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Interview mit Bad Hersfelds neuem Stadtarchivar Johannes Wagner

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Von: Kai Struthoff

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Aufbewahren und Zugänglichmachen: Bad Hersfelds neuer Stadtarchivar Johannes Wagner im Magazin des Stadtarchivs mit einer alten Schrift, die vermutlich aus der Zeit Ende des 15. Jahrhunderts stammt.
Aufbewahren und Zugänglichmachen: Bad Hersfelds neuer Stadtarchivar Johannes Wagner im Magazin des Stadtarchivs mit einer alten Schrift, die vermutlich aus der Zeit Ende des 15. Jahrhunderts stammt. © Kai A. Struthoff

Johannes Wagner ist seit Anfang Januar neuer Stadtarchivar in Bad Hersfeld. In dieser Funktion verwaltet er nicht nur uralte Dokumente, die zum Teil noch aus Lullus-Zeiten stammen, sondern ist in die Planung eines gemeinsamen Stadt- und Kreisarchives involviert. Mit Johannes Wagner sprach Kai A. Struthoff.

Bad Hersfeld – Herr Wagner, in meiner Branche sagt man: Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Sie sehen das vermutlich anders?

Ich sehe das tatsächlich ganz anders: Gerade die Kommunalarchive sind für Heimat- und Familienforschende hochgradig interessant. Ich habe jede Woche Anfragen von Menschen, die beispielsweise Auskünfte über ihre Großeltern haben wollen. Deshalb hebt ein Archiv beispielsweise die Melderegister über die Aufbewahrungsfrist im Standesamt hinaus weiter auf. Allerdings funktioniert das nur, wenn ein Archiv gut geführt ist. Ich finde aber, dass Bad Hersfeld im Vergleich zu anderen Städten dabei schon ganz schön weit ist.

Was reizt einen jungen Mann wie Sie daran, zwischen verstaubten Büchern und alten Dokumenten zu arbeiten?

Ich habe an der Uni Kassel Geschichte studiert und bin Diplom-Historiker. Für mich war gerade die Arbeit mit alten Dokumenten und Quellen der Grund, genau dieses Studium zu absolvieren – obwohl es einen nur wenig auf die Archivarbeit vorbereitet. Dafür benötigt man noch andere Qualifikationen. Wenn man aber historisch sehr interessiert ist, dann kann es einen richtig packen. Je älter das Dokument ist, desto spannender ist es auch für mich – gerade wenn es um das Alltagsleben der Menschen von früher geht.

In Bad Hersfeld wird seit Jahren über den Bau eines neuen Archivgebäudes diskutiert, dass viele Millionen Euro kosten soll. Ist ein solcher Neubau wirklich notwendig, wo doch inzwischen fast alles digital erfasst wird und alte Dokumente auch rückdigitalisiert werden?

Das stimmt so nicht. Das Archivgut wird nicht sofort digitalisiert. Dazu haben wir gar nicht die technischen Voraussetzungen. Obwohl in den Verwaltungen inzwischen mit E-Akten gearbeitet wird, gibt es noch jede Menge Material, was in Papierform vorliegt und archiviert werden muss. Das sichert mir auch noch auf viele Jahre meine Arbeit, weil wir einen langen Rückstau haben. Aus diesem Grund halte ich auch den Archiv-Neubau für unabdingbar, denn der Platz hier im Untergeschoss der Stadtbibliothek ist erschöpft.

Wird denn wirklich alles aufgehoben?

Nein. Obwohl die meisten Akten nach 30 Jahren gesetzlich vernichtet werden können, entscheidet darüber letztlich der Archivar. Vernichten heißt, dass diese Akten zunächst dem Archiv angeboten werden. Trotzdem heben wir natürlich nicht alles auf, sonst bräuchten wir ja ganze Fußballstadien zur Lagerung der Dokumente. Als ideale Quote gilt, wenn man zwei bis fünf Prozent allen Verwaltungsschriftguts im Archiv aufhebt, je nach Relevanz für die Überlieferungsbildung und für die Abbildung des alltäglichen Lebens in der Stadt.

Was macht diese Dokumente so relevant, dass man sie in einigen Jahren womöglich einsehen will?

Hier lagern zum Beispiel die Haushalte der Stadt, die komplett archiviert werden. Dazu Urkunden und auch viele Verträge. Das sind Dokumente, die auch als Beweis für gewisse Verwaltungsvorgänge dienen. Ich hatte jetzt zum Beispiel rund 1400 Gaststättenanmeldungen aus den 1960er bis in die 1990er Jahre, von denen ich einige aufbewahrt habe. Wir nennen das Sample-Bildung nach einem Nummernschema. Deshalb werden auch nicht nur die Unterlagen von bekannten Traditionslokalen, sondern auch von kurzlebigeren Imbissen aufbewahrt, weil ja sonst das geschichtliche Bild verzerrt würde. Schließlich gibt es ja nicht nur Traditionslokale, sondern wir wollen abbilden, welch unterschiedliche Lokale es hier einmal gab und wie deren Genehmigungsprozess damals verlief. Denn in 50 Jahren gibt es auch dafür vermutlich längst eine App.

