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„Wir reden zu viel über Zahlen“: Rotenburg stimmt heute über Beteiligung am UBZ ab

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Von: Christopher Ziermann

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Für das insolvente Umweltbildungszentrum Licherode muss bis 31. März eine Lösung gefunden sein.
Für das insolvente Umweltbildungszentrum Licherode muss bis 31. März eine Lösung gefunden sein. © Carolin Eberth

Gelingt die Rettung des insolventen Umweltbildungszentrums Licherode (UBZ) oder nicht? 

Rotenburg/Licherode – Die Rotenburger Lokalpolitiker tun sich ebenso wie die Alheimer in der Vorwoche schwer mit der Entscheidung, ob ihre Kommune einer gemeinnützigen GmbH beitreten soll. Die gGmbH, so der Plan von Geschäftsführer Stefan Ross und Insolvenzverwalterin Jutta Rüdlin, übernimmt den Betrieb vom insolventen Trägerverein. Die Entscheidung über eine Beteiligung Rotenburgs fällt heute in der Stadtverordnetenversammlung, die ab 19 Uhr im Rathaus stattfindet.

Wie das Parlament entscheidet, scheint völlig offen. In der Haupt- und Finanzausschusssitzung, die Empfehlungen abgibt, sprach sich nur die CDU klar für die Beteiligung am UBZ aus. Die Vertreter der anderen Fraktionen sahen am Dienstagabend keine fundierte Basis für eine Zustimmung. Der Grund dafür war vor allem: Die aktuelle Finanzplanung der Insolvenzverwalterin lag den Abgeordneten nicht vor. Es war zu einem Fehler bei einer E-Mail-Übertragung gekommen. Rüdlin und Ross standen in der Sitzung zwar Rede und Antwort und konnten die aktualisierten Zahlen mitteilen – das genügte SPD, UBR und FDP aber nicht. Das Dokument wurde allen Fraktionen dann am Mittwoch zugeschickt. Eine Beschlussempfehlung wurde am Dienstag zunächst bei drei Nein-, zwei Ja-Stimmen und einer Enthaltung abgelehnt.

Anvisiert sind fünf Gesellschafter. Die Stadt Melsungen hat einem Beitritt zur gGmbH zugestimmt, ebenso die Firma Peplies Consult aus der Nähe von Marburg. Die Alheimer Gemeindevertretung ist unter Auflagen dafür (wir berichteten). Mit dem Kreis Hersfeld-Rotenburg, also dem Schulträger, werden derzeit Gespräche geführt. Eine Alternative gibt es derzeit nicht. Die Gläubigerversammlung hat der Insolvenzverwalterin bis 31. März die Zustimmung für den weiteren Betrieb gegeben.

Die Zahlen

Klar ist, dass – bei gleicher Beteiligung und fünf Gesellschaftern – jeder Akteur 5000 Euro zum Stammkapital der GmbH beitragen müsste. Mit diesem Betrag würde die Stadt Rotenburg bei einer erneuten Insolvenz haften.

Mario Knoch (UBR) fragte auch nach dem Liquidationswert von 113 000 Euro. Dabei handelt es sich um die von einem Sachverständigen ermittelte Summe, die die Insolvenzverwalterin beim Abverkauf aller Vermögenswerte des Umweltbildungszentrums erzielen soll. „Wie wird das finanziert?“

Die Antwort der Insolvenzverwalterin: Das entscheiden die Gesellschafter. Sie erläuterte aber die Möglichkeiten und erklärt auf Nachfrage unserer Zeitung: „Das Inventar wie Möbel, die man für den Betrieb braucht, macht nur einen kleinen Teil der 113 000 Euro aus. Der wesentliche Teil ist der Wert des Grundstücks und der Expo-Pavillon, die dem Trägerverein gehören.“ Damit Pavillon und Grundstück nicht sofort gekauft werden müssen, könne beides zumindest für das laufende Jahr auch von der Insolvenzverwalterin aus der Insolvenzmasse gemietet werden.

Als dritter Faktor bleibt das kalkulierte Defizit im laufenden Betrieb. In dem Entwurf, der den Abgeordneten vorlag, ging die Insolvenzverwalterin von einem Jahresdefizit von 118 000 Euro für 2023 aus. Die Gesellschafter müssten entscheiden, ob sie das Defizit ausgleichen wollen. Das würde für jeden der fünf 23 600 Euro bedeuten. „Der Plan war extrem konservativ aufgestellt. Es waren zum Beispiel nur die Buchungen für Klassenfahrten eingerechnet, die im November schon absolut sicher waren. Nun sind natürlich – und trotz der Insolvenz – viele weitere dazugekommen. Aktuell gehen wir von einem Defizit von 10 000 Euro für dieses Jahr aus“, sagte Rüdlin. Also 2000 Euro je Gesellschafter – laut dem Finanzplan, der den Abgeordneten seit gestern vorliegt. Die Planung werde mit weiteren Buchungen laufend aktualisiert. Rüdlin geht davon aus, dass man mit dem UBZ mittelfristig eine schwarze Null erreichen kann.

Die CDU

Bürgermeister Christian Grunwald (CDU) und der CDU-Fraktionsvorsitzende Jonas Rudolph erklärten den Tagesordnungspunkt zur Grundsatzentscheidung. „Wollen wir das UBZ weiterleben lassen und als Träger selbst Einfluss auf die Ausrichtung legen oder wollen wir es sterben lassen?“, fragte Grunwald.

