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Polizeipräsident Günther Voß vom Präsidium Osthessen: „Corona-Einsätze sind unangenehm“

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Von: Sebastian Schaffner

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Polizeipräsident Günther Voß.
Polizeipräsident Günther Voß. © Polizei Osthessen

Die Corona-Pandemie hat auch die Arbeit der Polizei verändert.

Hersfeld-Rotenburg/Fulda – Über neue Herausforderungen und unangenehme Einsätze sprachen Sebastian Schaffner und Kai A. Struthoff mit dem Präsidenten des Polizeipräsidiums Osthessen, Günther Voß (65), in Fulda.

Wir wollten immer schon mal einen Polizeipräsidenten verhören. Also, Herr Voß: Wo waren Sie am 11. März 2020?

(schmunzelt) Bevor ich Ihnen diese Frage beantworte, müssen Sie mich zuerst über meine Rechte belehren ...

Wir belehren Sie stattdessen besser mal über den Hintergrund der Frage: An diesem Tag hat die Weltgesundheitsorganisation Corona zur Pandemie erklärt. Wie hat das die Polizeiarbeit verändert?

Wir stellten damals unseren kompletten Dienstbetrieb um, wir vereinheitlichten unsere Schichtmodelle, damit die Vermischung der Kollegen möglichst vermieden werden konnte. Die Dienstpläne für den Tagesdienst wurden angepasst. Einzelbüros und Homeoffice ermöglicht. Das alles hat gut funktioniert, und daraus haben wir gelernt. Denn in einer ähnlichen Phase befinden wir uns jetzt wieder.

Und wie sieht es mit Impfungen aus?

Wir richteten eine eigene Impfstraße zur Booster-Impfung für die Kolleginnen und Kollegen ein und haben innerhalb weniger Tage rund 870 Menschen geimpft. Unsere Impfquote liegt bei über 90 Prozent. Von 1024 Beschäftigten sind etwa 950 geimpft oder genesen. Das zeigt, wie verantwortungsvoll die Polizei Osthessen mit diesem wichtigen Thema umgeht.

Spüren Sie den Einfluss von Corona auch bei den Straftaten?

Wir hatten ein leichtes Plus von etwa 600 Straftaten – insgesamt waren es 18.671 Straftaten in ganz Osthessen im Jahr 2020. Vor mehreren Jahren waren es schon mal über 25.000 Straftaten. Im Hersfelder Bereich registrierten wir im vergangenen Jahr etwa 5000 Straftaten. Wir stellen dabei eine Verlagerung der Kriminalität fest – von Eigentumsdelikten hin zu Betrügereien, wobei die meisten dieser Taten mit dem Internet begangen werden. Ich glaube allerdings, dass unsere Polizeistatistik in diesem Bereich nicht ganz die Wirklichkeit widerspiegelt, denn dort werden ja nur die erfassten Straftaten aufgeführt. Das Dunkelfeld dürfte groß sein.

Werden Ihre Beamten auch attackiert, etwa bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen?

In der ersten Welle haben wir 140 angemeldete Protestaktionen im Bereich Osthessen begleitet, das ist viel. Das gleiche Bild zeichnet sich im Moment wieder ab. Außerdem sind wir bei größeren Lagen in ganz Hessen im Einsatz. Das sind zuweilen keine angenehmen Einsätze, denn wir treffen auf Menschen mit sehr festen Überzeugungen. An der Diskussion über die Impfplicht etwa scheiden sich eben die Geister.

Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht, deren Umsetzung die Polizei ja gegebenenfalls kontrollieren müsste?

Die jetzigen Corona-Regeln sind sehr komplex, was eben auch zu Akzeptanzproblemen führt. Ich bin für eine Impfpflicht, es sei denn es liegen medizinische Gründe dagegen vor. Aber ich sehe natürlich auch die Risiken, weil sich dann ein kleiner Teil der Gesellschaft abzuspalten droht.

Hat die Aggressivität in der Pandemie zugenommen?

Der Ton ist schon rau geworden, auch unsere Beamten werden öfter angepöbelt. Von Gewalttätigkeiten sind wir hier in der Region glücklicherweise noch weitestgehend verschont geblieben. Aber die Bedrohungen nehmen zu – und das geht oft unter die Gürtellinie, übrigens nicht nur bei Polizeibeamten, sondern auch bei Politikern oder Journalisten. Dies ist nicht zu tolerieren. Bundesweit und darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Radikalisierung bei Personen, die den Corona-Maßnahmen kritisch gegenüberstehen, weiter zunimmt.

Wie steht es in unserer Region mit dem Linksextremismus, Rechtsextremisten oder islamischen Gefährdern?

Wir leben hier in einer vergleichsweise ruhigen Region, die weitestgehend von extremistischen Bestrebungen verschont ist. Dennoch gehen wir allen Hinweisen oder Verdachtsmomenten nach. Dabei liegt der Schwerpunkt im rechtsextremistischen Bereich und bei Reichsbürgern. Das uns bekannte Personenpotenzial aus der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter im Landkreis Hersfeld-Rotenburg liegt im unteren zweistelligen Bereich.

Wir haben auch den Eindruck, dass sich auch immer mehr Menschen in Drogen flüchten. Jedenfalls lassen die Polizeimeldungen der letzten Monate darauf schließen.

Wir hatten im laufenden Jahr etwa 20 umfangreichere Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dabei wurden etwa 50 Kilo Drogen sichergestellt. Das ist für den Hersfelder Bereich sehr viel. Wir ermitteln auf Hochtouren. Wenn diese Straftaten zur Anklage kommen, erfährt die Öffentlichkeit auch mehr darüber.

