Lokschuppen I am Bahnhof Bebra ist seit 30 Jahren ungenutzt

Als „Lost Places“, vergessene oder verlorene Orte, bezeichnet man alte Gebäude, Ruinen, verlassene Häuser. In unserer Serie besuchen wir einige davon und erinnern an ihre oft wechselvolle Geschichte.
Bebra – Der Lokschuppen in Bebra ist als Event Location inzwischen weithin bekannt. Aber es gibt nur wenige Meter entfernt noch einen zweiten, den Lokschuppen I, beide rahmen das Kesselhaus und den dortigen Schornstein ein. Während in der Nummer II bei diversen Veranstaltungen die Post abgeht, ist es in der Nummer I totenstill. Seit hier die Werkstatt im September 1992 aufgelöst und die Arbeit an den E-Loks eingestellt worden ist, liegt der Lokschuppen I im Dornröschenschlaf.
Dabei ist drinnen alles weitgehend unverändert – wie vor über 25 Jahren, so erzählt Peter Kehm (76). Der Bebraer Stadtarchivar hat 1962 seine berufliche Laufbahn mit einer Schlosserlehre bei der Bahn in Bebra begonnen und war später einer von zwei Ingenieuren in der E-Lokwerkstatt. Er berichtet von der vier Meter tiefen Grube, in die man zum Auswechseln der Radsätze und Fahrmotore hinunterstieg, von der sogenannten Achssenke, mit deren Hilfe ein Schienenstück unter der Lok herausgenommen werden konnte, um an das jeweils defekte Rad zu gelangen. Für die Wartung und Reparatur der Elektrik gab es einen langen Dachstand, von dem die Techniker bequem auf die Loks klettern konnten.

Die Ingenieure und Meister hatten eine Art hochgebocktes Büro, das nur über eine lange Treppe zu erreichen war. Zigmal am Tag stieg Kehm diese „Hühnerleiter“ hoch und runter. Gerne erinnert er sich an die Testfahrten Richtung Heinebach, bei denen der Erfolg der jeweiligen Reparatur überprüft wurde. Kehm war selbst auch Lokführer und genoss die kurzen Ausflüge im Führerstand ganz besonders.
Im Lokschuppen I wurden seit 1963 E-Loks gewartet. 90 Loks der Baureihen E 40, 41 und 50 waren bereits in Bebra beheimatet. Zu Spitzenzeiten im Jahr 1972 waren es genau 104 Loks. Regelmäßig mussten die Loks überprüft werden, dazu gab es für jede ein sogenanntes Betriebsbuch. Als einer der leitenden Ingenieure war es eine von Kehms Aufgaben, die Betriebsbücher zu führen.

Bis Anfang der 60er-Jahre hatten allein Dampfloks die Szene in Bebra beherrscht, wo die Hausfrauen wegen des vielen Rußes in der Luft Probleme hatten, weiße Wäsche in der Sonne zu trocknen, ohne dass sie einen schwarzen Schleier bekam. Gewartet, kontrolliert und repariert wurden die Loks in den Lokschuppen. Nach dem Krieg 1945 waren stolze 149 Dampfloks im Betriebswerk Bw Bebra beheimatet. Über 1000 Eisenbahner waren damals im Bw Bebra beschäftigt.
Die Wartung der schweren Dampfloks war eine schmutzige Arbeit, die mit Kohle befeuerten Loks – große benötigten rund zehn Tonnen Kohle auf 500 Kilometer – mussten regelmäßig von Schlacke befreit werden. Ein wichtiger Mann war daher der Oberputzer, der mit seinen rund 100 Betriebsarbeitern für die Beschickung der Tender mit Kohlen ebenso zuständig war wie für die Befeuerung der Loks, die auf Abruf standen oder Wendezeiten hatten, für das Entkohlen, Abschmieren und Putzen. Das Ende der Dampflokzeit Anfang der 60er-Jahre bedeutete einen herben Einschnitt für die Betriebsarbeiter. Zur Wartung der E-Loks wurde nur noch einer von vier Arbeitern gebraucht.

In Bebra war man von jeher und mit Recht stolz auf die hier erbrachten Leistungen. Nicht nur bei den kohlebefeuerten Dampfloks stand man unangefochten an der Spitze der gesamten Bahndirektion Kassel, die auch Eschwege, Fulda, Marburg und Treysa umfasste. Auch bei den ölbefeuerten Schnellzugdampfloks der Baureihe 01.10, die ab Mitte der 50er-Jahre auf Strecke waren, lieferte Bebra deutschlandweit hervorragende Arbeit, und das setzte sich mit der Umstellung auf E-Loks in den 60er-Jahren fort.
Schon ein Jahr vor der Grenzöffnung 1989 werden die Bebraer E-Loks der Baureihe 150 nach Nürnberg abgegeben, die letzten Fristarbeiten an einer in der Eisenbahnerstadt beheimateten E-Lok werden 1992 in Bebra durchgeführt.

Während der in neuem Glanz erstrahlende Lokschuppen II der Stadt gehört, befindet sich die Nummer I bis heute im Eigentum der Bahn. Einen Blick in den Lokschuppen wollte uns die Bahn nicht ermöglichen. Die Frage nach der Zukunft des Gebäudes ließ die Bahnsprecherin unbeantwortet. Peter Kehm hofft jedenfalls, dass die Bahn für das Kleinod doch noch Pläne hat oder es bald veräußern wird, damit der alte Lokschuppen aus dem Dornröschenschlaf erwacht. (Gudrun Schankweiler-Ziermann)