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Weidetierhalter kritisieren Hessischen Wolfsmanagementplan scharf

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Von: Christopher Ziermann

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Das Bild zeigt Schafe auf einer Weide bei Spangenberg und einen Wolf im Wildpark Knüll.
Die Rückkehr der Wölfe nach Hessen ist für die Weidetierhalter eine Herausforderung. © Carolin Eberth

Scharfe Kritik am neuen hessischen Wolfsmanagementplan haben nun gleich fünf Weidetierhalterverbände in einer gemeinsamen Erklärung geübt. Der Plan kenne nur Verlierer.

Wiesbaden/Nordhessen – „Er bringt weder etwas für die konfliktarme Ansiedelung von Wölfen, noch wird er dem Anspruch des Naturschutzes gerecht“, schreiben die Verbände.

Die Erklärung ist von Frieder Beyer (Friedewald) für den Bundesverband Berufsschäfer, Burkhard Ernst (Großalmerode) für den Hessischen Verband für Schafzucht- und Haltung, Tim Treis (Morschen) für die Vereinigung Ökologischer Landbau sowie der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft und dem Hessischen Ziegenzuchtverband unterzeichnet. Der Wolfsmanagementplan, den Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) und ihr Staatssekretär Oliver Conz Ende April vorgestellt hatten, sei das Gegenteil von Prävention. Man beschränke sich auf auf ein Verwalten auftretender Konflikte.

Das Ministerium beantwortete eine Anfrage unserer Zeitung zu den Vorwürfen, nachdem die Pressemitteilung am Dienstagnachmittag veröffentlicht worden war, zunächst nicht.

Wolfsangriffe in Nordhessen

In Nordhessen sind im laufenden Jahr laut dem Hessischen Wolfszentrum bislang in zwei Fällen DNA-Spuren von Wölfen an getöteten Nutztieren belegt worden – betroffen waren ein Galloway-Kalb in Ludwigsau und vier Schafe in Bad Hersfeld. Beides liegt im Revier der Besengrunder Wölfe. Die Stölzinger Wölfin hat bislang rund 30 Weidetiere getötet, zuletzt nachweislich im Oktober 2020. 

Hinz und Conz haben immer wieder betont, dass ein flächendeckender Grundschutz elementar sei bei dem Bestreben, dass Wölfe sich nicht an Weidetiere als Beute gewöhnen. Während laut Managementplan „zusätzliche Maßnahmen zum Herdenschutz“ dort, wo es bereits Übergriffe auf Nutztiere gegeben hat, mit bis zu 100 Prozent der Kosten gefördert werden, liege der Grundschutz „im Wesentlichen in der Verantwortung der Weidetierhalter“, sagt Ministerin Hinz. Als Grundschutz gelten in der Regel mindestens 90 Zentimeter hohe Elektrozäune. Als Förderung ohne Vorbedingung werden lediglich 40 Euro pro Hektar gezahlt – die Zäunung ist um ein Vielfaches teurer.

„Eine echte Prävention könnte durch die Umsetzung eines flächendeckenden Grundschutzes für alle Tierarten in Kombination mit konsequenter Vergrämung und Entnahme auffälliger Wölfe erreicht werden“, schreiben die fünf Verbände. Entnahme ist das behördendeutsche Wort für Abschuss. Das Umweltministerium nehme nun hingegen billigend in Kauf, dass Wölfe sich an Weidetiere als Beute gewöhnen, „um hinterher mit immensem Aufwand wieder eine Einschränkung der Übergriffe zu versuchen“.

Artenschutz und Wolf

Artenschutz müsse alle Arten im Blick haben. Der übermäßige Schutz einzelner Arten wie dem Wolf dürfe nicht dazu führen, dass andere Arten gefährdet werden. Drei Viertel der außerhalb von Wäldern lebenden Brutvögel gelten laut der Roten Liste Deutschlands als gefährdet. Ihr Lebensraum sei zum Großteil beweidetes Grünland. „Verschwindet die Weidetierhaltung, verschwinden bald auch Arten wie Kiebitz, Braunkehlchen oder Wiedehopf“, sagen die Weidetierhalter. Der große Beitrag der Weidetierhaltung zur Artenvielfalt ist unbestritten und wird auch vom Umweltministerium immer wieder betont.

Finanzielle Situation der Weidetierhalter

Fleisch und Wolle bringen in Deutschland vergleichsweise wenig Geld ein. Die Mehrheit der Berufsschäfer arbeitet laut dem Friedewalder Berufsschäfer Frieder Beyer, Sprecher der AG Herdenschutz beim Berufsschäferverband, unter Mindestlohnniveau. Kleinstrukturierte und ertragsschwache Wiesen seien für Hessen typisch, so die fünf Verbände. Der Aufwand bei der Zäunung ist im hügeligen Nordhessen wesentlich höher als auf großen flachen Flächen wie in Brandenburg und Niedersachsen, wo es schon länger wieder Wölfe gibt. Weitere Belastungen, wie sie der Wolfsmanagementplan vorsehe, würden zu einem Rückgang der Weidetierhaltung führen.

