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„Ich habe eine Nähe zu Nordhessen“: Interview mit Nancy Faeser (SPD) über ihre Kandidatur als Ministerpräsidentin

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Interview mit Nancy Faeser (SPD) über ihre Kandidatur als Ministerpräsidentin:

Friedewald – Auf einer Welle der Euphorie ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser beim Hessen-Gipfel der SPD in Friedewald zur Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Landtagswahl im Oktober gekürt worden. Sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, denn als Innenministerin arbeite sie an ihren politischen Kernthemen. „Aber mein Herz ist in Hessen“, sagte sie. Faeser möchte das Leben der Menschen im Land verändern und verbessern. Was das für Nordhessen und den ländlichen Raum bedeutet, erklärt sie im Interview mit Kai A. Struthoff.

Frau Faeser, den Nord- und Südhessen wird ja eine gewisse Animosität nachgesagt: Als Südhessin scheinen Sie sich aber gerade hier in Friedewald, aber auch als regelmäßige Besucherin der Bad Hersfelder Festspiele sehr wohlzufühlen?

Ja, total. Was mich mit der Nordhessischen SPD schon immer verbunden hat, ist ihre pragmatische Art: Hier wird Politik für Menschen gemacht. Man kennt sich, man ist füreinander da, man ist sehr unmittelbar verantwortlich. Dafür bewundere ich auch die sozialdemokratischen Landräte und Bürgermeister hier in Nordhessen. Meine Familie kommt ja ursprünglich aus Duisburg. Auch dort gibt es eine sehr pragmatische SPD, das hat mein Leben sehr geprägt, und natürlich auch, dass mein Vater Bürgermeister war. Ich glaube, deshalb habe ich eine besondere Nähe zu Nordhessen.

In der aktuellen Landesregierung sind gar keine Nordhessen vertreten, was hier manch einem übel aufstößt ...

In meinem Kabinett würde natürlich Nordhessen angemessen berücksichtigt, damit eben nicht wieder dieser Eindruck entsteht, weit weg zu sein von Wiesbaden, wo die Entscheidungen auch für den Norden Hessens getroffen werden. Eine Vertretung Nordhessens in der Landesregierung ist für mich daher zwingend.

SPD-Spitzenkandidatin für Hessen, Nancy Faeser: „Mein Herz ist in Hessen“.
SPD-Spitzenkandidatin für Hessen, Nancy Faeser: „Mein Herz ist in Hessen“. © Carolin Eberth

Sie haben hier in Friedewald viel darüber gesagt, wie Sie sich „Ihr Hessen“ vorstellen. Sie wollen gleiche Lebensbedingungen für alle Menschen in Hessen. Trotzdem hat man oft den Eindruck, dass Politik zu oft für die Ballungsgebiete gemacht wird. Welche Rolle spielt für Sie der ländliche Raum?

Mit gleichwertigen Lebensbedingungen meine ich gerade den ländlichen Raum. Für mich ist wichtig, dass man sich überall in Hessen ohne negative Konsequenzen entscheiden kann, ob man auf dem Land oder in einer Großstadt leben will. Deshalb kämpfe ich auch immer dafür, etwas für den ländlichen Raum zu tun: Dazu gehört die Gesundheitsversorgung, es muss genug Einkaufsmöglichkeiten geben. Und es muss einen guten Öffentlichen Personennahverkehr geben, um auch im ländlichen Raum mal auf das Auto verzichten zu können - ohne aber den Autoverkehr zu vernachlässigen, denn man ist auf dem Land eben oft aufs Auto angewiesen. Mit echter Strukturpolitik, wie etwa durch Hochschulstandorte oder aber die Auslagerung von Behörden in den ländlichen Raum, kann man auch Arbeitsplätze schaffen.

Als Bundesinnenministerin sind Sie auch für die Bundespolizei zuständig. In der Rotenburger Alheimer-Kaserne ist die Bundespolizei stationiert, doch für diesen Standort gibt es nur eine Garantie bis 2030. Werden Sie sich für eine dauerhafte Nutzung dieser Liegenschaft durch die Bundespolizei einsetzen?

Ich werde demnächst mit Michael Roth die Alheimer Kaserne besuchen, um mir das alles genau anzugucken. Für mich ist die Entscheidung über die Zukunft dieser Liegenschaft sehr wichtig. Ich setze mich - wie eben schon gesagt - für die Dezentralität von Behörden ein. Deshalb habe ich auch ein großes Herz dafür, die Bundespolizei in Rotenburg zu belassen.

Während Sie Ihre Rede im Rittersaal gehalten haben, zog vor dem Hotel die AfD vorbei, die Sie und Ihre Ampel-Kollegen als „Kriegstreiber“ bezeichnet. Berührt Sie das?

Nein! Aber es ist natürlich schändlich, dass die AfD hier das Schicksal von Menschen ausnutzt. Wir haben schwierige Zeiten, wir haben Krieg mitten in Europa, der sich - zum Beispiel durch Preissteigerungen - auch unmittelbar auf die Menschen hier auswirkt. Das auszunutzen für so eine plumpe Politik, das berührt mich schon, weil dadurch das Leid der Menschen ausgenutzt wird, ohne aber Antworten für sie zu finden. Doch das ist die Aufgabe von Politikern. Ich kann mit jedem über den richtigen Weg streiten. Aber mit Destruktivität, wie sie von der AfD kommt - damit kann ich nichts anfangen.

In Nordhessen scheint es viele Menschen mit rechtsextremer Gesinnung und auch viele Reichsbürger zu geben. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Für mich ist wichtig, dass wir jederzeit unsere Demokratie verteidigen. Vor allem auch gegen Reichsbürger und Rechtsextremisten, eben weil sie unsere Demokratie abschaffen wollen. Ich jedenfalls habe noch kein besseres System für die Menschen kennengelernt als eben die Demokratie. Deshalb verteidige ich sie auch so sehr, weil nur die Demokratie unsere Freiheit und unseren Wohlstand garantiert.

