Schwalm-Eder: Kirche zwischen Krieg und Frieden

Krieg in Europa. Die Auswirkungen sind bis in den Landkreis spürbar. Dekan Christian Wachter über Frieden um jeden Preis, die Bergpredigt, Pazifismus und das Recht auf selbstbestimmte Freiheit.
Schwalm – Seit fast einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Am 24. Februar griff die russische Armee das Nachbarland an. Wir sprachen mit Dekan Christian Wachter über die evangelische Kirche im Landkreis im Spannungsverhältnis zwischen Krieg und Frieden.

Wie stellt sich aus Sicht der evangelischen Kirche im Schwalm-Eder-Kreis das Spannungsverhältnis Krieg und Frieden dar?
Die evangelische Kirche im Kirchenkreis Schwalm-Eder, das sind alle, die zu dieser Kirche gehören und die aus ihrem Glauben nach Antworten suchen. Die Antworten werden unterschiedlich ausfallen. Was uns verbindet, das ist die Sehnsucht und die Bitte um Frieden. Also: lasst uns alles tun, was dem Frieden dient.
Welche Position beziehen Sie bei der Frage der Waffen- beziehungsweise Panzerlieferungen an die Ukraine?
Waffenlieferungen sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits verlängern und verschärfen sie den Krieg, andererseits erscheinen sie im wahrsten Sinn des Wortes notwendig, wenn sie dem Schwachen helfen, dass er sich und seine Familien gegen widerfahrenes Unrecht und gegen unrechtmäßige Bedrohung wehren kann. Wer eine Waffe trägt und nutzt, ist aber immer auch in der Verantwortung des verhältnismäßigen Einsatzes gebunden. Gebe ich die Waffe aus der Hand, liefere ich Waffen in fremde Länder, kann ich den verantwortungsbewussten Gebrauch der Waffe nicht mehr garantieren. Ich muss dem Anderen vertrauen können. Auch Waffenlieferungen brauchen ein bedachtes, besonnenes dann aber auch entschiedenes Handeln.
Sind die aktuell diskutierten, angekündigten Panzerlieferungen aus Sicht der Kirche noch legitim?
Die Frage beantwortet sich mit der Vorherigen, oder?
Ist Frieden um jeden Preis eine Lösung? Darf sich ein Land, eine Nation gegen einen Aggressor verteidigen? Ist „Die andere Wange“ hinhalten in diesem Fall überhaupt als Konzept tauglich?
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Und wenige Verse später: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die Linke hin.“ In der Tat ist es nie gut, wenn wir sofort zurückschlagen. Das gehört zur besonnenen christlichen Grundhaltung. Die von Jesus geforderte Feindesliebe bedeutet immer die Bereitschaft, ihn zu verstehen und ihm nach Möglichkeit zu verzeihen. Wenn Sie mich allerdings fragen, ob man mit der Bergpredigt ein Land regieren kann, dann ist meine Antwort: Nein, – aber ohne auch nicht. Wer politische Verantwortung trägt, muss alles dafür tun sein Land, sein Volk, in unserem Fall auch die Demokratie und die Freiheit zu schützen, im äußersten Fall dann auch mit Waffengewalt. Die persönliche Reaktion auf Gewalt, die mir widerfährt, und auf die bezieht sich die Bergpredigt, ist insofern nicht eins zu eins auf politisches Handeln übertragbar.
Was kann man Gläubigen und auch Kindern sagen, wenn sie fragen, warum Gott Krieg zulässt?
Gott gibt dem Menschen die Freiheit zu entscheiden und zu handeln. Die Freiheit des Menschen ist Segen und Fluch zugleich. Im Sinne des christlichen Glaubens ist Freiheit für menschliches Leben unerlässlich. Ohne Freiheit wären wir keine intelligenten Wesen, sondern Marionetten. Die von Gott geschenkte Freiheit wird durch die gottgegebene Verantwortung für den Nächsten und für den Frieden in der Welt begrenzt. Die dem Menschen von Gott geschenkte Freiheit bedeutet insofern eine Selbstbegrenzung Gottes in seiner Allmacht und dann nach christlichem Verständnis auch das Leiden Gottes an und in dieser Welt. Es ist der Mensch, der das Böse in sich zulässt. Wir verkündigen, dass in Jesus Gott selbst ein Opfer menschlicher Bosheit geworden ist. Die Freiheit des Menschen ermöglich beide Haltungen: Die sich vom Geist Gottes beseelt wissen, suchen, was dem Frieden dient, und jene, die von allen guten Geistern offensichtlich verlassen sind, die lassen sich nichts vorschreiben.
