GDL-Verkehrsexperte fordert bessere Zukunftskonzepte für Bus und Bahn

Autonome Busse, Seilbahnen und Bahnstrecken-Reaktivierungen: Darüber sprachen wir mit dem verkehrspolitischen Sprecher der GDL-Ortsgruppe Kassel, Patrick Rehn aus Bebra.
Hersfeld-Rotenburg – Als verkehrspolitischer Sprecher der GDL-Ortsgruppe Kassel befasst sich Patrick Rehn aus Lüdersdorf nicht nur mit den Interessen der Lokführer, sondern auch mit der Zukunft des Nahverkehrs. Wir sprachen mit ihm über autonome Busse, Seilbahnen und Bahnstrecken-Reaktivierungen.
Als Lokführer-Gewerkschafter sind sie vermutlich kein Freund autonomer Verkehre, weil das der Abschaffung Ihres Berufsstandes gleichkäme?
Auch wir Lokführer können uns autonomen Verkehrsmitteln nicht verschließen. Insbesondere der Schienenverkehr bietet sich für eine Automatisierung an. Die oft ins Feld geführte fahrerlose U-Bahn in Nürnberg ist allerdings ein in sich abgeschlossenes System unter der Erde ohne Bahnübergänge, kreuzende Radfahrer oder parkende Autos. Über der Erde sind die äußeren Einflüsse deutlich größer, sodass man einen Menschen im Zug oder Bus braucht, um Entscheidungen zu treffen und Störungen zu beheben. Die Wenigsten können sich mit dem Gedanken anfreunden, in ein Fahrzeug einzusteigen und die Kontrolle komplett abzugeben.
Sehen Sie deshalb auch entsprechende Überlegungen fürs Umfeld des Klinikums und die ehemalige Kreisbahnstrecke durchs Solztal kritisch?
Ein Konzept, wie es Bürgermeister Fehling und die Firma Dromos verfolgen, ist innerhalb des Stadtgebietes schwierig umzusetzen. Wenn autonome Fahrzeuge mit einer Situation überfordert sind, bleiben sie stehen und warten, bis ihr Fahrweg wieder frei ist. Auf dem Seilerweg würde im schlechtesten Fall eine Perlenkette autonomer Fahrzeuge die Rettungswagen ausbremsen. Bei einem Meter Fahrzeugbreite bleiben innen maximal 90 Zentimeter Sitzbreite. Bequem nebeneinandersitzen könnte man bestenfalls längs zur Fahrtrichtung. Ich bezweifle, dass bei 2,50 Meter Länge neben Technik, Türen, Motoren und Akkus noch Platz für bis zu drei weitere Fahrgäste sein soll – ganz zu schweigen von Fahrrädern, Kinderwagen, Rollstühlen oder Gepäck. Im Solztal sollen autonome Fahrzeuge zwischen festen Haltestellen verkehren. Das können Busse, Züge und Straßenbahnen aber viel besser. Interessanter wäre ein solches Konzept in ländlichen Gebieten als Zubringer von der Haustür zur Haltestelle.
Was wäre für die Anbindung des Klinikums die bessere Alternative?
Eine gute Busverbindung, die beschleunigt zwischen Breitenstraße, Bahnhof und Klinikum in einem dichteren Takt als bislang pendelt. Was Linien, Fahrzeiten und die Bedienungsfrequenz betrifft, ist das Stadtbussystem seit 1996 leider kaum weiterentwickelt worden. Ein normaler Omnibus hat 35 bis 40 Sitzplätze und ungefähr noch mal die gleiche Stehplatz-Zahl. In Gelenkbussen ist Platz für bis zu 140 Fahrgäste. Mit drei bis vier Bussen pro Stunde ließen sich bis zu 500 Menschen befördern. In die Dromos-Fahrzeuge sollen maximal vier Personen passen. Es müssten also über 100 davon pro Stunde hin- und herfahren, um die gleiche Kapazität zu erreichen.
Außerhalb der Stoßzeiten fahren Busse viel leeren Raum spazieren. Sind die kleinen, flexibel per App anforderbaren Fahrzeuge da nicht die bessere Alternative?
Fahren On-Demand hat außerhalb der Stoßzeiten schon seinen Charme. Zum Schichtwechsel oder während der Besuchszeiten sind die Busse aber klar im Vorteil. Autonome Fahrzeuge könnten allerdings auf dem Gelände des Klinikums eine Zubringerfunktion übernehmen, um Patienten oder Besucher von der zentralen Haltestelle am Eingang zur jeweiligen Fachabteilung zu bringen. Das wäre auch deutlich leichter zu realisieren, denn im Gegensatz zu öffentlichen Straßen sind dort kaum andere Fahrzeuge unterwegs.
