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Künstlerin rechnet mit Märchen ab: Ausstellung zeigt Frauenrolle in neuem Licht

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Von: Celine Kühn

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Ulrike Becker-Dippel steht neben dem mit Efeu bewachsenen Gewächshaus und hält den Efeu beiseite, der den Eingang versperrt.
Dumpfe Rufe kommen aus dem Gewächshaus: Ulrike Becker-Dippel präsentiert das Ausstellungsstück der Ausstellung „Fantasie aus tausend Perlen“ von Charlotte Rahn in der Kunsthalle in Willingshausen. © Celine Kühn

In der Kunsthalle Willingshausen stellt derzeit Charlotte Rahn ihre Werke aus. Sie bezieht sich dabei auf drei Märchen und spiegelt diese aus einer neuen Perspektive.

Willingshausen – Mit einem kritischen Auge betrachtet Künstlerin Charlotte Rahn die Darstellung von Frauen in Märchen und thematisiert dies in ihrer Ausstellung „Fantasie aus tausend Perlen“ in der Kunsthalle Willingshausen.

Immer erfüllen weibliche Rollen die gleichen Klischees: Sie sind die Jungfrau in Nöten, die von Männern gerettet werden müssen, sollen bloß auf dem rechten Wege bleiben und können alleinstehend als Hexe oder alte Dame nur verbittert und einsam sein.

Während ihres dreimonatigen Aufenthalts in Willingshausen im Rahmen des Stipendiums hat sich die Künstlerin (33) intensiv mit diesen Rollenbildern auseinandergesetzt und sich zu ihrer Ausstellung „Fantasie aus tausend Perlen“ inspirieren lassen.

„Wo sonst könnte man sich besser mit Märchen auseinandersetzen als in der Schwalm“, so Kuratorin Marina Rüdiger. Jede Familie hier wisse von einer starken Schwälmer Frau zu berichten, die weiß wie sie alles zusammenhält.

Der Titel der Ausstellung stammt aus einer früheren Werbung des Rotkäppchen Sektes. Mit „Perlen“ bezieht sich die Künstlerin jedoch nicht auf den Schaumwein, sondern auf das veraltete Bild der Frauen, die ohne einen Ehemann an ihrer Seite nicht vollkommen sind.

Auch stehen die tausend Perlen für die unendlichen Interpretationsmöglichkeiten die ihre Werke zulassen. „Jede Idee, die wir zu den Bildern haben, wenn wir sie betrachten, ist auch eine Perle“, erklärt Ulrike Becker-Dippel, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Kunsthalle Willingshausen. In jedem Gemälde der Ausstellung lassen sich bei aufmerksamen Betrachten auch kleine Perlen entdecken.

Porträtbild von Charlotte Rahn Künstlerin
Charlotte Rahn Künstlerin © Celine Kühn

Aschenputtel, Rapunzel und Rotkäppchen

In ihrer Ausstellung thematisiert die Künstlerin aus Offenbach die Märchen Rotkäppchen, Rapunzel und Aschenputtel in insgesamt vier Leinwandwerken sowie Skulpturen und einer Ton- und Hausinstallation.

Besonders auffallend: Vor einigen Stücken liegt ein grüner Teppich aus. Er soll die Kunstwerke wie einen Bühnenraum wirken lassen, in den der Betrachter hineingehen kann. Auch die runde Beleuchtung der Malerein hat einen gezielte Effekt: Die Lichteinstrahlung lässt die Farben hervortreten und wirkt als wären die Leinwände hinterleuchtet.

Eines von Rahns Werken zeigt lange Beine mit einem blutigen Fuß. Rundum fächern sich Taubenfedern und Haselnüsse auf. Dieses Werk bezieht sich auf das Märchen des Aschenputtels und kritisiert laut Kuratorin Marina Rüdiger, das feindselige Verhalten dreier Frauen untereinander, die um einen Mann buhlen, dem „nicht einmal zuzutrauen ist, die Auserwählte an Gesicht, Größe oder Statur wiederzuerkennen“. In diesem Märchen steht nur das Finden eines Ehemannes im Vordergrund, da Frauen ohne einen Mann nicht vollkommen seien.

Das an Aschenputtel angelehnte Gemälde zeigt die blutigen Zehen umgeben von Rabenfedern und Haselnüssen.
Das an Aschenputtel angelehnte Werk zeigt die blutigen Zehen umgeben von Rabenfedern und Haselnüssen. © Kühn, Celine

Das Märchen des Rotkäppchens präsentiert Charlotte Rahn aus der Sicht des Wolfes. Eher gesagt aus dem Maul des Wolfes, denn die gotischen Fenster bilden den Schlund des blutrünstigen Wolfes ab, so Ulrike Becker-Dippel. Angelehnt ist dieses Werk an das Zuwiderhandeln des Rotkäppchens, das infolge dessen vom Weg abkommt und vom Wolf gefressen wird. Auch in diesem Märchen ist es wieder einmal der Mann, nämlich der Jäger, ohne den es kein Happy-End geben würde.

Das letzte der großen Gemälde widmet Charlotte Rahn dem Märchen von Rapunzel: Es zeigt die Mauer des Turmes, den blonden Zopf und ein Korsett. Es deutet auf das Eingeschnürt- und Eingesperrtsein der Frauen hin und zeigt das Korsett, welches ihnen die Gesellschaft und die Märchen mit ihren strengen Idealen anlegt. Und auch in diesem Märchen muss die weibliche Hauptfigur von einem Mann gerettet werden, um glücklich zu sein.

Die Natur, der in Märchen eine große Rolle zukommt, stellt Charlotte Rahn in ihrer Ausstellung als etwas Mystisches, fast schon Bedrohliches dar. Aus einem bewachsenen Glashaus dringen Stimmen.

Die unheimliche Stimmung, die Charlotte Rahn entstehen lässt, soll die Märchen in die Gegenwart holen und die unrealistischen Vorstellungen von damals in Kontrast zu den heutigen sozialen Strukturen stellen.

Info: Die Ausstellung kann noch bis Sonntag, 28. Mai, von Dienstag bis Freitag zwischen 14 und 17 Uhr und am Wochenende zwischen 10 und 12 Uhr sowie von 14 bis 17 Uhr besucht werden.

Finissage am Sonntag, 28. Mai

Die Ausstellung „Fantasie aus tausend Perlen“ der Künstlerin Charlotte Rahn in der Kunsthalle Willingshausen endet am Sonntag, 28. Mai, um 15 Uhr mit einem Gespräch. Hier werden die Künstlerin sowie die Kunstwissenschaftlerin Anne-Kathrin Auel und Wagehe Raufi, Kunststipendiatin des letzten Jahres, intensiv über das Motiv des Hauses und dessen Symbolik in der zeitgenössischen Kunst sprechen. Interessierte sind herzlich zum Gespräch sowie Kaffee und Kuchen eingeladen.

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