Rudolph sagte: „Wir reden zu viel über Zahlen und zu wenig über den Wert des UBZ. Ich drehe sonst auch jede Zahl zweimal um. Aber im Verhältnis zu anderen freiwilligen Leistungen wie Schwimmbädern und unserer ÖPNV-Offensive geht es hier um geringe Summen.“ Das UBZ sei von so großer Bedeutung für die Allgemeinheit, dass die Chancen das finanzielle Risiko deutlich überstiegen. Die beiden bei der Abstimmung anwesenden CDU-Vertreter waren für die Beteiligung am UBZ.

Die SPD

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Sebastian Münscher betonte zwar, wie alle anderen Redner, die Wichtigkeit des UBZ. Er meinte aber, dass man mit Pädagogik durchaus Geld verdienen könne und fragte, warum das bislang nicht gelungen sei und was sich künftig ändern werde. Ross zählte mehrere Beispiele auf (siehe Hintergrund), Münscher kam aber zu dem Schluss: „Ich halte das Konzept für nicht zukunftsfähig.“

Parteigenosse Markus Vöckel sagte hingegen: „Bildung und Pädagogik gehen vor Geld.“ Er wolle aber seine Fragen beantwortet haben und den aktuellen Finanzplan sehen, bevor er zustimmen könne. Die Frage nach der Arbeitszeit der 16 Angestellten konnte Geschäftsführer Ross nicht aus dem Stegreif beantworten. Vöckel musste später, wie auch Jonas Grunwald (CDU), aus Termingründen gehen. Bei der Abstimmung war nur noch Münscher da, der gegen die UBZ-Beteiligung votierte.

Die UBR

UBR-Chef Mario Knoch äußerte Bedenken, weil selbst die Alheimer Gemeindevertreter – die Entscheider der Standort-Kommune – sich mit einer Zustimmung schwer getan hätten. Knoch stimmte der CDU aber zu, dass es um die Grundsatzfrage gehe, „ob wir wollen oder nicht“. Mit validen Zahlen könne er einem geänderten Beschlussvorschlag heute Abend möglicherweise zustimmen. Beide UBR-Vertreter votierten am Dienstag aber zunächst mit Nein.

Bei der UBR (Unabhängige Bürger Rotenburgs) gibt es im Parlament häufiger als bei anderen Fraktionen unterschiedliches Abstimmungsverhalten.

Die FDP

Marcus Weber (FDP) sagte, dass das UBZ erhalten werden müsse und sich die Stadt dabei einbringen solle. Er könne aber erst zustimmen, wenn er genau gesehen habe, aus welchen Töpfen wieviel Geld eingeplant sei. Weber enthielt sich, signalisierte aber, dass er heute wohl zustimmen werde.

Der Geschäftsführer

Stefan Ross, der vor drei Jahren die Geschäftsführung übernommen hat, wurde von verschiedenen Seiten für seine pädagogischen Leistungen gelobt. Sein Ideenreichtum wurde sehr offenkundig, als er über die Arbeit seiner Einrichtung sprach. Im Zuge der Ausführungen von Ross und Rüdlin wurde allerdings deutlich, dass es im UBZ in der Vergangenheit in der Buchhaltung und Finanzplanung wohl an Stringenz und auch an Kompetenz gefehlt hat. Zum Beispiel musste laut Rüdlin oft Fördergeld, das im Januar einging, zur Tilgung aufgelaufener Schulden genutzt werden. So seien die finanziellen Probleme eher vor sich her geschoben als gelöst worden. Rüdlin sagte: „Herr Ross ist nach meinen Informationen nie angetreten, um Finanzgeschäftsführer zu sein.“

Das hat Stefan Ross im Nachgang der Sitzung gegenüber unserer Zeitung konkretisiert: „Wie die Führung des UBZ künftig gestaltet wird, werden die Gesellschafter der gGmbH entscheiden. Ich halte es aber für sinnvoll, dass jemand – mindestens in Teilzeit – eingestellt wird, der mit betriebswirtschaftlicher Kompetenz den Finanzbereich verantwortet.“ Insolvenzverwalterin Rüdlin sagt: „Es würde dem UBZ ganz bestimmt gut tun, wenn Herr Ross sich auf seine herausragenden Fähigkeiten als pädagogischer Leiter und Motivator seines enorm engagierten Teams konzentrieren kann.“

Umweltbildungszentrum besteht seit 1995

Das Umweltbildungszentrum Licherode wurde 1995 als erstes ökologisches Schullandheim Deutschlands gegründet. Der Geschäftsbetrieb konzentrierte sich lange vor allem auf Klassenfahrten und Ferienfreizeiten. Dass im Winter kaum Einnahmen fließen, ist ein altbekanntes Problem.

Das Team um Geschäftsführer Stefan Ross richtet sich seit vergangenem Jahr kontinuierlich auf breitere Zielgruppen aus. Das UBZ kooperiert mit dem Naturpark Knüll bei Ranger-Ausbildung und Naturpark-Kitas – 2022 waren es sechs Kindergärten, 2023 schon elf, so Ross. Außerdem arbeitet man bei Lehrerfortbildungen mit dem staatlichen Schulamt zusammen und bietet Seminare und Workshops für Mitglieder von IHK und Handwerkskammer an. Derzeit läuft erstmals ein vom Land gefördertes Projekt, bei dem ukrainischen Geflüchteten das Thema Nachhaltigkeit nähergebracht wird.

„Wir waren die ersten, die diese Idee hatten. Zunächst haben wir eine Förderung für drei Wochen bekommen, aber wir sind zuversichtlich, dass es dabei nicht bleibt“, sagt Ross. Außerdem beteiligt sich das UBZ an den Ferienspielen der Kommunen Rotenburg und Alheim, betreut Umweltschulen in den Kreisen Hersfeld-Rotenburg, Schwalm-Eder und Werra-Meißner und beliefert Kitas und Schulen mit Essen.
(Christopher Ziermann)

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