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Helmuth Scholl züchtet seit Jahrzehnten Brieftauben

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Von: Thomas Klemm

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Brieftaubenzüchter Helmuth Scholl mit seiner Ehefrau Margot präsentiert zahlreiche seiner errungenen Medaillen sowie zwei historische Zeitmessgeräte.
Brieftaubenzüchter Helmuth Scholl mit seiner Ehefrau Margot präsentiert zahlreiche seiner errungenen Medaillen sowie zwei historische Zeitmessgeräte. © thomas klemm

Brieftauben und Briefmarken haben eines gemeinsam. Sie sind Relikte aus früheren Zeiten und dienten der Beförderung von Nachrichten. Den Tauben band man kleine Briefchen zur Beförderung ans Bein und Briefmarken klebte man auf Umschläge, um kenntlich zu machen, dass die Transportgebühr bezahlt ist. Beides sind Relikte, die heutzutage als nicht mehr zeitgemäß wahrgenommen werden. Allerdings sind manche Menschen von der Sache bis heute fasziniert, und das betrifft Marken wie Vögel gleichermaßen. Und deshalb gibt es immer noch sowohl Briefmarkensammler als auch Brieftaubenzüchter.

Wildeck – Einer dieser Taubenzüchter ist Helmuth Scholl aus Wildeck-Obersuhl. Obwohl er keinen eigenen Schlag mehr hat, lässt ihn das Hobby nicht los. Nach 60 Jahren eigener Züchtung unterstützt er nunmehr seinen Sohn Robert bei der Zucht der fliegenden Postboten. Brieftauben orientieren sich wie Zugvögel am Stand der Sonne und der Sterne und nutzen das Magnetfeld der Erde als „Kompass“. Wie genau es die Vögel schaffen, aus Hunderten Kilometern Entfernung schnell wieder in den heimischen Schlag zu finden, ist und bleibt trotz dieser Erkenntnisse ein Mysterium. Die Tiere werden mit einem Sammeltransport an einen Auflassort irgendwo in Europa transportiert, dort in die Freiheit entlassen und wenig später flattern sie in Waldhessen in ihren heimischen Schlag. Darüber kann man eigentlich nur staunen.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten ist Helmuth Scholl von diesen Leistungen der Brieftauben fasziniert. Der 87-Jährige wohnt mit seiner Ehefrau Margot in Wildeck-Obersuhl und ist seit 1961 Mitglied im Taubenzuchtverein „Treu zur Heimat“ Obersuhl.

Als junger Mann hatte Helmuth Scholl mit diesen Tieren noch nicht viel am Hut. Das änderte sich, als er seine Margot kennenlernte. Die war die Tochter des ausgewiesenen Taubenfachmanns Wilhelm Baum. Der Obersuhler war schon lange mit der Brieftaubenzucht beschäftigt und im Zweiten Weltkrieg mit seinen Meldetauben an der Front im Einsatz. „Als er aus der Gefangenschaft heimkam, war ich sechs Jahre alt“, erzählt Margot Scholl. „Mein Vater war der beste Taubenzüchter weit und breit. Aber als er damals bei uns auf den Hof heimkehrte, traf ihn fast der Schlag. Wir hatten im Krieg fast alle seine Tauben geschlachtet. Die sind im Kochtopf gelandet. Nur zwei haben wir übrig gelassen.“

Aus den beiden Tauben zauberte Wilhelm Baum wieder eine Schar, mit der er sich sehen lassen konnte. Und als der Schwiegersohn, also Helmuth Scholl, nach 1959 im Baumschen Haus Domizil fand, brachte er ihm das Hobby näher. „Zu Beginn durfte ich nur die Schläge saubermachen, aber nach und nach wurde ich zu einem gleichwertigen Partner meines Schwiegervaters“, erzählt der rüstige Senior. Aus dieser Partnerschaft entstand die Baum + Scholl-Schlaggemeinschaft. In dem 1961 gegründeten Verein Treu zur Heimat „übte Helmuth Scholl den Brieftaubensport fast vier Jahrzehnte lang mit seinem Schwiegervater Wilhelm Baum aus“, heißt es in der Rede anlässlich der Ehrung 60-jähriger Vereinszugehörigkeit für den Jubilar.