Kommunikation mit dem Umweltministerium

Die Weidetierhalter kritisieren, dass eine Abstimmung mit ihnen während der Entwicklung des Managementplans anders als versprochen „de facto nicht stattgefunden hat“. Man habe zwar Stellung nehmen können zum Entwurf, die Frist von drei Arbeitswochen sei aber für die meist ehrenamtlich organisierten Verbände zu kurz gewesen. Außerdem habe es zu den Verbesserungsvorschlägen keine Rückmeldung gegeben. Umweltministerin Priska Hinz hatte bei der Vorstellung des Wolfsmanagementplanes gesagt, dieser sei „in Diskussion mit den Verbänden“ entwickelt worden.

Abschüsse von Wölfen

Besonders heftig diskutiert wird bei Wölfen das Thema Abschuss. Die fünf Verbände unterstellen dem Umweltministerium dabei ein „merkwürdiges Rechtsverständnis“. Die Hürden für den Abschuss eines Wolfes würden deutlich höher gelegt, als das im Bundesnaturschutzgesetz vorgesehen sei. Tatsächlich sind die nun in Hessen festgelegten „erweiterten Herdenschutzmaßnahmen“, also höhere Zäune, im Bundesgesetz keine Voraussetzung für einen Abschuss. Laut Paragraf 45a des Bundesnaturschutzgesetzes ist ein Abschuss möglich, wenn ein Wolf „zumutbare“ Schutzmaßnahmen überwunden hat und „ernste wirtschaftliche Schäden drohen“. Eine klare bundeseinheitliche Regelung für Abschüsse von Wölfen sollte eigentlich im Frühjahr beschlossen werden – die Umweltministerkonferenz hat das Thema aber vertagt.

Die Verbände kritisieren auch eine weitere Passage im Managementplan, die die Hürden für einen Abschuss erhöht. Wenn ein Zaun durch in Panik geratene Weidetiere beschädigt würde, könne das nicht zwingend einem Wolfsübergriff zugeordnet werden, so das Umweltministerium. „Das Eindringen des Wolfes in die Herde kann dann erfolgt sein, ohne dass er ursächlich für den Schaden an der Einzäunung war oder den Grundschutz überwunden hat“, heißt es dort. Dazu meinen die Weidetierhalter: „Das ist absurd, wenn die Panik der Herde durch den Wolf verursacht wurde.“

Kommentar von HNA-Redakteur Christopher Ziermann

Verhältnismäßigkeit ist das A und O. Es ist weder so, dass Isegrim die heile Naturwelt zurückbringt und unsere Wälder gesunden lässt – noch ist es so, dass marodierende Rudel in Deutschland so viele Schafe reißen, dass bald keine mehr übrig sind. Die Stölzinger Wölfin hat zuletzt vor über sechs Monaten Schafe gerissen. Aber die Weidetierhalter müssen sich wappnen.

So richtig Hilfe dabei bekommen sie nur, wenn schon was passiert ist. Mantraartig wird die Wichtigkeit des Grundschutzes als Prävention betont, die Kosten dafür bleiben aber fast ausschließlich an den Tierhaltern hängen. Insbesondere dort, wo Stromnetze zum Beispiel am Waldrand kaum zu benutzen sind, wären Investitionen nötig, die sich kein Hobbytierhalter leisten kann. Dort wären Fördermittel sinnvoller aufgehoben als dort, wo Wölfe Weidezäune schon überwunden haben. Wer wie Umweltministerin Priska Hinz die Tierhalter mit dieser Verantwortung allein lässt, kalkuliert ein, dass der so wichtige Grundschutz eben nicht flächendeckend umgesetzt wird.

Das Ministerium folgt dem Credo: Bloß keinen Wolf schießen. Bevor eingeräumt wird, dass der Grundschutz „überwunden“ wurde, ist ein Detektivspiel vorgesehen, wie genau der Wolf denn nun an die Schafe gekommen ist. Es gibt keinen guten Grund, Wölfe zu erlegen, die sich nur von Wild ernähren. Es wäre aber sinnvoll, das Raubtier eben doch zu erschießen, wenn es wiederholt Probleme verursacht. Vergleiche mit Raubtieren anderer Kontinente wie Löwen und Tiger sind völlig unpassend, da der Bestand dieser Arten tatsächlich bedroht ist. Das gilt für Wölfe weltweit zweifellos nicht, nach wissenschaftlichen Maßstäben auch nicht in Deutschland. Deutsche Behörden verweisen regelmäßig auf die EU-rechtliche Wertung des „günstigen Erhaltungszustands“, den der Wolf in Deutschland nur dann erreichen würde, wenn es ihn wieder überall gäbe, wo er leben kann. Aber selbst in diesem Rechtsrahmen könnten sogenannte Problemwölfe geschossen werden. 

In Hessen will man stattdessen versuchen, die intelligenten Raubtiere mit höheren Zäunen zu erziehen. Mit Steuergeld natürlich. Bei einer nicht gefährdeten Art ist das unverhältnismäßig.

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