Speziell in Bad Hersfeld wird zurzeit über die Sicherheit innerhalb der Stadt diskutiert. Es gibt Brennpunkte, wie etwa den Schilde-Park oder die Breitenstraße, wo manche Leute nur mit einem mulmigen Gefühl entlang gehen. Was tut die Polizei?

Die Polizei fährt Streife und geht Hinweisen und Anzeigen nach. Dennoch glaube ich schon, dass es messbare Faktoren dafür gibt, dass Menschen sich bedroht fühlen. Oftmals sind das dunkle Straßen, manchmal sind es Personen, die laut sind, die trinken oder kiffen. Zuweilen kommt es dabei auch zu Belästigungen. Dann fühlt man sich unwohl und verständlicherweise unsicher. Aber dagegen sind Maßnahmen denkbar, die wir raten oder auch anbieten.

Sie meinen das Präventionsprogramm „Kompass“, das in Rotenburg erfolgreich umgesetzt wird und in Bad Hersfeld von der Mehrheit im Stadtparlament abgelehnt wurde. Aber ist das nicht eigentlich nur eine weitere „Laberrunde“, denn jeder weiß doch, wo die Brennpunkte sind?

Ja, „Kompass“ ist ein Beispiel dafür. Ich räume ein, dass die Vorstellung des Programms „Kompass“ bei einer Online-Präsentation im Bad Hersfelder Stadtparlament nicht so gut gelaufen ist. Es lässt sich eben besser miteinander reden, wenn man sich gegenübersitzt. Bei dem Programm „Kompass“ geht es nicht darum, Unsicherheit herbeizureden. Der Kern von „Kompass“ ist vielmehr eine Befragung von Bürgern, die nach Bewertung zu passgenauen Ergebnissen führt. Vielleicht kommt man dabei aber auch zu der Erkenntnis, dass sich die überwiegende Mehrheit der Bürger in der Stadt durchaus sicher fühlt. In jedem Fall lohnt es sich, die Menschen vor Ort zu beteiligen. Ich würde mich freuen, wenn wir in dieser Angelegenheit mit der Stadtpolitik noch mal ins Gespräch kommen könnten.

Reicht das allein, braucht es nicht vielmehr ein paar kräftige Beamte in Uniform auf der Straße?

Rambos auf der Straße benötigen wir nicht. Sicherheitsfragen können nur konzeptionell beantwortet werden. Viele abgestimmte Maßnahmen ergeben eine Verbesserung der Sicherheit und damit des Sicherheitsgefühls. Eine dieser Maßnahmen ist der Freiwillige Polizeidienst. Leider hat Bad Hersfeld den Freiwilligen Polizeidienst aufgekündigt. Die Erfahrungen aus anderen Bereichen zeigen uns, wenn dabei die richtigen Leute unterwegs sind, dann werden eben „verdächtige“ Personen angesprochen oder überprüft. Wichtig ist, dass etwas passiert.

In Bad Hersfeld wurde jetzt beschlossen, dass im Schilde-Park ein Sozialarbeiter eingesetzt werden soll. Ist das besser als ein Rambo?

Sozialarbeit ist ein sehr wesentliches Präventionsangebot. Ich halte dies daher für einen guten Ansatz.

Sie sind gerade 65 Jahre alte geworden und gehen im kommenden Jahr in den Ruhestand. Was haben sie in den vergangenen fünf Jahren als Polizeipräsident erreicht, worauf Sie stolz sind?

Ich bin weniger stolz als vielmehr dankbar, denn für manche Entwicklungen kann ich persönlich nichts. So profitieren wir beispielsweise davon, dass seit 2016 bereits 67 zusätzliche Stellen dank verschiedener Sicherheitspakete der Landesregierung geschaffen und besetzt wurden. Bis 2025 werden es rund 130 neue Stellen sein. Ein weiteres Ergebnis der Sicherheitspakete sind bislang 116 zusätzliche Beförderungen. Das motiviert und ist der richtige Schritt.

Auch baulich hat sich einiges getan?

Ich freue mich, dass wir die neue Polizeiwache in Rotenburg fertigstellen konnten – ein heller, großer Anbau, in dem sich die Kollegen wohlfühlen. Auch in Fulda konnten wir mit der Anmietung eines weiteren Gebäudes unsere Räumlichkeiten erweitern. In der Planung befindet sich zurzeit eine erweiterte Unterbringung in Alsfeld.

Sie haben jetzt vieles aufgezählt, was gut gelaufen ist. Gibt es denn auch etwas, was Sie bereuen, was misslungen ist?

Nein.

Und wenn wir Ihre Kollegen fragen würden: Sind Sie eher der „Good Cop“ oder der „Bad Cop“?

(lacht) Ich bin jetzt 47 Jahre bei der Polizei und bin in dieser Zeit immer für Gerechtigkeit eingetreten.

Zur Person

Günther Voß (65) begann 1974 bei der Hessischen Bereitschaftspolizei und wechselte später ins Polizeipräsidium Frankfurt. Von 1991 bis 2000 hatte er bei der Polizeidirektion Fulda verschiedene Leitungsaufgaben inne. Danach wurde er Leiter der Einsatzabteilung erst im Polizeipräsidium Mittelhessen, dann im Präsidium Osthessen, bevor er im April 2014 Präsident des Hessischen Bereitschaftspolizeipräsidiums wurde. Seit Juli 2016 ist Voß Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Osthessen. Er wohnt mit seiner Ehefrau in Schlüchtern. Beide haben zwei gemeinsame Kinder. 

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