Ein Bürgermeisterkandidat hat eine Seilbahn vom Bahnhof zum Klinikum ins Spiel gebracht …
Ein interessanter Vorschlag. Weil es auf dem Boden zu voll wird, untersuchen aktuell mehrere große Städte den Bau von Seilbahnen. Man müsste allerdings die entsprechenden Masten aufbauen und Infrastruktur schaffen. Das würde den ohnehin umkämpften Raum in den Innenstädten zusätzlich verknappen, während es an den Bushaltestellen noch ausreichende Kapazitäten gibt.
Die Ostkreis-Bürgermeister argumentieren, dass eine autonome Teststrecke einfacher genehmigungsfähig wäre als eine Eisenbahn. Ist Schienenverkehr im Solztal nach der Entwidmung zwischen Bad Hersfeld und Schenklengsfeld überhaupt realistisch?
Es muss der politische Wille da sein. Paradebeispiel ist die Idee, die Werratal-Strecke zwischen Gerstungen und Bad Salzungen zu reaktivieren. Dort haben sich sowohl die beiden Landkreise als auch alle Anrainer-Bürgermeister positiv positioniert. Zwischen Schenklengsfeld und Heimboldshausen ist das Kreisbahn-Gleis noch vorhanden und gewidmet. Natürlich müssten Brücken und Bahnübergänge instandgesetzt werden. Zwischen Schenklengsfeld und Bad Hersfeld ist durch den Solztalradweg zumindest der Bahndamm noch komplett vorhanden und nirgendwo mit Gebäuden überbaut. Wenn sich vor Ort bestimmte Ansichten geändert haben, wäre ein Bahnverkehr technisch dort wieder realisierbar.
Auch Personenzüge von Bad Hersfeld nach Breitenbach am Herzberg wurden ins Spiel gebracht.
Das wäre sehr sinnvoll – gerade mit Blick auf den Deutschland-Takt und die geplante ICE-Neubaustrecke mit Halt in Bad Hersfeld. Die Bundesregierung will die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln und den Schienengüterverkehr erheblich ausbauen. Bei einem Lückenschluss zwischen Breitenbach und Alsfeld hätte die Strecke nicht nur eine regionale Zubringerfunktion, sondern wäre eine Querverbindung aus dem mittelhessischen Raum. Fahrgäste aus dieser Region könnten dann in Bad Hersfeld in den ICE umstiegen. Bislang müssen sie in Richtung Erfurt und Berlin lange Umwege über Frankfurt oder Kassel in Kauf nehmen.
Wer soll das alles bezahlen?
Wir haben aktuell eine verschobene Kostenwahrheit. Seit den 1950er Jahren ist die Verkehrspolitik einseitig auf die Straße ausgerichtet. Industriegebiete werden selbstverständlich auf Kosten des Steuerzahlers ans Straßennetz angebunden. Einen Bahnanschluss muss ein Unternehmen dagegen selbst zahlen. Der Straßenverkehr ist noch immer für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Auch die Folgekosten der vielen Verkehrsunfälle trägt zum Großteil die Allgemeinheit. Um einen Verkehrskollaps abzuwenden, brauchen wir umfangreiche öffentliche Investitionen in den Schienenverkehr. Außerdem müssen die Planung beschleunigt und die Ausbau-Kriterien überarbeitet werden.
Im Kreis fahren vielerorts Busse und Bahnen bereits im Stundentakt. Wie kann man mehr Menschen dazu bewegen, sie zu nutzen?
Das geht nur mit einem attraktiven Angebot und einem dichten Haltestellennetz. In vielen Dörfern gibt es nur die Haltestelle „Ortsmitte“, die gerade für ältere Fahrgäste, die schlecht zu Fuß sind, kaum erreichbar ist. Insbesondere, wenn sie ihre Einkäufe anschließend von dort 600 Meter bergauf nach Hause tragen müssen. Da brauchen wir bessere Konzepte – der Gedanke, die Menschen mit autonomen Fahrzeugen von der Haustür zur Haltestelle oder zum Bahnhof zu bringen, ist da grundsätzlich nicht verkehrt. (Jan-Christoph Eisenberg)
Zur Person
Patrick Rehn (38) ist in Bad Hersfeld aufgewachsen. Er arbeitet seit 2001 bei der Deutschen Bahn, zunächst als Zugbegleiter, danach als Lokführer bei der Frankfurter S-Bahn und aktuell bei der Güterverkehrssparte DB Cargo. Patrick Rehn ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im Bebraer Stadtteil Lüdersdorf. Seit 2002 ist er Mitglied der GDL und in der Ortsgruppe Kassel als verkehrspolitischer Sprecher aktiv. In seiner Freizeit fotografiert er gerne und engagiert sich in mehreren Vereinen.