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Teichprozess: Ex-Bürgermeister verurteilt - Das geschah am letzten Prozesstag

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Die Urteilsverkündung im Teichprozess fand großes Interesse bei lokalen und überregionalen Medien. Im Bild Olbrichs Verteidiger Frank Richtberg im Gespräch mit einem Reporter.
Die Urteilsverkündung im Teichprozess fand großes Interesse bei lokalen und überregionalen Medien. Im Bild Olbrichs Verteidiger Frank Richtberg im Gespräch mit einem Reporter. © Beatrix Achinger

Am Donnerstag fiel im Teichprozess das Urteil. Klemens Olbrich wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Zuvor hielten Ankläger und Verteidigung ihre Plädoyers.

Marburg/Neukirchen – Der Tag der Entscheidung im Teichprozess stieß auf großes Interesse: Der sonst spärlich besetzte Zuschauerraum war vorgestern mit knapp 20 Zuschauern gefüllt, darunter auch Bürgermeister aus dem Schwalm-Eder-Kreis. Bei den Prozessbeobachtern handelte es sich überwiegend um Menschen, die dem ehemaligen Neukirchener Bürgermeister Klemens Olbrich den Rücken stärken wollten. Die Bedeutung des Prozesses wurde auch an der Zahl der Medienvertreter deutlich. Unmittelbar nach Urteilsverkündung ging die Meldung zum Urteil über die Ticker der Agenturen.

Während der Plädoyers musste der Vorsitzende Richter Dr. Sebastian Pfotenhauer manche Zuschauer ermahnen: Es wurde geredet, Köpfe wurden geschüttelt und mit halblauter Stimme kommentiert. Es fielen Sätze wie: „Das ist gelogen!“ Die Ansichten hätten verschiedener nicht sein können. Die Plädoyers im Einzelnen:

Teichprozess: Gefahr war laut Staatsanwalt offensichtlich

Der Tod der Kinder sei durch Sicherungsmaßnahmen verhindert worden, davon ist Staatsanwalt Jonathan Poppe überzeugt. Der Bürgermeister wusste, dass das Areal als Freizeitgelände genutzt wurde und auch um die Gefährlichkeit, die mit den Ertüchtigungsmaßnahmen 2014 dann sogar noch erhöht worden sei.

Dann kam das Versicherungsschreiben. Poppe, ist sich sicher: „Dass der Angeklagte das Schreiben nicht gelesen haben will, ist eine Schutzbehauptung. Aber selbst wenn, dann macht es das doch nicht besser. Dann hat er seinen Job nicht gemacht.“ Der Bürgermeister sei durch seinen Job verpflichtet, Gefahrenquellen zu sichern. „Der Angeklagte hatte offensichtlich überhaupt kein Interesse daran, seiner Pflicht als Bürgermeister nachzukommen, was in seinen Aussagen hier vor Gericht deutlich wurde.“ Er habe zum Beispiel gesagt, er müsse die Post nicht durchlesen, er müsse lediglich einen Sichtvermerk anbringen.

Selbst Jahre nach dem Unglück, bis nach der Amtsgerichtsverhandlung, sei immer noch nichts gesichert gewesen. Da seien Kinder gestorben, aber man müsse ja nichts machen. „Das ist in keiner Weise mehr nachzuvollziehen.“

Weiter sagte Jonathan Poppe, dass „Internet-Trolle von Vollkasko-Mentalität“ sprechen: „Das ist absolut geschmacklos. Hier sind drei Kinder gestorben. Es geht hier nicht um ein kaputtes Auto.“ Man müsse nicht jeden Teich einzäunen, sondern solche, die gefährlich sind: Der Teich liege mitten in der Wohnbebauung, ist ein Freizeitgelände und hat eine Anziehung insbesondere für Kinder. „Ein verständiger Bürgermeister hätte selbst ohne das Schreiben, spätestens aber danach Sicherungsmaßnahmen für zwingend erforderlich gehalten.“

Klemens Olbrich Ehemaliger Neukirchener Bürgermeister
Klemens Olbrich Ehemaliger Neukirchener Bürgermeister © Privat

Kinder etrinken in Teich in Neukirchen: „Gewässer sind per se gefährlich“

Nach Verteidiger Frank Richtberg sind bei der Tragödie einfach unglückliche Dinge zusammengekommen:

Die mangelnde Aufsicht der Kinder durch die Eltern, dass der Bürgermeister das Schreiben inhaltlich nicht zur Kenntnis genommen habe und der personelle Wechsel im Bauamt im Frühsommer 2014 – der Zeit, als das Versicherungsschreiben eintraf. Das Schreiben habe der Bürgermeister weder inhaltlich wahrgenommen, noch sei mit ihm in Sitzungen darüber gesprochen worden. Und das, obwohl der Ortsvorsteher und der Bauamtsleiter das Schreiben per Mail bekommen hatten – kein Wort davon in Sitzungen.

