Grenzlehrpfad in Obersuhl - 1200 Meter Erinnerung

„Geschichte zum Anfassen“ ist eine überstrapazierte Floskel. Doch wenn es um den Grenzlehrpfad im Wildecker Ortsteil Obersuhl geht, passt sie.
„Wir wollten etwas schaffen, das bleibt“, sagt Hans-Karl Gliem (69). Der ehemalige Bundesgrenzschützer hat den Pfad vor zehn Jahren zusammen mit Horst Schaub, ehemaliger Angehöriger des Zollkommissariats Obersuhl, Karl Schöppner, der nur 50 Meter entfernt von der ehemaligen Grenze wohnt, und dem damaligen Wildecker Bürgermeister Jürgen Grau erarbeitet.
Rund 1200 Meter lang ist der Weg der Erinnerung. Los geht’s am Gedenkstein am Parkplatz Schwarzer Weg/ Eisenacher Straße. Den Abschluss des geschichtlichen Spaziergangs bildet das Grenzmuseum auf Thüringer Gebiet. Der Lehrpfad bietet Besuchern an verschiedenen Stationen jede Menge interessante Fakten, Daten, Statistiken und Fotos über die 1386 Kilometer lange ehemalige innerdeutsche Grenze – jeweils regional eingeordnet vom Wildecker Geschichtsverein.
Vorbei an alten Grenzsteinen und Grenzsäulen mit DDR-Emblem, Resten ehemaliger Grenzsperranlagen mit Beobachtungsturm auf Thüringer Gebiet, Metallgitterzaun und Panzersperren können Besucher die Unmenschlichkeit der Grenze und die teils dramatischen Auswirkungen auf das Leben der Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nachempfinden. „Unser Grenzlehrpfad ist einmalig in dieser Form in Hessen“, sagt Gliem nicht ohne Stolz.
Gekostet hat er nach Auskunft des Geschichtsvereins rund 15 000 Euro. Finanzieren konnten die Ehrenamtlichen das ambitionierte Projekt vor allem dank finanzieller Unterstützung aus dem EU-Leader-Programm. „Auch in Gerstungen war Bürgermeister Werner Hartung von der Idee begeistert und leistete unbürokratisch Hilfe“, erinnert sich Gliem.
Dass sich der Aufwand gelohnt hat, bestätigt Bürgermeister Alexander Wirth: „Der Grenzlehrpfad zählt zweifellos zu den touristischen Sehenswürdigkeiten unserer Gemeinde“. Bei der Eröffnung vor zehn Jahren kamen allein 600 Gäste. Pro Jahr veranstaltet der Geschichtsverein Führungen für gut 30 Gruppen. Hinzu kommen ungezählte Gäste, die den Lehrpfad für sich entdecken.
Besonders ärgerlich für die Ehrenamtlichen ist es, wenn Unbekannte den liebevoll angelegten Lehrpfad beschädigen. Erst Anfang Juni ist die Plexiglasscheibe einer Informationstafel eingeschlagen worden. Insgesamt wurden laut Gliem schon ein halbes Dutzend Exponate beschädigt. „Wir vom Geschichtsverein investieren viel Arbeit und Zeit, damit wir die jüngste Geschichte Deutschlands darstellen können“, sagt er. „Für derartige Handlungen haben wir kein Verständnis.“ Immerhin: Einen Täter haben sie ausfindig machen können. Er ist für den von ihm verursachten Schaden aufgekommen. (ses)
Kontakt: Der frei zugängliche Grenzlehrpfad hat ganzjährig geöffnet. Anmeldungen für Gruppenführungen, auch für das Grenzmuseum, bei: Hans-Karl Gliem, Telefon 0 66 26/12 43, Horst Schaub, Telefon 0 66 26/3 59.
Hintergrund
Der letzte uniformierte Flüchtling
Auf einer der Infotafeln des Grenzlehrpfades können Besucher auch die Geschichte des „letzten uniformierten Flüchtlings“ nachlesen. Dort heißt es: Tim Göritz, Jahrgang 1965, von Beruf Kupferschmied, flüchtete als letzter uniformierter Soldat der DDR-Grenztruppen am 12. September 1989 in die Bundesrepublik. Göritz war als Gefreiter (Postenführer) zusammen mit dem Gefreiten Uwe K. im Beobachtungsturm nahe der Bahnlinie Bebra – Eisenach bei Obersuhl von 5 bis 13 Uhr eingesetzt. Gegen 12.15 Uhr begab er sich auf die Bahngleise der Bahnstrecke (offene Stelle im Metallgitterzaun), um einen Streckenläufer der Deutschen Reichsbahn zu bewachen. Mit den Worten „Mach‘s gut, ich gehe jetzt!“ begab sich Göritz auf Bundesgebiet. Sein Kollege machte nicht von der Schusswaffe Gebrauch. Errief nur: „Eh, Timmy, das kannst Du doch nicht machen. Komm zurück, lass’ mich nicht hier!"