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Armin Meiwes: "Ich habe auf jeden Fall falsch gehandelt"

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Armin Meiwes: Im Jahr 2002 tötete er einen Freund und aß Teile von ihm: In der Öffentlichkeit ist der Mann, der seine Haftstrafe in Kassel-Wehlheiden verbüßt, als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt. (Archivbild) © AP Photo

Rotenburg. Im Jahr 2002 tötete Armin Meiwes einen Freund und aß Teile von ihm: In der Öffentlichkeit ist der Mann, der seine Haftstrafe in Wehlheiden verbüßt, als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt. Lesen Sie heute bei uns das vollständige Interview über die Tat, die die Region bis heute beschäftigt.

Im Kasseler Sonntagsblatt erschien zuerst das Interview mit Meiwes, das wir mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen.

Herr Meiwes, zehn Jahre liegen seit der Tötung Ihres Freundes, das Gericht spricht von Mord, zurück. Wie denken Sie heute darüber?

Armin Meiwes: Heute sehe ich die Sache mit ganz anderen Augen. Damals geschah durch das jahrelange Surfen im Internet und der Suche nach jungen Männern eine völlige Verschiebung der Normalität. Es wurde für mich normal, was völlig abnorm ist. Von daher sehe ich das heute ganz anders.

Damals sagten Sie, der Freund wollte die Tötung, fühlten sich nur bedingt schuldig. Sagen Sie heute, ich habe völlig falsch gehandelt, habe die Strafe verdient?

Meiwes: Ich habe auf jeden Fall falsch gehandelt. Das würde nie mehr passieren. Heute würde ich ihn eher zum Psychiater schicken und mich dazu.

Würden Sie die Tat gern ungeschehen machen?

Meiwes: Ja, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es sofort tun.

Wer Sie kennt, beschreibt Sie als freundlichen, hilfsbereiten Menschen. Wie gehen die beiden Seiten zusammen - der Mord und die Menschenfreundlichkeit? Verstehen Sie, wie so etwas Abartiges geschehen konnte?

Meiwes: Irgendwie fühlte ich mich verführt und ich habe nie gedacht, dass es so eine Seite in mir gibt.

Wenn Sie heute an die Tat denken, wie geht es Ihnen?

Meiwes: Es ist nur furchtbar. Die schrecklichen Momente möchte ich nicht mehr erleben. Die ganze Welt hat Sie als abartigen Kannibalen tituliert.

Können Sie nachvollziehen, dass Menschen so über Sie urteilen?

Meiwes: Jein, ich hätte nie gedacht, dass die Medien das so hochspielen. Ich wurde berühmt-berüchtigt. Darauf hätte ich verzichten können.

Archiv-Fotos: Der Kannibalen-Fall in Bildern

Fotos

Wie sieht Ihr Leben im Gefängnis aus?

Meiwes: In Kassel-Wehlheiden arbeite ich seit 2005 in der Wäscherei und bin in vielen Arbeitsgruppen sozial

Aus der damaligen Zeitung (PDF):

Titelseite

- Menschen-Seite 1

- Menschen-Seite 2

aktiv. Ich arbeite mit im evangelischen Arbeitskreis und singe mit im Kirchenchor. Politisch bin ich aktiv bei den Grünen. Der Tag beginnt mit dem Wecken um 6 Uhr, es folgt das Frühstück. Um 7 Uhr ist Arbeitsbeginn bis 11 Uhr, dann ist Mittagspause bis 12.30 Uhr. Bis 15 Uhr ist dann wieder Arbeit, danach folgt die Arbeiterfreistunde, der sogenannte Freigang. Nach dem Abendbrot gibt es das Angebot von Arbeitskreisen wie von der evangelischen Gefängnisseelsorge. Um 19.30 Uhr ist wieder Zelleneinschluss. Ich lebe in einer Einzelzelle, Doppelzellen gibt es nur im Ausnahmefall, zum Beispiel bei Gefährdung eines Mitgefangenen. Von meinen Mitgefangenen bin ich akzeptiert. Viele bitten mich zum Beispiel um Mithilfe beim Briefeschreiben an die Behörden.

Bekamen Sie psychologische Betreuung?

Meiwes: Ja, aber erst jetzt nach zehn Jahren. Dazu musste ich von Haus 1 in Wehlheiden in Haus 2 umziehen, in die sogenannte Sozialtherapie. Nur hier gibt es psychologische Betreuung und Therapie. Zehn Jahre musste ich trotz meines wiederholt geäußerten Wunsches nach Therapie darauf warten. Das Problem war, in der Anstalt 1 gibt es eben keine Therapie. Die Einzelgespräche und die Therapie empfinde ich jetzt als sehr hilfreich. Ich sehe mein Leben anders und die Selbstwahrnehmung hat sich völlig verändert.

Welche Haftzeit steht Ihnen noch bevor?

Meiwes: Also noch mindestens fünf Jahre. Nach 15 Jahren wird bei lebenslänglich entschieden, ob man entlassen wird. Die Regel sagt eher später. Aber es gibt immerhin Hafterleichterungen bis hin zum Hafturlaub. Auch hier in der Sozialtherapie bin ich im Chor, in einer Musik- und Kunstgruppe. Mein Wunsch ist, noch Klavier zu lernen.

Haben Sie noch Kontakt zu Freunden aus Ihrem Dorf oder zur Familie? Wie denken die über Sie?

Meiwes: Zur Familie besteht gar kein Kontakt mehr. Die hat sich völlig losgesagt. Zu ehemaligen Freunden und Nachbarn besteht noch Kontakt. Natürlich können sie die Tat nicht verstehen, stehen aber als Mensch weiter zu mir. Auch habe ich eine Lebensgefährtin. Nach der Entlassung wünsche ich mir ein gemeinsames Leben mit ihr.

Sie besuchen regelmäßig die Gottesdienste, helfen mit bei der Gestaltung und nehmen die Angebote der Gefängnisseelsorge wahr. Warum?

Meiwes: Ich kann die Gottesdienste zählen, an denen ich in den über zehn Jahren im Gefängnis nicht teilgenommen habe. Die Pfarrer Lawrenz, Illgen und Steinleitner haben mir in all den Jahren beigestanden. Der Gottesdienst ist auch eine gute Gelegenheit, aus der Zelle rauszukommen und andere zu treffen. Natürlich bete ich auch für meinen getöteten Freund Bernd. Das ist für mich eine Möglichkeit, mit der Situation umzugehen.

Was glauben Sie, erwartet Sie, wenn Sie entlassen werden?

Meiwes: In das Dorf bei Rotenburg werde ich wohl nicht mehr ziehen. Aber mein Haus möchte ich nicht aufgeben. Ich werde mir eine andere Identität aufbauen und will dann möglichst mit neuem Namen in Frieden leben.

Wenn Sie an die Zeit im Gefängnis denken, wie geht es Ihnen damit?

Meiwes: Die 15 Jahre sind eine verlorene Zeit. Ich wünsche keinem, ins Gefängnis zu kommen. Es ist schrecklich, eingesperrt zu sein. Man ist gezwungen, mit Leuten zusammenzuleben und kann nichts frei entscheiden. Man wird quasi auf Kinderstatus reduziert. Die Entmündigung ist für mich die eigentliche Strafe. Da kannst du eigentlich nur verrückt werden, wenn man bei aller Schuld nicht Menschen hat, die trotzdem zu einem stehen, und eben den Glauben.

Von Reinhard Heubner

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