In Richtung der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft fragte Richtberg: „Wie viele Akten und Schreiben gibt es denn in der Justiz, die nicht genau gelesen werden? Würden Sie sagen, dass Sie immer alles genau gelesen haben?“ Der Teich sei außerdem in der Umbauphase nie vom Bürgermeister abgenommen worden, sondern vom Bauamt. „Und was ist eigentlich mit den Bürgern von Seigertshausen?“ Es sei doch klar, wenn Olbrich das gelesen hätte, wäre etwas passiert. Er hätte doch gar kein Interesse daran, den Zaun zu verhindern. „Kein Bürgermeister ist in der Lage, alle Maßnahmen konkret und persönlich zu überwachen.“

Weiter sei, selbst, als der Teich während der Umbauphase leer war, niemand auf die Idee gekommen, dass da etwas gemacht werden muss, und: „Wir haben in Gießen auch Teiche und Seen mit Erde und Schlick am Ufer. Gewässer sind per se gefährlich.“

Außerdem habe sich sein Mandant eigens um einen Akteneinsichtsausschuss gekümmert: „Wer initiiert einen Untersuchungsausschuss, um festzustellen, dass er der Täter ist?“

Neukirchen: Nebenkläger von Vater und Mutter der Geschwister halten Plädoyer

Neben der Staatsanwaltschaft als Anklagevertreter gab es im Prozess gegen den ehemaligen Neukirchener Bürgermeister auch noch zwei Nebenkläger. Dabei handelte es sich um Vater und Mutter der drei ertrunkenen Geschwister.

Kinder ertranken 2016 im Teich in Seigertshausen.
Kinder ertranken 2016 im Teich in Seigertshausen.  © Katja Rudolph

Teichprozess: Verantwortung muss übernommen werden

„Es grenzt schon fast an Ignoranz, dass an dem Teich über Jahre nichts passiert ist. Dann verstehe ich auch, dass man sagt: Ich hab’s nicht zur Kenntnis genommen“, sagte der Nebenklägervertreter Mustafa Üstün und wandte sich dann direkt an den Angeklagten: „Herr Olbrich, Ihnen wirft hier niemand vor, die Kinder vorsätzlich getötet zu haben. Aber man muss auch zu seiner Verantwortung stehen.“ Die Versicherung bekomme Fotos, eine Mail und einen Anruf und sagt, das ist gefährlich. „Sie leben da 30 Jahre oder länger, Sie haben da gebadet und wollen keine Gefahr erkannt haben.“

Üstün meinte abschließend, es wäre vielleicht besser gewesen, Olbrich wäre nach dem Amtsgerichtsurteil nicht in Berufung gegangen.

Delegieren befreit nicht von Verantwortung

Der Nebenklägervertreter des Vaters, Anwalt Dirk Gerlach, war der Ansicht, dass dem Angeklagten nicht abzunehmen sei, dass er das Versicherungsschreiben nicht gelesen hat. Er sagte zu Olbrich: „Natürlich kann man auch delegieren. Aber damit ist man nicht von der Verantwortung befreit.“ Die Gefahr sei auch ohne das Schreiben offensichtlich gewesen, meinte Gerlach – dann habe man noch ein Beachvolleyball-Feld und eine Grillhütte auf das Areal gebaut, was es noch gefährlicher gemacht habe.

Beide Nebenkläger machten klar, dass die Eltern weder auf Olbrich herumhacken wollen, noch einen Schuldigen suchen. „Es ist hier manchmal in den Hintergrund gerückt, was hier tatsächlich passiert ist und vor allem, warum es passiert ist“, sagte Dirk Gerlach.  (Beatrix Achinger)

Präzedenzfall mit Auswirkungen auf viele Kommunen

Das Marburger Landgericht hatte Klemens Olbrich am Donnerstag zu einer Geldstrafe in Höhe von 14 400 Euro verurteilt.
Die Strafe wurde auf 180 Tagessätze zu jeweils 80 Euro aufgeteilt. Das ist durchaus von Bedeutung, denn muss ein Verurteilter mehr als 90 Tagessätze zahlen, dann wird die Strafe im Strafregister vermerkt. Auswirkungen auf Obrichs Pension wird das Landgerichtsurteil nicht haben.

Wie der Hessische Städte- und Gemeindebund (HSGB) auf HNA-Anfrage mitteilte, sei in Fragen der Pension das Beamtenversorgungsgesetz und das Beamtenstatusgesetz maßgeblich. Dort steht, dass der Verlust der Altersbezüge erst bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr droht. Eine für Olbrich nicht nur abstrakte Gefahr, hatte doch die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Strafe in dieser Höhe gefordert – auf Bewährung.

Wie geht es jetzt weiter: Klemens Olbrich und Verteidiger Frank Richtberg haben nach Informationen der HNA bereits nach der Verhandlungen gegenüber Pressevertreter eine Revision angekündigt. Die Verhandlung wäre dann vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt. Die Staatsanwaltschaft behielt sich eine Revision vor. Man werde die Urteilsbegründung zunächst genau prüfen. Formal muss die Revision laut Strafprozessordnung innerhalb einer Woche bei Gericht geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit dem Tag der Verkündung des Urteils.

Für den Hessischen Städte- und Gemeindebund ist der Teichprozess nach eigenen Angaben auf jeden Fall ein Präzedenzfall mit Auswirkungen auf andere Städte und Gemeinden mit ähnlichen Gewässern.

Beratungsangebote sowie Seminare des HSGB würden zeigen, dass durch den Prozess viel Verunsicherung vor Ort entstanden sei, erklärte Geschäftsführer Johannes Heger im Gespräch mit unserer Zeitung: „Maßgeblich ist die konkrete Situation vor Ort. Bei Unsicherheiten empfehlen wir eine Begehung und Begutachtung zum Beispiel mit Bauamt, Ordnungsamt, Feuerwehr und Haftpflichtversicherung.“

Ratsam sei im Zweifelsfall auch die Einholung einer Fachexpertise, um auf mögliche spezifische Risiken hingewiesen zu werden und über Lösungen bis hin zu einer Einzäunung nachzudenken, rät Heger. (Matthias Haaß)

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