Hersfeld-Rotenburg
„Wie Mitarbeiter zweiter Klasse“: Pflegerinnen aus dem Kreis kritisieren abgesagte Impftermine
Erst sicher geglaubte Impftermine storniert bekommen, dann mit einem vermeintlich schwächer wirkenden Impfstoff vertröstet: Die Gemeinde-Diakonie-Station Hohenroda-Ausbach ist angefressen.
Hersfeld-Rotenburg - „Wir fühlen uns im Stich gelassen“, schreiben die Mitarbeiterinnen des ambulanten Pflegedienstes in einer gemeinsam mit der Niederaulaer Diakonie-Station unterzeichneten Presseerklärung. Sie fragen: „Müssen wir für die Fehlentscheidung der Politik mit der Gefährdung unserer eigenen Gesundheit zahlen?“ 35 Termine für die Corona-Schutzimpfung hatten die Pflegerinnen der Gemeinde-Diakonie-Station Hohenroda-Ausbach für den vergangenen Samstag erhalten. Doch dann habe das Impfzentrum zwei Tage vorher per E-Mail darüber informiert, dass Impfdosen des US-amerikanischen Herstellers Moderna nicht geliefert worden seien.
Werner Hampe, Sprecher des auch für das Impfzentrum zuständigen Klinikums Hersfeld-Rotenburg, bestätigt auf Nachfrage: „Das Land Hessen hatte in der vergangenen Woche die angekündigten Moderna-Impfstoffdosen nicht liefern können, deswegen mussten die gebuchten Impftermine leider storniert werden.“ Insgesamt seien 600 Impfdosen nicht geliefert worden. „Die abgesagten Termine werden neu angeboten, sobald entsprechende Impfstoffmengen geliefert sind.“
Die Pflegerinnen erhielten zudem den Hinweis, dass das Impfzentrum nun laut einer Verordnung des Landes „alle anspruchsberechtigten Personen zwischen 18 und 64 Jahren“ mit Astrazeneca impfen müsse. Auch die Mitarbeiterinnen der Diakonie-Station werden demnach nun aller Voraussicht nach nicht mehr mit dem als besonders zuverlässig geltenden Moderna-Vakzin geimpft, sondern mit dem Astrazeneca-Wirkstoff, der mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat.
„Wir sind wütend, enttäuscht und traurig“, sagt Pflegedienstleiterin Ute Schlotzhauer, die mit Stellvertreterin Jutta Heiderich und ihren Kolleginnen rund 250 Klienten betreut. „Die politische Entscheidung, medizinisches Personal mit dem Impfstoff, der eine geringere Wirksamkeit und mehr Nebenwirkungen hat, zu impfen, empört uns maßlos. Ist der Politik und Gesellschaft der Schutz der Pflegehelden nur 60 bis 70 Prozent wert?“, fragt Ute Schlotzhauer und verweist auf Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery, der sich jüngst kritisch über Astrazeneca geäußert hatte.
Es sei ungerecht, dass einige Pfleger im Landkreis einen höher bewerteten Impfstoff bekommen hätten, andere nun aber offenbar vorerst nicht mehr. „Wir fühlen uns als Mitarbeiter zweiter Klasse, wenn wir den Impfstoff mit geringerem Impfschutz erhalten.“ Einige Mitarbeiterinnen der Diakonie-Station seien älter als 60 Jahre und gehörten der Risikogruppe an. „Ich verstehe, dass sie nun ängstlich sind“, sagt sie. Grundsätzlich zeigen sich Ute Schlotzhauer und ihre Kolleginnen von der Politik enttäuscht. Die versprochenen Wertschätzungen seien noch nicht zu spüren und die Corona-Prämie sei längst nicht bei allen Pflegern angekommen: „Ohne den hohen Einsatz des medizinischen Personals wäre die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen.“
Hintergund
„60 bis 70 Prozent“: Die Pflegerinnen beziehen sich auf Angaben zum Astrazeneca-Impfstoff, dem eine geringere Wirksamkeit zugeschrieben wird als den Mitteln von Biontech/Pfizer und Moderna (mehr als 90 Prozent) – bezogen darauf, wie viele Geimpfte in Studien im Vergleich zu Nicht-Geimpften erkranken. Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery hatte sich kürzlich gegen eine Astrazeneca-Impfung bei medizinischem Personal ausgesprochen und sagte, die Probleme mit Astrazeneca ließen sich nicht „wegdiskutieren“.
Derartige Aussagen sorgen bundesweit für Akzeptanzschwierigkeiten. Frank Dastych, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, sagte hingegen, „dass es sich bei Astrazeneca um einen hochwirksamen Impfstoff handelt“. Auch Dr. Bardo Kürten, ärztlicher Leiter des Impfzentrums in Rotenburg, hatte im Interview mit unserer Zeitung gesagt, dass er sich „selbstverständlich mit dem Impfstoff von Astrazeneca impfen lassen“ würde. Die Ständige Impfkommission hatte das Vakzin vorerst nur für 18- bis 64-Jährige empfohlen, kündigte nun aber an, ihre Empfehlung überprüfen zu wollen.