Herdenschutzhunde als Schutz vor Wölfen: Kritik an unklarer Gesetzeslage

Sie sollen ein Teil der Lösung sein bei der Herausforderung für Weidetierhalter, ihre Schafe vor Wölfen zu schützen: Herdenschutzhunde.
Hersfeld-Rotenburg – Gegenüber unserer Zeitung weisen nun aber Schafhalter-Vertreter und die agrarpolitische Sprecherin der hessischen FDP-Fraktion, Wiebke Knell aus Neukirchen, auf rechtliche und praktische Probleme hin, die die vermeintliche Lösung mit sich bringt.
Kritik aus der FDP
„Ich halte es für absurd, dass das Land Hessen die Anschaffung von Herdenschutzhunden fördert. Schäfer, die diese Tiere wollen und bei denen ihr Einsatz sinnvoll ist, haben die Herdenschutzhunde schon und bekommen kein Fördergeld. Wer die Hunde bislang nicht hatte, hat dafür gute Gründe – aber durch das Fördergeld erzeugt man nun mehr Nachfrage“, sagt Wiebke Knell. Die guten Gründe, die den Einsatz der tierischen Bewacher kompliziert machen: Die Hunde seien nicht nur Wölfen, sondern auch Menschen gegenüber aggressiv. Werden Menschen von den Hunden verletzt, geraten die Tierhalter in haftungsrechtliche Probleme, sagt Knell. Ein weiteres Problem: Die Hunde sind ausschließlich für den Einsatz auf der Weide gezüchtet. Als Haushunde eignen sie sich nicht. „Was passiert mit den Hunden, die für den Einsatz nicht geeignet sind?“, fragt Knell. Schon heute befänden sich viele Herdenschutzhunde in Tierheimen. „Bevor man diese potenziell sehr gefährlichen Hunde als Teil einer Lösung verkauft, müsste das Land zwingend zuerst rechtliche Unklarheiten beseitigen.“
Nicht alle sind geeignet
Berufsschäfer Frieder Beyer aus dem Kreis Fulda ist Vorstandsmitglied im Verein „Verband Herdenschutz“ und zertifiziert die Hunde. Er setzt sie auch selbst ein, weil er seine Schafe dadurch besser geschützt sieht. Er sagt dennoch: „Eigentlich kann man keinem Schafhalter die Anschaffung von Herdenschutzhunden guten Gewissens empfehlen. Man bewegt sich dabei ständig in rechtlichen Grauzonen.“ Das beginne schon ganz am Anfang. Nicht alle Herdenschutzhunde sind laut Beyer für den Einsatz auf der Weide geeignet. Das stelle sich aber erst nach etwa zwei Jahren heraus. „Wenn ein Hund nicht mit der Herde arbeiten kann, kann man ihn natürlich nicht einfach aus praktischen und ökonomischen Gründen einschläfern. Für das Tier bleibt nur ein Leben im Tierheim oder im Zwinger – auch das ist nicht artgerecht. Die Tierhalter werden in die Illegalität gedrängt“, sagt Beyer.
Haftungsrisiken
Das große Problem ist das Naturell der Hunde. Sie sind darauf ausgerichtet, ihre Herde gegen äußere Einflüsse zu verteidigen. Schwierig wird es, wenn zum Beispiel herabfallende Äste oder Wildschweine einen Weidezaun beschädigen und die Schafe sich außerhalb der Wiese bewegen. Das erlebte zum Beispiel Schäfer Eduard Scherer aus Ottrau im Schwalm-Eder-Kreis. Einer seiner Hunde geriet in einer solchen Situation vor gut einem Jahr mit dem Hund eines Spaziergängers aneinander. Der Fall endete glimpflich ohne Verletzungen, hatte aber Konsequenzen. Bürgermeister Jonas Korell forderte ihn auf, den Hund nicht mehr unbeaufsichtigt und in „unzureichend gegen Ausbruch gesicherten“ Weidekoppeln einzusetzen. „Ich verstehe den Bürgermeister absolut. Er muss die Menschen vor potenziellen Gefahren durch Tiere schützen, so sind nun mal die Gesetze. Die Konsequenz ist aber, dass ich den Hund unter diesen Auflagen nicht mehr einsetzen kann“, sagt Scherer.
Frieder Beyer sagt dazu: „Das Problem ist, dass Schafe und Hunde in der Natur leben – unter dem Einfluss von Wetter, Wildtieren und Menschen. Dabei kann man nie alle Eventualitäten ausschließen. Aber wann immer etwas passiert, haftet der Besitzer des Herdenschutzhundes. Und schon bei Beschwerden über lautes Bellen unserer Tiere sind wir auf das Verständnis der kommunalen Ordnungsämter angewiesen, weil es keine einheitlichen Regeln gibt.“
Tötung von Wölfen
Besonders grotesk findet Beyer, dass noch nicht einmal rechtlich geregelt ist, was passiert, wenn ein Herdenschutzhund seine ureigenste Aufgabe wahrnimmt und im Kampf einen Wolf tötet – denn die Tötung der Raubtiere ist verboten. Dazu heißt es aus dem Hessischen Umweltministerium auf Nachfrage: „Die Fragestellung ist vergleichbar mit einer Situation, wenn eine Katze einen Vogel einer geschützten Art frisst. Zu solchen Fällen gibt es nach hiesigem Kenntnisstand bisher keine Rechtsprechung.“ Auch das Ministerium betont aber, dass das Abwehren von Wölfen explizite Aufgabe der Tiere sei.
DAS SAGT DAS LAND HESSEN: „Haltung wird allzu leicht unterschätzt“
In Hessen gibt es keine zentrale Stelle, die Konflikte von Herdenschutzhunde-Haltern mit kommunalen Ordnungsämtern oder die Anzahl dieser Tiere in Tierheimen erfasst.
Das teilt Arnd Ritter vom Landesbetrieb Landwirtschaft (LLH) auf Nachfrage mit. Der LLH ist dem Umweltministerium unterstellt. Zur Tierheim-Problematik weist Ritter darauf hin, dass es sich dabei überwiegend um „zweckfremd“ gehaltene Hunde handelt und seltener um Tiere aus Herdenschutz-Haltungen. So würden die stark territorial veranlagten Hunde etwa zum Schutz von Personen oder Grundbesitz eingesetzt. „Hierbei sind Probleme für die Halter ohne ausreichend Kenntnisse vorprogrammiert.“ Auch bei Schafhaltern lege der LLH großen Wert darauf, dass sich Interessenten „sehr gut vorab informieren“.
Die Ansprüche an die Haltung von Herdenschutzhunden würden „allzu leicht unterschätzt“. Ritter ruft dazu auf, Informationsangebote unbedingt wahrzunehmen.