Modellzeichnungen finden neues Zuhause bei Ronshäuser Heimatforscher

Zeitzeugen sind wichtig, damit Dinge und deren Geschichten nicht ganz in Vergessenheit geraten. Zeitzeugen können die Menschen sein, die etwas über einen geschichtlich interessantes Objekt zu erzählen haben. Es können die Objekte selbst sein, die (fast vergessen) irgendwo schlummern. Und es gibt Zeitzeugen, die solche Objekte besitzen.
Ronshausen/Bebra – Alwin Krüger aus Bebra ist so ein Mann, der viel zu erzählen hat. Der 88-Jährige stammt aus Bessarabien (dem heutigen Moldawien) und gelangte durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges erst nach Mecklenburg und später nach Berlin. Nach seiner Lehre als Herrenschneider 1949 bis 1952 bei Schneidermeister Dallmin in Perleberg arbeitete er als Geselle zunächst bei Schneidermeister Postler in Wittenberge und ab 1954 bei Schneidermeister Jännicke in Berlin-Neukölln. Im Herbst 1955 begann er eine Fachschulausbildung als Modetechniker und -gestalter an der Meisterschule für Kunstgewerbe in Berlin-Tiergarten. Die beendete Alwin Krüger im Jahr 1958 und arbeitete danach als Musterschneider, Schnittmacher und Modellmacher in Berliner Firmen.
Im Zuge der Familienzusammenführung fand er mit seiner Ehefrau Anfang der 1970er-Jahre im Fuldatal eine neue Heimat und in der Ronshäuser Firma „Esto Modelle“ eine berufliche Zukunft. „Die Firma gehörte einem Berliner Kaufmann. Durch meine Tätigkeit in Berlin hatte ich Kontakte, die ich nutzen konnte, um bei der Esto zu arbeiten“, erzählt Alwin Krüger. „Ich war in Ronshausen als Schnitt- und Modellmacher tätig und habe Schnittmuster hergestellt. Wir haben beispielsweise für die großen Firmen Baader, Klingel und Otto Katalogware gefertigt, hochwertige Mäntel und Kostüme. So lange, bis die Firma im April 1991 Konkurs angemeldet hat.“
Nach einigen Gelegenheitsjobs konnte der in Bebra lebende Modemacher mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen. Was ihm blieb, waren viele Erinnerungen, eine Mappe mit Modezeichnungen der 70er-Jahre und einige Schnittmuster. „Die dürfen doch nicht einfach ins Altpapier wandern, sondern sind meiner Meinung nach wert, in gute Hände zu gelangen. Vielleicht kann jemand damit noch etwas anfangen und erkennt den geschichtlichen Wert“, sagt der 88-Jährige.

An dieser Stelle kommt Gerhardt Ziegenbein aus Ronshausen ins Spiel. Der 85-jährige Hobby-Historiker sammelt alles, was in Bezug auf seinen Heimatort und auf die Region aus historischer Hinsicht interessant sein könnte. Zahlreiche Aktenordner in seinem Arbeitszimmer sind mit Daten, Fakten und Fotos gefüllt. Auch über die Geschichte der Bekleidungsfirma Esto hat er recherchiert und sie ausführlich dokumentiert. Der ehemalige Bauernhof, ein Wohnhaus mit Stallungen und Scheune in der Straße Zum Schellenberg 6 beherbergte einst die Schreinerei Goßmann und danach die Kleiderfabrik der Firma Esto. In der ehemaligen Scheune hat mittlerweile der Pool Billard Club Ronshausen sein Domizil. Nach der Pleite von „Esto Modelle“ stand das Fachwerk-Wohnhaus auf dem Grundstück mehrere Jahre lang leer, bevor es Fritz Lambrecht kaufte, Mitte der 1990er-Jahre abriss und in Neukirchen-Seelscheid wieder neu aufbaute. Auch diesen Wiederaufbau hat Gerhardt Ziegenbein in seiner umfangreichen Sammlung für die Nachwelt festgehalten. Genauso wie den Großbrand in der Firma im Jahr 1957, bei dem etwa 1000 fertige Kostüme und 20 Stoffballen ein Raub der Flammen geworden waren.

Der Ronhäuser Historiker war sehr erfreut darüber, dass er seiner Esto-Dokumentation nun unverhofft eine farbenfrohe neue Facette hinzufügen kann. „Die Zeichnungen sind ja erstklassig und machen deutlich, welche Modelle in unserer Ronshäuser Firma hergestellt worden waren. Das ist ein wertvolles Stück Zeitgeschichte“, sagt er. „Herzlichen Dank an Herrn Krüger. Ich werde für die Blätter einen würdigen Platz in meiner Sammlung finden.“