Leute angerufen, die diese Provinzposse nicht verstehen konnten.

Wenn der Beruf und das Ehrenamt wegfallen: Wie geht es weiter im Hause Eyert? 

Sofern wir gesund bleiben, wünsche ich meiner wunderbaren Frau Monika und mir viele gemeinsame Kilometer auf dem E-Bike, gern auch an der Nordsee oder in den Alpen. Vor Kurzem bin ich allerdings zunächst noch einmal alle Bebraer Stadtteile abgefahren – meine ganz persönliche Abschiedstournee. Ich habe auch nicht vor, mich in den fotografischen Ruhestand zu versetzen, das Hobby bleibt. Vor allem will ich aber eins, mir Zeit lassen. Damit habe ich auch schon angefangen: Seitdem ich nicht mehr im Rathaus bin, trage ich keine Uhr mehr. 

Zur Person

Friedhelm Eyert (63) ist in Rotenburg geboren und wohnt in Meckbach. Nach dem Abitur 1978 absolvierte er bis 1982 beim Bundesverteidigungsministerium die Ausbildung zum Beamten des gehobenen Dienstes. Bis 1991 war er in leitender Funktion beim Panzergrenadierbataillon 152 in Schwarzenborn tätig. Im Bebraer Rathaus leitete er nach Stationen in Kämmerei und Hauptamt seit 1997 das Ordnungsamt. Eyert war 25 Jahre lang bis 2016 Ortsvorsteher in Meckbach. 15 Jahre gehörte er dem Ludwigsauer Parlament an und leitete Haupt-, Finanz- und Bauausschuss. 1994 verlor Eyert die Bürgermeisterwahl gegen Thomas Baumann, den heutigen Ehrenbürgermeister Ludwigsaus. Von 2016 bis 2021 war er Erster Beigeordneter der Gemeinde. 2001 erhielt er den Ehrenbrief des Landes Hessen. Eyert ist verheiratet und hat eine Tochter. Sein Hobby ist die Fotografie. (Clemens Herwig)

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