Um des „lieben Friedens willen“ würde auch so mancher im Schwalm-Eder-Kreis die Ukraine opfern. Ermutigt so ein Verhalten nicht den Angreifer?
Wenn wir die Ukraine „opfern“, dann „opfern“ wir Menschen, wir lieferten Menschen ans Messer, ließen Gewalt gegen die Schwächeren zu und ermutigten den Despoten an der Grenze der Ukraine nicht anzuhalten. Die Nazis haben gesungen: „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“ Die Alliierten haben das, Gott sei Dank, auch mit Waffeneinsatz verhindert.
Um im religiösen Bild der Rede vom Opfer zu bleiben: Den, der sich dazu entschließt, die Ukraine zu opfern, möchte ich fragen: Wer ist Dein Gott, dem Du die Ukraine opfern willst? Welches Prinzip, welcher Gott leitet Dich? Wir Christen aber sagen: Es gibt nur einen Gott, und der will solche Opfer nicht.
Kann man als Christ für den Frieden sein und trotzdem den Verteidigungskrieg der Ukraine unterstützen?
Wenn die Verteidigung dem Frieden dient und den Frieden zum Ziel hat, dann kann ich den Verteidigungskrieg als Christ verantworten, wobei ich zu bedenken gebe, dass ein sensibler Soldat, der einen Menschen getötet hat, dies auch ein Leben lang, wie einen Schatten auf seiner Seele, spüren wird.
Die auch im Landkreis bekannte ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hat das „Friedensmanifest“ von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht unterzeichnet. Das Manifest ist umstritten, da es zwischen (ukrainischer) Verteidigung und (russischem) Angriff nicht ausreichend differenziert. Wie ist die Stellung der evangelischen Kirche im dazu.
Auch hier wird es unter den Christinnen und Christen im Schwalm-Eder-Kreis unterschiedliche Meinungen geben, die einen, die sagen, dass Frieden nicht mit Waffengewalt zu erreichen ist, die anderen, die sagen, dass Frieden zur Not und insbesondere in diesem besonderen Fall auch mit Waffengewalt verteidigt und wiederhergestellt werden muss.
„Darf“ man angesichts der Gräueltaten in der Ukraine noch Pazifist sein? Hitler wurde auch nicht mit Gebeten besiegt – gibt es Parallelen?
Ich denke, dass wir die Bezeichnung „Pazifist“ nicht zu eng fassen dürfen. Pazifist ist ein Mensch, der sucht, was dem Frieden dient. Ziel ist es, die Kriegstreiber aufzuhalten, sie in die Schranken zu weisen, Mitmenschen vor Gräueltaten zu schützen und den Krieg zu beenden. Am Ende, da bin mit ich sicher, wurde Hitler auch durch Gebete besiegt. Wer betet, der weiß sich in seinem Tun gebunden an den Gott, der uns zum Frieden geschaffen hat. Wir sollten gerade jetzt, da Deutschland Waffen an die von einem Despoten überfallene Ukraine liefert, nicht mit dem Beten und der Bitte um Frieden aufhören.
In welchen Umfang und wie unterstützt die Kirche im Schwalm-Eder-Kreis ukrainische Flüchtlinge?
Mit mehreren Hilfstransporten (Brot für Frieden) hat die evangelische. Kirche im Kirchenkreis Schwalm-Eder Menschen in der Ukraine geholfen. Darüber hinaus haben wir Wohnraum zur Verfügung gestellt. Die ehemaligen Kirchenkreisämter in Melsungen und Ziegenhain sind mit Flüchtlingen belegt, die Kirchengemeinde Merzhausen-Willingshausen hat ein Gemeindehaus zur Verfügung gestellt.