Ein weiteres Problem gerade in Nordhessen sind die Wölfe, die vor allem den Weidetierhaltern Kummer machen. Würden Sie den Abschuss von Wölfen erlauben ...

Wir können dieses Problem nicht einfach ignorieren. Das darf nicht der Umgang mit so ernsten Problemen hier im ländlichen Raum sein. Damit kann man die Menschen nicht einfach allein lassen. Unsere Partei ringt deshalb sehr um den richtigen Weg in dieser Frage.

Wir beide haben uns zuletzt bei der Premiere der Bad Hersfelder Festspiele gesehen ...

Ja, stimmt, bei „Notre Dame“! Das Stück hat mir sehr gefallen. Und natürlich weiß ich auch, wie wichtig die finanzielle Unterstützung von Bund und Land für die Festspiele sind. Meine Unterstützung haben die Festspiele jedenfalls, wenn ich Ministerpräsidentin werde, weil sie ein so wertvolles Kulturgut sind. Und mir wäre es auch eine Freude, als Ministerpräsidentin die Bad Hersfelder Festspiele zu eröffnen.

Zur Person:

Nancy Faeser (52) ist in Schwalbach am Taunus aufgewachsen und lebt dort auch heute noch mit ihrem Ehemann und dem 2015 geborenen Sohn. Sie ist Volljuristin und hat als Rechtsanwältin gearbeitet. Faeser ist seit 1988 in der SPD, verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Kommunalpolitik und 18 Jahre im Landtag von Hessen. Seit Dezember 2021 ist Nancy Faeser Bundesinnenministerin in Berlin. 

Genossen machen sich Mut: Gute Stimmung in Friedewald

Zu den Klängen von Katy Perrys Song „Roar“ zieht Nancy Faeser in den Rittersaal von Göbels Schlosshotel ein. „Ich habe das Auge eines Tigers, bin eine Kämpferin und tanze durch das Feuer: Ein Champion, Ihr werdet mein Knurren hören“ – heißt es in dem Song. Das passt, denn als Innenministerin und Kandidatin für das Amt der Hessischen Ministerpräsidentin steht sie zur Zeit ziemlich im Feuer, doch in Friedewald wird sie wie ein Champion gefeiert.

Und sie zeigt ihren politischen Gegnern die Zähne: „Es ist eine demokratische Selbstverständlichkeit, aus dem Amt heraus zu kandidieren“, sagt sie, als der minutenlange Applaus verklungen ist. Ihre männlichen Mitbewerber seien offenbar sehr nervös, sonst würden sie dieses Thema nicht so in den Vordergrund stellen. Sie wolle klar und deutlich sein, deshalb sage sie schon jetzt, dass sie nur als Ministerpräsidentin nach Hessen zurückkehren werde. „Oppositionsführerin war ich schon“. Dann skizziert sie ihre Vision für Hessen: Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, die gleichen Lebensbedingungen für Menschen in der Stadt und auf dem Land. Das kommt gut an in Friedewald. So viel Begeisterung herrschte im Rittersaal zuletzt, als Martin Schulz dort als SPD-Kanzlerkandidat auftrat. Aber daran will sich an diesem Abend in Friedewald keiner erinnern.

Es herrscht Aufbruchstimmung, auch bei den heimischen Sozialdemokraten. Landrat Torsten Warnecke nennt den Auftritt von Nancy Faeser sehr überzeugend. Wer mit der Doppelrolle als Innenministerin und Kandidatin ein Problem hat, „darf dann auch selber nicht aus einem Amt heraus kandidieren“, sagt Warnecke – ein Seitenhieb auf die Grünen in Hessen. Der Zusammenhalt der SPD in Friedewald habe ihn überzeugt, sagt Dirk Noll, der Erste Kreisbeigeordnete. Auch er hat keine Bedenken, dass die Doppelbelastung für Faeser schädlich sein werde.

Sebastian Münscher, der SPD-Fraktionsvorsitzende in Rotenburg, ist von Nancy Faesers Kompetenz überzeugt. Sie habe lange gute Arbeit in Hessen und auch jetzt als Bundesinnenministerin gemacht. „Ich würde mich freuen, wenn die Wählerinnen und Wähler in Hessen das genauso sehen“, sagt Münscher.

Friedewalds Bürgermeister Julian Kempka freut sich immer, wenn in seiner Gemeinde viel los ist. „Ich bin überzeugt davon, dass Nancy Faeser ihre Aufgabe gut machen wird und wir bald wieder eine SPD-Regierung in Hessen haben werden“, sagt der Bürgermeister. Die SPD-Landtagsabgeordnete Karina Fissmann aus Ringgau im Werra-Meißner-Kreis ist begeistert von der Geschlossenheit, die ihre Partei in Friedewald gezeigt habe. „So eine gute Stimmung wie hier, habe ich schon lange nicht mehr erlebt“, sagt sie. In der Doppelbelastung sieht auch Karina Fissmann kein Problem.

Ähnlich sieht es Tanja Hartdegen, SPD-Landtagsabgeordnete aus Schenklengsfeld: „Nancy Faeser war sehr kraftvoll, ausdrucksstark und hat ihre Positionen ganz deutlich gemacht“, sagt sie. Im Übrigen kandidiere doch auch der CDU-Kandidat Ministerpräsident Boris Rhein aus einem gewichtigen Amt heraus. „Von ihm verlangt ja auch keiner, sein Amt niederzulegen, nur weil jetzt Wahlkampf ist“.

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