Was sind das für Leute, die ins Archiv gehen, um alte Dokumente einzusehen?

Meist sind das Privatpersonen, die Familienforschung betreiben. Natürlich arbeiten wir auch mit dem Geschichtsverein zusammen. Damit ein Archiv aber auch über die regionalen Grenzen hinaus von Historikern genutzt wird, muss es über Datenbanken gut erschlossen und zugänglich sein. Daran arbeite ich momentan besonders intensiv. Ich habe zum Beispiel hier einen Forschungsantrag von einem Studenten der Uni Kassel, der über Kriegsgefangene in Hersfeld zu Zeiten des deutsch-französischen Krieges arbeiten will. Ich hoffe darauf, dass wir noch viele solche lokalen Forschungsanfragen bekommen.

Im Archiv werden auch uralte Schriften aus den Anfängen des Klosters und von Lullus aufbewahrt. Haben diese Schriftstücke vor allem einen ideellen Wert für Historiker oder sind sie auch finanziell wertvoll?

Der Ausdruck ideeller Wert klingt mir zu despektierlich. Das funktioniert bei Urkunden nicht so wie bei alten Gemälden. Ein echter Van Gogh wird mit der Zeit immer mehr wert, die historische Bedeutung von alten Schriftstücken lässt sich jedoch nicht so einfach in Euro beziffern.

Warum sind dann aber die baulichen Sicherheitsanforderungen an ein Archivgebäude so extrem hoch?

Denken wir nur an das Stadtarchiv in Köln, das 2009 beim U-Bahnbau eingestürzt ist. Dabei ist viel von dem kulturellen Gedächtnis der Stadt und unseres Landes vernichtet worden, auch wenn man den Wert der einzelnen Dokumente, die damals verloren gingen, nicht genau kennt, so ist doch der historische Schaden immens. Die Pläne für den Neubau hier in Bad Hersfeld halte ich in puncto Sicherheit allerdings für absolut ausreichend.

Ist es aber wirklich nötig, dass so ein Archivgebäude auf einem Filetgrundstück mitten in der Innenstadt steht? Würde nicht auch ein weniger prominenter Platz ausreichen?

Mit dem Neubau will man versuchen, das Archiv auch offener zu gestalten. Hier, im Keller der Stadtbibliothek, ist alles vollgestellt, und es gibt nicht einmal einen Nutzersaal, wo Besucher die alten Dokumente einsehen können. Im Neubau wird es einen Lesesaal geben, der von uns Archivaren betreut werden wird. Die Daseinsberechtigung eines Archivs resultiert ja nicht allein aus dem Aufbewahren, sondern auch aus dem Zugänglichmachen der alten Schriftstücke. Ich bin sehr sicher, dass das neue Stadtarchiv an diesem zentralen Standort ein einladendes Haus sein wird, was sich auch auf die Besucherzahlen auswirken wird.

In das neue Stadtarchiv sollen auch das Kreisarchiv und ihr Kollege der Kreisarchivar einziehen. Wie soll diese Archivgemeinschaft aussehen?

Der Kreisarchivar Dr. Sebastian Kraffzig und ich kennen uns gut. Wir stehen regelmäßig in Kontakt und sprechen auch jetzt schon darüber, wie wir die „Überlieferung im Verbund“ – das ist ein Fachausdruck von Archivaren – bewerkstelligen können. Wir wollen gemeinsam die Geschichte der Stadt, der Gemeinden und des Kreises abbilden. Wir werden auch darauf achten, dass es keine inhaltlichen Dopplungen gibt. Wir haben zwar getrennte Magazine, teilen uns aber die Werkräume, wo beispielsweise die alten Dokumente gereinigt werden. Mein Kollege Dr. Kraffzig und ich haben eine gemeinsame Vorstellung davon, wie wir zusammen auftreten wollen und haben dieselbe Konzeption, wie wir das Schriftgut überliefern und es der Bevölkerung präsentieren wollen.

Zur Person

Johannes Wagner (29) ist in Alheim-Heinebach aufgewachsen und lebt dort bis heute. Nach dem Abitur studierte er in Kassel Geschichte. Er ist Diplom-Historiker. Sein Forschungsschwerpunkt lag auf der hessischen Militär- und Hospitalgeschichte.

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