Zeugnis einer erfolgreichen Taubenzucht ist das Plakat Kreisverbandsmeister 1976 für die Schlaggemeinschaft.
Zeugnis einer erfolgreichen Taubenzucht ist das Plakat Kreisverbandsmeister 1976 für die Schlaggemeinschaft. © Privat/nh

Die sechs Jahrzehnte Vereinsarbeit waren vollgepackt mit Erlebnissen und Erfolgen. „Wir haben unsere Tauben in große Körbe gepackt und sind mit der Eisenbahn zu den Auflassorten gefahren. In einen Käfig passten 25 Tauben. Zehn Körbe wurden beispielsweise von uns in die Eisenbahn verladen, dann sind wir in Bebra umgestiegen und haben sie direkt am Eisenacher Bahnhof auf die Heimreise geschickt.“ Als jedoch mit der Elektrifizierung der Eisenbahn die Drähte an den Bahnverbindungen vermehrt Einzug hielten, funktionierte das Auflassen an den Bahnhöfen nicht mehr. So nahmen Anfang der 70er-Jahre die Kabinentransporter Fahrt auf. „In der Reisevereinigung Sontra holten zwei Fahrer die Tauben ab und transportierten sie zu den Auflassorten in Europa. „So gingen 6000 Tauben auf die Reise“, erinnert sich Helmuth Scholl zurück. Zunächst fuhr der Kabinentransporter mit der gefiederten Fracht bis Passau an die österreichische Grenze, später dann bis Budapest beziehungsweise in Richtung Süd-Westen, nach Marseille oder gar bis nach Barcelona.

Interessant war immer, mitzuverfolgen, wie lange die Brieftauben brauchen, um in den heimischen Schlag zurückzufinden. Das artete zu einem echten Sport aus, mit Ehrungen und Medaillen. Jede Menge davon heimste die Schlaggemeinschaft ein. „Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 90 km/h, vorausgesetzt, der Wind steht gut“, erzählt der Wildecker. „Es war immer sehr spannend, wenn die Tauben zurückkehrten“, sagt er.

Die am weitesten gereiste Taube der Familie Scholl landete in Japan, allerdings nicht aus eigener Kraft. Sie wurde mit dem Flugzeug dorthin transportiert. „Bei der Weltausstellung 1992 in Japan war eine unserer Standardtauben dabei. Bedingung war, dass sie gut fliegt und gut aussieht. Beides war der Fall“, sagt Helmuth Scholl. Allerdings überstand das Tier die weite Reise nicht gut. „Kurze Zeit später ist sie gestorben. Die Strapazen waren wohl doch zu viel.“

Schwund ist übrigens immer unter den Taubenscharen. Wenn sie aufgelassen werden, finden nicht alle zurück in den heimischen Schlag. Manche werden Opfer von Raubvögeln und manche finden nicht wieder heim. „Die Stadttauben sind eigentlich alles Tiere, die nicht zurückgefunden haben“, so Scholl. „Mit 40 Prozent Verlust müssen wir jedes Jahr rechnen.“

Trotzdem existieren noch zahlreiche Brieftaubenzuchtvereine in Deutschland. In dem Wildecker Ortsteil Obersuhl sind es deren zwei. Nicht nur bei den „Heimattreuen“ steht das fliegende Personal im Mittelpunkt des einst sehr angesagten Hobbys, sondern schon seit dem Jahr 1924 auch im Verein „Auf Wiedersehen“ Obersuhl.

Man kann also bis heute in den Sommermonaten zahlreiche Brieftauben über Wildeck beobachten, wenn sie ihre Übungsflüge absolvieren oder von einer weiten Reise heimkehren. Darunter sind auch immer noch viele Tiere der Taubenzüchter-Familie Scholl.

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