Schnittstelle des Kalten Kriegs

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, der Eiserne Vorhang öffnete sich. Damit ging auch die Ära der großen Herbst- und Frühjahrsmanöver mit Zehntausenden Soldaten zu Ende.
Dörfer und Wälder glichen regelmäßig Heerlagern und auf den abgeernteten Getreidefeldern standen sich Rot und Blau, so bezeichneten die Militärs die Übungstruppe, bedrohlich gegenüber.
Die Landes- und Bündnisverteidigung habe im Fokus gestanden, erinnert sich der Frielendorfer Hans-Günther Wald, damals aktiver Soldat bei der Artillerie in der Harthberg Kaserne und heute Vorsitzender des Traditionsverbands Schwälmer Artillerie.
Surreale Zahlen aus vergangener Zeit
Liest man in Zeitungsartikeln aus der Zeit, kommen einem die genannten Zahlen surreal vor. 71.000 Soldaten nahmen beispielsweise im September 1981 an dem NATO-Herbstmanöver Certain Encounter des 5. US-Korps teil und machten den Schwalm-Eder-Kreis zum Kampfgebiet, wie es HNA-Redakteur Reinhard Berger damals sehr treffend beschrieb. Zum Vergleich, die gesamte Bundeswehr hat heute nur noch 180.000 Soldaten.

Auch die Zahl der eingesetzten Fahrzeuge ist beeindruckend und erschreckend zugleich: 15.000 Radfahrzeuge und 4700 Panzer rollten 1981 ins Manöver. 600 Hubschrauber und Flugzeuge flogen täglich bis zu 350 Einsätze. „Man habe dort geübt, wo auch gekämpft worden wäre“, erklärt Wald mit Blick auf damals nur wenige Kilometer entfernte innerdeutsche Grenze – der Schnittstelle zwischen den beiden Militärblöcken NATO und Warschauer Pakt.
Gelegenheit Menschen kennen zulernen
Heute beinah unglaublich, aber in einer Zeit mit drei Fernsehprogrammen, ohne Internet und Fernreisen waren die Manöver für viele Schwälmer auch eine der wenigen Gelegenheiten Menschen aus anderen Ländern kennen zulernen. Völkerverständigung im Zeichen von Nato-Oliv gewissermaßen.
Belgier, Briten und vor allem Amerikaner übten regelmäßig gemeinsam mit der Bundeswehr im Kreis. Wohl so mancher Ausrüstungsgegenstand der US-Army blieb damals im Tausch gegen einen Kasten Bier oder eine Ahle Wurst in der Schwalm.

Vergessen werden darf aber auch nicht die Belastung für die Bevölkerung. Nach der Übung Golden Crown 1988, dem letzten großen Manöver in Nordhessen, vermeldete unsere Zeitung 1700 Schäden. Kommunen beklagten demolierte Straßen und Landwirte durch Panzerketten zerwühlte Felder. Im Zeichen von Glasnost und Perestroika regte sich vielerorts Widerstand gegen die Manöver.
1989 war dann Schluss. Eine bereits geplante Reforger-Übung wurde angesichts des Mauerfalls abgesagt.
Von Matthias Haaß